Schweizer BIP nur noch zwei Prozent unter Vorjahr
Konsumenten ziehen Wirtschaft aus dem Sumpf

Corona zerhaut die Wirtschaftsleistung von fast allen Nationen in Europa. Die Schweiz aber schlägt sich relativ gut. Drei Ökonomen erklären die Gründe.
Publiziert: 05.12.2020 um 15:26 Uhr
|
Aktualisiert: 20.12.2020 um 20:28 Uhr
1/18
Alain Berset: Er führt die Schweiz durch das Corona-Jahr.
Foto: keystone-sda.ch
Marc Iseli

Die Schweizer Wirtschaft ist robust. Das Land übersteht selbst einen Pandemie-Sturm in wirtschaftlicher Hinsicht relativ gut. Die Bilanz nach über neun Monaten Corona-Krise: Die Eidgenossenschaft zeigt sich wetterfest.

Im Frühling fürchteten Ökonomen und andere Experten noch ein Einbrechen der Wirtschaft. Ein Abrutschen in historischem Umfang. Eine Konkurswelle. Kurz: ein Chaos. Unter dem Strich ist es aber nicht so schlimm gekommen. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) liegt Ende September nur noch zwei Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Das Minus vom Frühling ist zu zwei Drittel wieder wettgemacht. Die Zahl der Arbeitslosen steigt seit Monaten kaum mehr an. Die Quote verharrt schweizweit auf knapp über drei Prozent. Andere Länder träumen von solchen Werten.

Ökonom Anastassios Frangulidis (51) von der Bank Pictet spricht von einer «sehr starken» Entwicklung der Wirtschaft, die massgeblich von den Schweizern getragen werde. Von den gewöhnlichen Leuten. Sie hätten im Sommer ihre Konsumlust wieder entdeckt. Trotz Hygienemassnahmen. Trotz Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Und trotz der Angst vor einer Ansteckung. Sie reisten in die Berge, um Ferien zu machen. Sie tranken ein Bier in der Gartenbeiz.

Politik spielt Handorgel

Die Konsumlust der Schweizer sei, gerade im Vergleich zum Ausland, «etwas robuster» in Krisenzeiten, sagt Frangulidis. «Das haben wir auch schon in früheren Krisen gesehen, etwa in der Finanzkrise.» Das Geheimnis liege im flexiblen Arbeitsmarkt. Die Unternehmen würden stets mit den Arbeitnehmern über eine Lösung verhandeln. Die Beziehungen seien traditionell sehr gut. Immer wieder werde in schwierigen Verhältnissen ein Kompromiss erreicht. So werde die Arbeitszeit temporär reduziert oder eine kurze Auszeit definiert. Allenfalls helfe auch der Staat unkompliziert und finanziell in Form von Kurzarbeit. «Wichtig ist einfach, dass die Leute nicht auf der Strasse landen», so Frangulidis.

In die gleiche Kerbe schlagen Claude Maurer (45) und Martin Lück (54). Maurer ist Ökonom bei der Credit Suisse. Lück arbeitet für den weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock. Beide betonen die Konsumlust im Land. Beide loben den Arbeitsmarkt. Beide rühmen die Widerstandsfähigkeit der helvetischen Volkswirtschaft. Und beide finden auch lobende Worte für den Bundesrat und dessen Management in der ausserordentlichen Lage. Es ist wie eine Handorgel: Manchmal muss man locker lassen, manchmal wieder etwas zudrücken. Auf und zu. Je nach Situation.

Der Vergleich mit dem Ausland zeigt die Stärke der Schweiz. Auf dem Höhepunkt der Pandemie schlug das Coronavirus in allen Ländern voll auf die Wirtschaftsleistung durch. Das Resultat in der Schweiz: ein Minus von fast 8 Prozent in den drei Monaten April, Mai und Juni. Das nahe Ausland aber verzeichnete zweistellige Einbrüche. Und die Malaise zog sich auch über den Sommer. Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich erlebten im dritten Quartal des laufenden Jahres ein hohes Minuswachstum, während die Schweiz am Niveau des Vorjahres kratzte. Gleichzeitig explodierte im Ausland die Zahl der Arbeitslosen. Spitzenreiter ist Italien. Jeder Zehnte ist im Belpaese ohne Job. Die Wirtschaft fährt seit Anfang Jahr schneller rückwärts als ein Ferrari.

Pillen retten die Wirtschaft

Heftig getroffen sind auch die Franzosen. Sie schlagen sich in diesem Jahr in etwa gleich schlecht wie die Italiener. Ihre Wirtschaft schrumpft. Seit Wochen verharrt das Land wieder im Lockdown. Die Bilanz am Ende des Jahres dürfte also verheerend sein. Besonders bitter: Die relative Entwicklung der Corona-Todesfälle hält derweil in etwa Schritt mit der Schweiz.

Die Schweiz profitiert letztlich auch davon, dass sie eine Pillennation ist. Kaum ein Sektor ist krisensicherer als die Pharmaindustrie. Auch wenn es wirtschaftlich weniger rund läuft, sprudeln die Gewinne von Roche, Novartis und Co.

Ein Blick in die Exportstatistik zeigt sogar: Die Schweiz hat ihre Position im Krisenjahr nochmals stärken können. Die Ausfuhren der Industrie legten erneut zu. Und weil die Importe gleichzeitig sanken, stieg die Wertschöpfung im Land. «Das ist eine starke Stütze», sagt denn auch CS-Experte Maurer. Das ist wahre Muskelkraft.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.