Auf einen Blick
Donald Trump redet viel. Doch in einem Punkt ist der erratische US-Präsident konsistent: «Produziert in den USA und profitiert von den tiefsten Steuern aller Industrieländer. Oder ihr zahlt Zölle», rief Trump beim WEF den Managerinnen und Managern entgegen. Exakt diese Aussage wiederholte er kurz darauf offenbar in der Air Force One im Gespräch mit Journalisten. Der von seinem Finanzminister Scott Bessent vorgeschlagene Einstiegszoll von 2,5 Prozent, der dann schrittweise angehoben werden soll, sei ihm zu tief.
Die Schweiz hingegen nutzte die Davoser Kulisse komplett gegenteilig. Am Mittwoch unterzeichnete Bundesrat Guy Parmelin in Davos ein Freihandelsabkommen mit dem Kosovo, das nach zwei Jahren Verhandlungen im September abgeschlossen wurde. Nur einen Tag später – die Tinte war kaum trocken – folgte Thailand, der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz in Südostasien. 37 Freihandelsabkommen wird das Portfolio der Schweiz umfassen, wenn auch die neusten vier Abkommen (Moldau, Indien, Kosovo, Thailand) in Kraft getreten sind. Und Parmelin will mehr: Abkommen mit Vietnam, Malaysia und Mercosur sind derzeit in Verhandlung. Oder anders gesagt: Während die USA dichtmachen, macht die Schweiz auf.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Die Schweiz hat keine andere Wahl: Die USA verfügen mit knapp 340 Millionen über einen riesigen Heimatmarkt und sind weniger vom Aussenhandel abhängig. Umgekehrt die Schweiz: Weil der Schweizer Binnenmarkt zu klein ist, der Franken stark und die Lohnkosten hoch, sind die Unternehmen von Exporten abhängig. «Gerade in einer Welt, die immer komplexer und protektionistischer wird, bieten Freihandelsabkommen gute Rahmenbedingungen für Schweizer KMU», sagt Christine Moser, Sprecherin von Switzerland Global Enterprise. Die Organisation ist Anlaufstelle für Schweizer Firmen, die Geschäfte im Ausland machen wollen. «Seit die Schweiz vergangenes Jahr das Freihandelsabkommen mit Indien abgeschlossen hat, haben sich dreimal so viele Firmen über den indischen Markt erkundigt.»
Sorge wegen Trumps Powerplay
Als kleines Land ist die Schweiz auf regelbasierte Beziehungen angewiesen. Trump und die USA können dagegen ein Powerplay aufziehen. Gefährlich würde das für die Schweiz dann, wenn Trumps Stil weltweit zur Regel würde. Auch darum fürchtet sie, in den Strudel zu geraten, sollte die EU – für die Schweiz der wichtigste Handelspartner – Gegenzölle erheben.
Der Druck der USA könnte aber auch dazu führen, dass sich andere Länder stärker untereinander verbünden. So drängen Handelsexperten die Schweiz dazu, sich grösseren Freihandelsabkommen wie dem transpazifischen CPTPP anzuschliessen, dem unter anderem Japan und Kanada angehören.
Erstes Freihandelsabkommen in St. Gallen
Die Geschichte des Freihandels in der Schweiz reicht weit zurück. Im Mittelalter ärgerten sich die Unternehmer und Stadtfürsten zunehmend über die überall erhobenen Zölle und Abgaben, die den immer wichtiger werdenden Fernhandel behinderten. Besonders ärgerlich war, dass die Zölle nicht nur am Zielort erhoben wurden. Von Brückenzöllen über Durchfuhrzölle: Auf dem Weg einer Ware von A nach B versuchte jeder, noch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. 1387 dann gelang es St. Gallen, mit Nürnberg einen Vertrag über gegenseitige Zollfreiheit abzuschliessen. Er wurde zum Fundament des st. gallischen Handels nach Böhmen und Polen. Eine Urkunde im Stadtarchiv St. Gallen zeugt von diesem ersten Freihandelsabkommen der Schweiz.
Seitdem ist viel passiert. Vor allem seit die Welthandelsorganisation (WTO) blockiert ist, rücken bilaterale Freihandelsabkommen weltweit immer mehr in den Fokus. Die Schweiz hat das Glück, sich frühzeitig breit aufgestellt zu haben. Als erstes europäisches Land etwa schloss die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit China ab. Der vor zehn Jahren geschlossene Vertrag gilt trotz Kritik zu fehlenden Menschenrechtsklauseln als Meilenstein. Und er ist auch das meistgenutzte Abkommen: Seit Inkrafttreten 2014 profitieren nach Angaben von Switzerland Global Enterprise inzwischen über 70 Prozent der Schweizer Exporte nach China von Zoll- und Tarifvergünstigungen. Die Zahl der Exporte aus der Schweiz nach China legte im selben Zeitraum um 137 Prozent zu.
Kritik an Indien-Abkommen
Generell hat der asiatische Wirtschaftsraum an Bedeutung gewonnen. Im vergangenen Jahr brachte Seco-Staatssekretärin Helene Budliger Artieda das Abkommen mit Indien zum Abschluss – nach 16 Verhandlungsjahren. Ein Wachstumsmarkt, hoffen die Industrieunternehmen. Der Freihandelsexperte und Uni-Professor Patrick Ziltener hingegen kritisierte das Abkommen in der «Handelszeitung», weil zahlreiche Bereiche vom Freihandel ausgeschlossen sind. Insgesamt erhalte ein Fünftel aller Waren keinen oder nur einen geringen Zollabbau.
Ziltener war nicht nur 2009 bei den Verhandlungen für das Schweizer Freihandelsabkommen mit Japan dabei, sondern hat auch zahlreiche Wirksamkeitsstudien und Potenzialanalysen für die Schweiz erstellt. Zilteners neuster Lieblingsfall ist Südkorea. Hier existiert zwar bereits ein Abkommen, das aber laut dem Experten eines Updates bedarf. Denn auch vermeintliche Kleinigkeiten können schnell teuer werden: Während der Export von Mozzarella aus der EU zollfrei ist, umfasst das Schweizer Abkommen nur die «typischen» Schweizer Käsesorten. Laut einer Studie von Ziltener kosten die südkoreanischen Mozzarella-Zölle die Schweizer Produzenten rund 1,2 Millionen Dollar im Jahr.
Das Schweizer Freihandelsnetz, so erfolgreich und beeindruckend es sein mag, hat jedoch Grenzen. «Es ist ein bilaterales Korsett, das Unternehmen mit komplexen Lieferketten einschränkt», sagt Freihandelsexperte Ziltener. Er plädiert für neue multilaterale Ansätze, wie einen Beitritt zum CPTPP: einem umfassenden Handelsabkommen zwischen zwölf Staaten, unter anderem Japan, Australien und Kanada, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt eine der weltweit grössten Freihandelszonen geschaffen haben. Zahlreiche Handelspartner der Schweiz machen bereits mit, auch China hat seinen Beitritt beantragt.
Was wird aus Abkommen mit Mercosur, China und den USA?
Widerstand gegen neue Handelsverträge kommt vor allem aus dem Inland: Beim Schweizer Freihandelsabkommen mit Indonesien etwa wurde als Reaktion auf öffentliche Kritik ein Kapitel zu nachhaltiger Entwicklung aufgenommen, das Umwelt- und Sozialstandards berücksichtigt. Auch für das geplante Mercosur-Abkommen und ein mögliches Update mit China wird es ohne entsprechende Klauseln wohl nicht mehr gehen. Heikel ist vor allem, Handelsschranken für landwirtschaftliche Produkte niederzureissen.
Daran ist zuletzt der Traum von einem Handelsabkommen mit den USA geplatzt. Das Wirtschaftsministerium hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass dies doch noch klappen könnte. Doch Wirtschaftsvertreter wären schon froh, wenn die Regierung Trump die Schweiz mit Zöllen verschont. Stephan Mumenthaler, Direktor des Verbands Scienceindustries, des Zusammenschlusses der Chemie- und Pharmaindustrie, warnt davor, sich angesichts der Freundschaft mit den USA in einem Gefühl falscher Sicherheit zu wiegen. «In der Branche herrscht schon eine gewisse Anspannung, ob Trumps Zolldrohung auch die Schweiz betreffen wird», sagt er. Denn der Entscheid, auch der Schweiz die Einfuhr von Hochleistungschips zu begrenzen, zeige, dass nicht alle Entscheide rational sind, sagt Mumenthaler.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft zeigt sich dagegen zuversichtlich: Der Handel mit den USA sei «weitgehend ausgeglichen», sagt ein Seco-Sprecher. Die USA haben demnach einen Exportüberschuss bei Dienstleistungen von 19 Milliarden Dollar, die Schweiz beim Güterhandel einen Exportüberschuss von 24,2 Milliarden. Netto bliebe also nur ein Überschuss von nur 5,2 Milliarden.
Trump schaut allerdings nicht auf den Dienstleistungsaustausch. Seine Währung ist der Güterhandel. Daher geraten selbst seine Nachbarn wie Mexiko und Kanada ins Visier. Zumal Zölle für Trump ein Druckmittel sind. So droht er Kanada mit Zöllen, damit das Land mehr gegen den Drogenhandel unternimmt.
Wie kann die Schweiz mit Trump verhandeln?
Die Schweiz hofft, an die «exzellenten Beziehungen» anknüpfen zu können, die unter der ersten Trump-Administration herrschten. «Wir suchen mit der neuen Administration das Gespräch, um Wege zu finden, um diese bilaterale Beziehung weiter zu stärken», heisst es beim Seco auf Anfrage. Bereits zweimal haben die Schweiz und die USA Sondierungsgespräche geführt. In der Industrie wäre man über eine Neuauflage begeistert. Das mögliche Abkommen hat bedeutende Fans wie etwa Ems-Chefin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher: Sie forderte direkt nach der Trump-Wahl, die Schweiz müsse die Verhandlungen wieder aufnehmen.
Mit seiner Rede in Davos aber scheint Trump den Hoffnungen der Schweizer Wirtschaft pauschal eine Absage zu erteilen. Auch von der neuen US-Botschafterin in Bern, der erzkatholischen Callista Gingrich, dürfte in Wirtschaftsfragen weniger zu erwarten sein als vom früheren Trump-Botschafter Edward McMullen.
Zudem hat die Schweiz im vergangenen Jahr die Industriezölle abgeschafft. In einer geopolitischen Realität, in der das Recht des Stärkeren wieder über allem zu stehen scheint, fehlt der Schweiz damit in Verhandlungen mit der Trump-Regierung auch ein mögliches Faustpfand. Pharma-Vertreter Mumenthaler verweist darauf, dass Schweizer Unternehmen zu den wichtigsten Investoren in den USA zählen. UBS-Chefökonom Daniel Kalt könnte sich vorstellen, dass die Schweiz ihren Technologietransfer mit China herunter- und jenen mit den USA herauffährt.
Ob das reicht, den starken Mann im Weissen Haus zu beruhigen, ist ungewiss. Sicher ist dagegen: Die Schweiz bleibt auf Gedeih und Verderb auf erfolgreichen Aussenhandel angewiesen.