Schweiz profitiert von Spanien
Solarkraftwerke? Lieber in Spanien

Im Schnellverfahren winkt Spanien Tausende Solar- und Windparks durch. Schweizer Energieversorger profitieren davon – doch die lokale Bevölkerung wird teils enteignet.
Publiziert: 23.01.2024 um 14:01 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2024 um 15:39 Uhr
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Solaranlage La Cabrita in Almeria: Der Schweizer Stromversorger Alpiq ist daran beteiligt.
Foto: Gunnar Knechtel/laif
Romano Paganini
Beobachter

Die Gemeinden Val-de-Travers im Neuenburger Jura und Tabernas im Süden Spaniens haben eines gemeinsam: Sie sind Bahnhöfe des Solar- und Windexpresses, der derzeit durch Europa rauscht. Im Jura hat erst kürzlich das Bundesgericht grünes Licht für den Bau eines Windparks gegeben – doch der Solarpark in Südeuropa ist seit Jahren in Betrieb. Das ist sinnbildlich. In der Schweiz dauert die Umsetzung eines Grossprojekts gemäss Branchenkennern bis zu 25 Jahre, also fünfmal so lange wie in anderen Ländern Europas.

Die Europäische Union hat Ende 2022 auf Energieengpässe reagiert, indem sie innerhalb einer Notverordnung die Genehmigungsverfahren beschleunigte und Umweltverträglichkeitsprüfungen neu eine untergeordnete Rolle zuspricht. Projekte zur Stromgewinnung aus erneuerbarer Energie werden seither priorisiert. Spanien ist zu einem Stromexporteur geworden – Schweizer Energieunternehmen wie Alpiq, Aventron, Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), Stadtwerk Winterthur und Axpo haben Anteile oder investieren in den Bau von Solar- und Windanlagen in Spanien.

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Axpo und Alpiq loben Spanien als «vorbildlich»

Die Energie Wasser Bern etwa hat ihre spanische Stromproduktion seit 2018 auf jährlich 73 Gigawattstunden (GWh) fast verdoppelt; das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von knapp 15’000 Schweizer Haushalten. Die EKZ hatten bis vor fünf Jahren noch keine eigenen Anlagen in Spanien; heute produzieren sie bereits 50 GWh und haben zwei weitere Fotovoltaikanlagen im Bau. Dasselbe gilt für die beiden grossen Stromhändler Axpo und Alpiq, die in ihrem Portfolio zusammen über 10 GWh Leistung ausweisen.

Die Axpo baut seit kurzem an einer Fotovoltaikanlage, die Alpiq hat zwei Bauprojekte laufen. Beide loben Spanien als «vorbildlich» in der Produktion von Solar- und Windenergie. «Der Ausbau der Solarenergie in Spanien», schreibt die Axpo, «ist auch für die Schweiz relevant, da er zur klimafreundlichen Stromproduktion in Europa beiträgt und somit die Energieversorgungssicherheit ganzheitlich stärkt.»

Spanien enteignet Hausbesitzer

Das sorgt in Südeuropa zwar für volle Kassen (vorübergehend), aber auch für rote Köpfe (anhaltend): volle Kassen, weil ausländische Investoren ihre Gelder in Windparks und Fotovoltaikanlagen anlegen. Rote Köpfe, weil das alles sehr schnell und unkontrolliert geschieht. So wurden landesweit Zehntausende Olivenbäume gerodet, um riesige Solar- oder Windparks zu installieren. Anlagen, die in der Schweiz aufgrund der Bevölkerungsdichte keine Chance hätten. Hinzu kommen Hunderte von Familien, die unter dem Druck der Regionalregierungen oder der Netzbetreiber ihre Häuser und Agrarflächen verkauft haben. Falls die Eigentümer nicht akzeptieren, werden sie kurzerhand enteignet.

Deshalb regt sich Widerstand. Man wolle zwar erneuerbare Energie, aber nicht um jeden Preis, sagen Umweltschutzorganisationen und Nachbarn von Wind- oder Solarparks. Denn durch die grossflächigen Anlagen verlieren zahllose Tiere ihren Lebensraum, was die Biodiversität im Land gefährdet. Den Menschen drohen Einkommenseinbussen in der Landwirtschaft oder im Tourismus. Sie haben ihren Unmut schon auf die Strasse und in die Politik getragen. Vor einem Jahr forderten 70 Gemeinden in Andalusien ein Bau-Moratorium für Grossprojekte – vergeblich. Der Antrag wurde vom Regionalparlament umgehend abgelehnt.

«Koloniales Selbstverständnis»

Alberto Matarán, Städteplaner und Umweltaktivist, spricht von einem «kolonialen Selbstverständnis, mit dem die reichen Länder und Firmen aus dem Norden via Mittelsmänner vor Ort» die lokalen Ressourcen abschöpften. «Der hier produzierte Strom fliesst am Ende nach Zentral- und Nordeuropa, um die dort wachsenden Bedürfnisse zu decken, inklusive Elektrifizierung der Infrastruktur.» Wegen des Klimanotstands brauche es die Energiewende, sagt Matarán, aber die könne nur mit weniger Konsum einhergehen. «Und da sind die Länder des Nordens gefragt, schliesslich sind sie die Hauptkonsumenten.»

Matarán und sein Team der Universität Granada haben die Zahlen für das im Frühling 2023 erschienene Buch «Colonialismo energético» zusammengetragen. Darin wird klar: Spaniens Kapazitäten in Sachen Solar- und Windenergie liegen bereits heute über dem eigenen Jahresverbrauch – und dennoch sollen sie bis 2030 um das Achtfache (Solar) beziehungsweise knapp Dreifache (Wind) ausgebaut werden. Neu soll auch auf dem Mittelmeer gebaut werden, ähnlich wie in der Nordsee.

«Stromkonzerne zahlen bis zu fünfmal mehr»

Besonders viel Geld fliesst derzeit in die Region Kastilien und León nahe Madrid, wo auch die Europäische Investitionsbank und Schweizer Pensionskassen investieren. Es geht um Milliardenbeträge. Ausserdem baut die Axpo an einer ihrer grössten Solaranlagen; sie entspricht einem Zehntel der Fläche der Stadt Uster ZH und soll dereinst den jährlichen Strombedarf von mehr als 76’000 spanischen Haushalten produzieren.

Die Region Kastilien und León galt lange als Kornkammer Europas, gehört heute allerdings zu den ärmsten Flecken des Landes. Wie andere Randregionen kämpft auch diese mit Überalterung und Abwanderung. «Da verpachtet ein pensioniertes Paar sein Land lieber an eine internationale Energiefirma als an einen Bauern aus der Nachbarschaft», sagt der Reisefachmann und Umweltaktivist Oscar Navajo Ruiz. «Die zahlen zwar immer noch wenig, aber in der Regel bis zu fünfmal mehr.»

Geplante Projekte werden nicht veröffentlicht

Oscar Navajo Ruiz lebt in Celada de la Torre, einem Weiler mit ein paar Dutzend Einwohnerinnen und Einwohnern. Er wehrt sich mit anderen Nachbarn juristisch gegen eine der Windanlagen. Die wird zwar nicht im Auftrag einer Schweizer Firma gebaut, aber Ruiz’ Kampf illustriert das Problem anschaulich.

Seit Anfang 2023 veröffentlicht die zuständige Behörde die geplanten Projekte nicht mehr – eine Praxis, die sich auch anderswo in Spanien durchgesetzt hat. Die Bürgerinnen und Bürger erfahren erst von einem Projekt, wenn die Planungsphase vorüber ist. Hinzu kommen fragwürdige Umweltverträglichkeitsprüfungen. Bei besagtem Windprojekt warnte die Behörde zwar vor einem «hohen Sterberisiko für die Vogelfauna und geschützte Fledermausarten», bewilligte die Anlage dann aber doch. «Sämtliche Projekte in unserer Region werden angenommen», sagt Oscar Navajo Ruiz und fragt: «Warum schützen wir unsere Landschaft nicht wie in Deutschland und bauen die Fotovoltaikanlagen auf bestehender Infrastruktur?»

Eine der Schweizer Firmen, die in Spanien am meisten Energie mit Sonne und Wind generieren, ist die Basler Aventron, an der auch die Primeo Energie, Energie Wasser Bern und das Stadtwerk Winterthur beteiligt sind.

«Es ist alles schön reglementiert»

Von einem Bau-Moratorium und den Enteignungen wegen neuer Solar- und Windparks hat CEO Eric Wagner nach eigenen Angaben nichts mitbekommen. Die drei Anlagen von Aventron in Spanien seien vor der Energiekrise gebaut worden. Im Moment habe man noch einzelne Projekte und wolle sich aufgrund der besseren Rahmenbedingungen nun vermehrt auf die Schweiz konzentrieren. «Der Bewilligungsprozess in Spanien ist an der einen oder anderen Stelle vielleicht etwas schneller, aber es ist alles schön reglementiert, inklusive Umweltverträglichkeitsprüfungen.»

Die Axpo betont, man habe Verständnis für die Argumente der Kommunalpolitiker hinsichtlich des schnellen Ausbaus von Solaranlagen. «Es ist jedoch wichtig, ein Gleichgewicht zwischen der Dringlichkeit des Übergangs zu erneuerbaren Energien und der Sicherstellung eines nachhaltigen, organisierten Ansatzes zu finden.» Axpo Solar Iberia setze auf einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten, auch mit den lokalen Behörden. «Wir sind uns bewusst, wie wichtig ein massvoller und gut geplanter Ausbau der Solarinfrastruktur ist, der Umweltverträglichkeitsprüfungen, das Feedback der Gemeinden und langfristige Nachhaltigkeitsziele berücksichtigt.»

Versorgungssicherheit: Probleme liegen anderswo

Es bleibt die Frage, inwiefern der Strom von der Iberischen Halbinsel zur Versorgungssicherheit in der Schweiz beiträgt. Die Antwort lautet: teilweise. Spanien speist zwar seinen Strom ins europäische Netz ein, trägt also generell zur Stabilität bei. Aber wenn es um die Schweiz geht, interessieren insbesondere die direkten Nachbarländer. Dazu heisst es seitens der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom): «Spanien kann allenfalls indirekt zur Versorgungssicherheit in der Schweiz beitragen.»

Überhaupt ist die Produktion auf dem europäischen Strommarkt nur das eine, der Transport und der Import das andere – und da sind der Schweiz teilweise die Hände gebunden. «Wenn wir nicht adäquat in die Mechanismen des europäischen Strommarkts integriert sind», so die ElCom, «drohen sich unsere Importkapazitäten signifikant zu reduzieren.» Es sei deshalb wichtig, einen entsprechenden Rahmenvertrag mit der EU anzustreben – und damit auch ein Stromabkommen. Weil sich die Schweiz momentan jedoch generell schwertut, ihr bilaterales Verhältnis mit der EU neu aufzustellen, ist ein solcher Stromdeal noch nicht absehbar.

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