Schweiz ist Transparenz-Schlusslicht – Blick hat exklusive Zahlen
Jedes Jahr verschwinden 24 Milliarden Franken

Mittels Steuerrabatten zum Beispiel für die Altersvorsorge verzichtet die Schweiz jährlich auf Milliarden. Ob sich das auszahlt, weiss niemand so genau. Neue Zahlen, die Blick exklusiv vorliegen, zeigen nun: Kein anderes Land ist so intransparent wie wir.
Publiziert: 15.06.2021 um 23:36 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2021 um 16:36 Uhr
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Dank Steuerabzügen können Private und Firmen viel Geld sparen.
Foto: Keystone
Andrea Cattani und Nicola Imfeld

Der Schuldenberg ist so hoch, dass man darauf Ski fahren kann. So umschrieb Finanzminister Ueli Maurer (70) im Frühling die Corona-Milliarden. Die Pandemie wird die Schweiz mehr als 40 Milliarden Franken kosten. Viel Geld, das unser Land in den nächsten Jahren wieder einsparen muss. Damit künftige Generationen auf ihre Krisen reagieren können.

Jeder Franken zählt also? Mitnichten! Wenns um Steuervergünstigungen geht, fliessen Milliarden von Franken pro Jahr ab. Der Bund weist für das Jahr 2020 Einnahmeausfälle wegen Steuervergünstigungen von 24 Milliarden Franken aus. Das entspricht 33 Prozent der Bundeseinnahmen.

Das Geld könnte man speziell nach der Corona-Krise gut gebrauchen. Das Problem nur: Niemand weiss genau, wohin die Milliarden verschwinden. Im Gegensatz zu staatlichen Subventionen werden Steuervergünstigungen nirgendwo ausgewiesen.

Milliarden-Steuervergünstigungen

Jetzt bringt die internationale und überparteiliche Denkfabrik CEP Licht ins Dunkel. Die gemeinnützige Organisation mit Sitz in Zürich publiziert am Mittwoch zusammen mit dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik die erste weltweite Steuer-Datenbank. Blick hat die Zahlen exklusiv vorab erhalten. Die Auswertung zeigt, wo der Staat freiwillig auf Steuereinnahmen verzichtet.

Über 5 Milliarden Franken pro Jahr verschwinden etwa wegen Pensionskassen-Zahlungen und der Steuerfreiheit von Kapitalerträgen der 2. Säule. 830 Millionen Franken kommen für die Beiträge an die Säule 3a hinzu, die von den Steuern abgezogen werden können. Aber auch bei der Mehrwertsteuer oder wegen Treibstoff-Abzügen bleibt viel Geld auf der Strecke (detaillierte Zahlen unten).

«Wir haben ein Problem mit der Transparenz»

Ob die damit gewünschten Anreize auch erzielt werden, weiss keiner so genau. Denn der Schweizer Staat hat offenbar keine Übersicht mehr darüber, wie viel Geld für Steuervergünstigungen und -befreiungen genau aufgewendet wird. Das Thema ist ein grosses Schwarzes Loch.

Alles, was die Schweiz in diesem Bereich zu bieten hat, ist ein Bericht aus dem Jahr 2011. Und auch diese Zahlen basieren vor allem auf Schätzungen aus dem Kanton Bern, die dann auf alle Kantone hochgerechnet worden sind. «Das zeigt leider, was für ein Problem wir mit Transparenz bei Finanzflüssen haben», sagt Prisca Birrer-Heimo (62). Die SP-Nationalrätin aus Rothenburg LU hatte 2019 ein Postulat eingereicht, mit dem «Licht in die Blackbox der Steuerrabatte» kommen sollte. Behandelt wurde das Thema bis heute nicht.

Schweiz ist klares Schlusslicht

Unter den OECD-Ländern ist die Schweiz damit klares Schlusslicht – abgehängt von Ländern wie der Türkei und Mexiko. Niemand ist bei den Steuervergünstigungen so undurchsichtig wie wir! «Dabei wäre es nichts anderes als gute Geschäftsführung, wenn man auch bei diesem Thema genau hinschauen würde», sagt Birrer-Heimo.

Brisant: Der Bundesrat verfehlt damit nicht nur internationale Berichtsstandards, sondern kommt auch seiner eigenen Berichtspflicht nicht nach. Gemäss dem Subventionsgesetz muss er alle sechs Jahre eine periodische Prüfung aller Subventionen, inklusive Steuervergünstigungen, durchführen.

Steuerverwaltung verspricht Verbesserung

Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat in ihrem Bericht von 2011 auf die Problematik dieser Intransparenz hingewiesen. «Die fehlende Abbildung der Subventionen mittels Steuervergünstigungen in der Rechnung des Bundes widerspricht den Grundsätzen der Transparenz und der Vollständigkeit», heisst es da. Und die ESTV geht noch weiter: «Steuervergünstigungen sind in diesem Sinne versteckte Subventionen, die der Budgetkontrolle des Parlaments weitgehend entzogen sind.»

Heute sagt die ESTV auf Blick-Anfrage: «Angesichts der Schwierigkeiten einer Quantifizierung können quantitative Aussagen zu Steuervergünstigungen nicht mit Angaben zu Subventionen gleichgesetzt werden.» Man arbeite aber an einer Verbesserung der Datenlage. «Festzuhalten bleibt, dass bei vielen Steuervergünstigungen auch nach Verbesserung der Datenlage eine Quantifizierung nicht möglich sein wird», so das ESTV.

Klar ist: Dank der neuen Datenbank des CEP bekommt das Anliegen von Prisca Birrer-Heimo neuen Aufwind. Sie sagt darum: «Ich werde das Thema wieder auf die Traktandenliste setzen lassen. Hier muss sich etwas ändern.»

Die Zahlen in der Übersicht

Direkte Bundessteuer (jährlich)

Art der Steuervergünstigung Betrag in Fr.

Abzug und Steuerfreiheit 2. Säule

5,115 Mrd
Abzug 3. Säule 830 Mio
Kinderabzug 710 Mio
Steuerfreiheit Kapitalgewinne 670 Mio

Abzug für Krankenversicherung

600 Mio

Steuerfreiheit Erbschaften/Schenkungen

600 Mio
Abzug Fahrtkosten 500 Mio

Abzug auswärtige Verpflegung

400 Mio

Abzüge Umweltschutzinvestitionen

300 Mio

Mehrwertsteuer MWST (jährlich)

Art der Steuervergünstigung Betrag in Fr.

Reduzierter Satz (2,5 Prozent) auf Nahrungsmitteln etc.

2,2 Mrd

Verkauf und Vermietung von Immobilien und Wohnraum

2 Mrd

Dienstleistungen Gesundheits- und Sozialwesen

1,93 Mrd

Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze

450 Mio
Kinderbetreuung und Bildung 400 Mio

Bestimmte Umsätze im Geld- und Kapitalverkehr

380 Mio

Übrige Steuern und Abgaben (jährlich)

Art der Steuervergünstigung Betrag in Fr.

Kranken-, Invaliden- und Unfallversicherung

1,50 Mrd

Lebensversicherungen

1,3 Mrd

Treibstoffe von Luftfahrzeugen

1,287 Mrd
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