Ebenmässiges Gesicht, volles Haar, grosse Augen. Solche äusserlichen Merkmale nehmen die meisten Menschen als attraktiv wahr. Wer sich in den Führungsetagen umschaut, dem fällt auf: Die Erfolgreichen sind nicht immer, aber oft auch die Schönen.
Das ist kein Zufall. Die Forschung untersucht den Zusammenhang zwischen Attraktivität und beruflichem Erfolg seit den achtziger Jahren. Das Resultat: Attraktivität hilft im Berufsalltag. Nicht nur konnten Forschende beweisen, dass nach gängigen Normen schöne Leute eher als passend und fähig für einen Job eingeschätzt werden, sondern auch, dass sie mehr Lohn erhalten und ihren Job etwa bei Kündigungswellen eher behalten können.
Das geht gar so weit, dass Attraktivität bei der Auswahl von zwei Bewerbenden mit ähnlichen Kompetenzen den Ausschlag geben kann. Der Soziologe Roman Althans fasste dieses sogenannte Pretty Privilege gegenüber dem «Business Insider» folgendermassen zusammen: «Im Durchschnitt haben es attraktive Menschen im Beruf leichter. Und das in jeder Phase ihrer Karriere.»
Schönheit wird gleichgesetzt mit positiven Charaktereigenschaften
Der Grund, warum attraktive Leute eher bevorzugt werden, liege in der positiven Assoziierung von Schönheit: «Mit Attraktivität werden unterbewusst Charaktereigenschaften wie Leistungsfähigkeit, Intelligenz und Kompetenz verbunden. Das sind Eigenschaften, die im Beruf von besonderer Bedeutung sind», so Althans.
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Fies: Schönheit und Erfolg bedingen sich nicht nur, sondern verstärken sich auch noch gegenseitig. Weil erstens «normschöne» Menschen weniger nachhelfen müssen, um noch attraktiver zu wirken. Und weil es sich mit der Schönheit zweitens ähnlich verhält wie mit der Gesundheit: Wer wohlhabend ist, hat im Durchschnitt mehr gesunde Lebensjahre als jemand, der arm ist – etwa, weil sie oder er nicht nur das notwendige Wissen, sondern auch das nötige Kleingeld hat, um sich gesund zu ernähren. Wer erfolgreich ist, dürfte im Durchschnitt über mehr Ressourcen verfügen, um seiner oder ihrer Attraktivität mittels Sport, Kleidung oder auch Botox einen zusätzlichen Boost zu verpassen.
Was aber heisst das für nach gängigen Normen «mittelmässig» aussehende Leute? Das Aussehen ist schwierig zu beeinflussen. Eine Möglichkeit sind zwar Schönheitsoperationen, aber das bringt laut dem Wissenschafter Althans nicht viel: «Schönheits-OP steigern die Attraktivität nicht massgeblich. Dasselbe gilt übrigens auch für Make-up.» Auch ein kleiner Mann mit schmalen Schultern kann sich kaum gross und breitschultrig schummeln. Was aber stimmt: Wer einen Eingriff macht, sich schminkt oder gezielt trainiert, fühlt sich besser. Das Selbstbewusstsein steigt. Und selbstbewusste Menschen wiederum gelten ebenfalls als attraktiv.
Es zählt die Ausstrahlung
Nicht die Schönheit, sondern die Ausstrahlung sei der ausschlaggebende Faktor, meint auch Ursula Bergundthal, selbstständige Personalexpertin und Geschäftsführerin von Solution Advisors. Sie kennt das Privileg der Schönen aus ihrem Alltag, akzeptiert jedoch nicht, dass Schönheit alleine auf objektiven Gesichtszügen beruht: «Wie wir wirken, hängt von drei Elementen ab: dem Aussehen, der Kleidung und dem Sympathiefaktor.»
Bergundthal führt weiter an: «Das Wichtigste ist die Ausstrahlung. Wer sich wohl fühlt, strahlt Selbstbewusstsein aus.» Klar, attraktive Leute hätten bereits einen Vorteil, weil sie gut aussehen. Ergänzen sie die Attraktivität etwa mit einem Lächeln, könne man sich ihnen nicht entziehen. Hier setze gar eine Echowirkung ein: Personen, die gut aussehen, haben im Schnitt ein höheres Selbstbewusstsein, was sich positiv auf ihre Arbeit und ihr Umfeld auswirkt. Es könne jedoch sein, dass attraktive Leute sich ihrer Schönheit bewusst sind und arrogant auftreten – dann verlieren sie jedoch laut der Expertin an Sympathiepunkten.
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Um dem Pretty Privilege entgegenzuwirken, gibt es mehrere Massnahmen. Eine, die man vor allem in den USA kennt, sind Bewerbungen ohne Bild. Der Hintergrund dort ist die Diskriminierung – ohne Bild sollen die Kompetenzen im Vordergrund stehen und nicht das Gesicht. Hierzulande ist es jedoch noch immer üblich, ein Bild von sich mitzuschicken – was Vorteile, aber auch Nachteile hat. «Das Bild hat einen Einfluss», so die Expertin, «aber jeder Mensch kann sich professionell ablichten lassen.» Es gilt: direkter Blick in die Kamera, gepflegtes Aussehen, als Frau leicht geschminkt und ein Lächeln. Das alles wirkt sympathisch und kompetent. Wer hingegen nur schlechte Fotos von sich besitzt, der sollte es besser sein lassen. «Schlechte Fotos, auf denen man unvorteilhaft aussieht, lassen dem Gegenüber Raum für ein unbewusstes Urteil.»
Wenn Schönheit problematisch wird
Schönheit birgt jedoch auch Schattenseiten. Während sie für einen schönen Mann im beruflichen Alltag primär vorteilhaft ist, kann Attraktivität für eine Frau Nachteile mit sich bringen. «Schönheit ist im beruflichen Alltag gerade für Frauen zweischneidig», so Bergundthal.
Es besteht die Gefahr, dass die Vorgesetzten nur mehr die Frau statt ihr Potenzial sehen. Es steht nicht ihr Können im Vordergrund, sondern ihre Schönheit. Noch schwieriger und auf einer subtileren Ebene findet jedoch etwas anderes statt: Viele Männer haben Mühe mit gut aussehenden Frauen, was wiederum eine Zusammenarbeit potenziell erschweren kann. «Entsprechend sollten Frauen darauf achten, wie sie wirken.» Denn schnell wechselt die Wahrnehmung vom professionellen Kontext auf die Feminität.
Deshalb empfiehlt Bergundthal gerade ihren Kundinnen, auf das Erscheinungsbild zu achten: gepflegt, aber eher klassisch gekleidet. Weniger Schminke im Arbeitsumfeld. Denn wer sich typisch weiblich stylt, wird auch eher mit weiblichen Eigenschaften assoziiert. Das wiederum kann beeinflussen, inwiefern jemand für eine Beförderung in Betracht gezogen wird. Diese Beurteilungen finden meistens völlig unbewusst statt.
Am Schluss gilt es jedoch, zu wissen, dass Attraktivität nur eines von vielen Attributen ist, das im Arbeitsleben zählt. Intelligenz, ein angenehmer Umgang mit den Mitmenschen, solide Leistungen, Selbstvertrauen und ein berufliches Netzwerk sind weitere Elemente. Und zuletzt: Schönheit ist auch relativ und wird sehr unterschiedlich wahrgenommen.