Schluss mit Crowdfunding-Stress
IV zahlt das teuerste Baby-Medikament der Welt

Verzweifelte Schweizer Eltern von Babys mit der schweren Krankheit SMA waren bisher für das teuerste Medikament der Welt von Novartis zu Crowdfunding gezwungen. Oder sie mussten auf die Novartis-Verlosung hoffen. Nun übernimmt die IV die Kosten, wie BLICK erfuhr.
Publiziert: 08.07.2020 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 13.07.2020 um 18:02 Uhr
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Die Eltern der kleinen SMA-Patientin Lea aus dem Kanton St. Gallen gelang es dieses Jahr, die Therapiekosten von Zolgensma mit Crowdfunding zusammenzutragen.
Foto: Screenshot
Claudia Gnehm

Jedes Jahr kommen in der Schweiz eine Handvoll Babys mit der zumeist tödlich verlaufenden Spinalen Muskelatrophie (SMA) auf die Welt. Eine neuartige sehr teure Gentherapie von Novartis ist seit letztem Jahr in den USA zugelassen und verbesserte den Zustand vieler Kleinkinder deutlich. Damit Kinder mit der seltenen Krankheit ausserhalb der USA eine Chance auf die Therapie haben, startete Novartis dieses Jahr ihre umstrittene Verlosung von 100 Therapien im Wert von je 2,1 Millionen Franken.

Zwar bewerben sich Eltern und die Ärzte in der Schweiz und Europa um ein Los für das teuerste Medikament der Welt. Doch den meisten bleibt nichts anderes übrig, als eine Crowdfunding-Aktion zu starten, um das Geld zusammenzubekommen.

Manchen gelingt das, wie den Eltern der neun Monate alten Lea aus dem Kanton St. Gallen, wie die «Rundschau» von SRF berichtete. Allen anderen fiel Anfang Woche ein Stein vom Herzen. Die Invalidenversicherung (IV) wird die Kosten neu übernehmen, wie das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) gemäss BLICK-Recherchen entschied.

Geschwindigkeit lebensentscheidend

Noch hat die Heilmittelbehörde Swissmedic Zolgensma in der Schweiz nicht zugelassen, und die IV-Anträge müssen diverse Bedingungen erfüllen. Aber gemäss neusten medizinischen Erkenntnissen ist es laut BSV vor allem wichtig, dass die Behandlung möglichst rasch beginnen kann. «Im Interesse des Erhalts der Muskelkraft des betroffenen Kindes zählt jeder Tag bis zur Behandlung», führt das BSV aus.

Die IV kommt bis zum 20. Altersjahr auf für die Kosten der zugelassenen Medikamente und Therapien bei Krankheiten, die als Geburtsgebrechen gelten. Für SMA-Patienten heisst das, dass je nach Krankenkasse eine wirksame Therapie, die ihnen bis zum 20. Altersjahr die IV bezahlt, plötzlich nicht mehr finanziert wird. Für die Patientenorganisation SMA Schweiz ist es unverständlich, dass Erwachsene, die seit ihrer Kindheit mit SMA leben, noch keinen Zugang zu einer stabilisierenden Therapie haben.

Ein kleiner Lichtblick für die rund 100 registrierten SMA-Patienten in der Schweiz gab es Anfang Monat. Das Bundesamt für Gesundheit hat die Gentherapie Spinraza des Biotechkonzerns Biogen für über 20-Jährige unter restriktiven Auflagen auf die Spezialitätenliste genommen. Das heisst, die Krankenkassen müssen nun für die Kosten aufkommen.

Therapien mit exorbitanten Preisen

Der Bundesrat hatte noch vor zwei Jahren die Aufnahme auf die Liste mangels Studien abgelehnt. Im Gegensatz zur Einmalspritze mit Zolgensma muss die Biogen-Therapie für Erwachsene mehrfach verabreicht werden. Sie kostet im ersten Behandlungsjahr rund 600'000 Franken. Die Pharmakonzerne sehen in solchen teuren Gentherapien als einen wichtigen Wachstumsmarkt. Die Basler Roche hat mit Risdiplam ein ähnliches Medikament wie Spinraza in der Pipeline, das im August in den USA für den Markt zugelassen werden soll.

Novartis hat letztes Jahr mit einer anderen Gentherapie für Schlagzeilen gesorgt. Das neue ultrateure Krebsmedikament Kymriah, das in Stein AG hergestellt wird, ist für einige Krebspatienten die letzte Hoffnung. Eine Behandlung kostet aber 370'000 Franken, und nicht alle Krankenkassen wollen dafür aufkommen. Die Krebsliga sowie SMA Schweiz fordern einen fairen Zugang zu den neuen Therapien für alle, damit kein Patient von Crowdfunding und Gutdünken der Krankenkasse abhängig ist.

Trotz Kritik hält Novartis übrigens an der Verlosung von Zolgensma fest. «Wir haben keinen alternativen Ansatz gefunden, der den Bedenken der Gemeinschaft voll und ganz Rechnung tragen würde», sagt Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto auf Anfrage von BLICK.


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