Schärfere Homeoffice-Regelungen
Schweizer Firmen pfeifen Angestellte zurück ins Büro – das sorgt für Ärger

Immer mehr Schweizer Firmen verschärfen die Homeoffice-Regeln – ganz zum Ärger der Mitarbeitenden. Der wahre Grund für die Rückkehr ins Büro sorgt für Zündstoff. Und Experten warnen vor einem Rückfall ins Steinzeitalter.
Publiziert: 27.02.2025 um 13:10 Uhr
|
Aktualisiert: 27.02.2025 um 14:28 Uhr
1/5
Leere Büros, volle Homeoffices: Immer mehr Schweizer Unternehmen verschärfen ihre Homeoffice-Regeln.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
tina_fischer.jpg
Tina Fischer
Handelszeitung

Der Nächste, bitte: Nun fordert auch Raiffeisen Schweiz wieder mehr Präsenz im Büro: Ab Juni müssen die Mitarbeitenden an mindestens drei Tagen pro Woche physisch vor Ort sein, zuvor war nur ein Tag Präsenz Pflicht. Gegenüber der «Handelszeitung» deuteten erste Mitarbeitende an, dass sie mit einem Stellenwechsel liebäugeln. Doch das dürfte schwierig werden.

Die Verschärfung der Homeoffice-Regeln macht schweizweit Schule. Schindler, Sulzer, Swatch, Novartis und Swisscom, sie alle haben ihre Flex-Modelle angezogen. Bei vielen pendelt sich ein Verhältnis von drei zu zwei ein: mindestens drei Tage im Büro, zwei zur freien Wahl.

Das passt vielen Mitarbeitenden nicht. Sie haben sich während der Corona-Zeit an ihr Homeoffice gewöhnt und wollen die Freiheiten nicht aufgeben. Unternehmensleitungen dagegen wünschen, ihre Leute wieder öfter im Büro anzutreffen. Viele begründen den Entscheid mit blumigen Floskeln, die Rede ist von optimierter Zusammenarbeit und gestärktem Teamgeist.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dabei ist der Hauptgrund ein anderer, wie ein Unternehmer gegenüber der «Handelszeitung» in klaren Worten sagt: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Im Homeoffice hätten zu viele Leute gefaulenzt, die Arbeit habe gelitten. Entsprechend gehörten die Mitarbeitenden wieder ins Büro.

Steinzeit-Verhalten, wer alles kontrollieren muss

Es ist eine Erklärung, die der HR-Experte Matthias Mölleney sehr gut kennt – und die er als «Steinzeit-Verhalten» abtut. «Die Vorstellung ist abstrus, dass nur produktiv ist, wer am Arbeitsplatz sitzt.»

Unternehmen müssten viel mehr adressieren, was die Tätigkeiten ihrer Mitarbeitenden umfasse: kreatives Arbeiten oder in Ruhe einen Text schreiben, E-Mails beantworten oder gemeinsame Geschäftsabläufe optimieren. Auch ein Dorn im Auge sind ihm Unternehmen, die personalpolitische Entscheide fällen: «Nicht dürfen, weil andere nicht können, das ist ein absurdes Argument.»

Als Beispiel führt Mölleney den Detailhändler Coop an. Er schickte seine Leute während Corona ins Homeoffice. Das wiederum sorgte in den Filialen für schlechte Stimmung. In der Folge – und auch heute noch – erwartet Coop seine Bürolistinnen und Bürolisten an mindestens vier Tagen die Woche im Büro. Viele murren noch heute über die Regelung, sie haben sich aber mittlerweile daran gewöhnt.

Präsenzzeit in kleineren Teams besprechen

Die Gewöhnung ist ein Weg, lieber wäre es dem Personalexperten aber, wenn Firmen ihren Leuten aufzeigen, was der effektive Mehrwert der Präsenz im Büro ist. Denn wer im Büro und zu Hause genau die gleiche Arbeit erledige, profitiere auch nicht von physischen Treffen. «Die Führungskraft argumentiert dann, dass sie nicht sicher sei, ob die Mitarbeitenden zu Hause effektiv arbeiteten.» Nur: «Wer dieses Vertrauen nicht hat, hat ein Führungsproblem.»

Entsprechend plädiert er dafür, dass Unternehmen die Freiheiten in der Einteilung der Präsenzzeit in kleineren Teams besprechen. «Die kleinstmögliche Einheit soll das Thema für sich lösen», so Mölleney. Sie wisse am besten, welche Tätigkeiten das Team erledigt, und kann darauf aufbauen.

Den Arbeitnehmenden psychologisch die Kontrolle geben

Diese Einschätzung teilt Erika Meins. Sie steht dem Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich vor, das auch zu digitalem Stressmanagement forscht. Seine Erkenntnisse präsentiert das Lab ab nächster Woche an der Ausstellung «Ctrl + Alt + Relax: Eine Ausstellung zum Durchatmen» am Mobiliar-Hauptsitz. Dass es eine ganze Ausstellung zur digitalen Arbeitswelt braucht, liegt daran, dass «digitale Technologien unsere Arbeitswelt revolutioniert haben». Die Spielregeln für die Zusammenarbeit müssten deshalb neu definiert werden. «Ein Optimum, das für alle gilt, gibt es nicht», so Meins.

Deshalb sollten Führungskräfte heute Leitplanken für flexibles Arbeiten setzen, gleichzeitig aber ihre Teams ermuntern, im Rahmen dieser selbst zu definieren, was für sie der beste Mix aus Homeoffice und Büro-Präsenz sei. Diese Team-Definition beinhalte auch eine psychologische Komponente; der Arbeitnehmende erhalte ein Mitspracherecht, das ganze Team ziehe an einem Strick.

Die Idee der Arbeit im Büro ist auch, dass die Arbeitsabläufe reibungslos funktionieren – «für das gute Funktionieren von Teams sind physische Treffen wichtig». Diese betriebliche Notwendigkeit ist laut der Expertin aber nur eine Seite. Denn die Arbeit vor Ort wirke sich auch auf die individuelle Leistungsfähigkeit und das Wohlergehen jedes einzelnen aus: «Wir Menschen brauchen sensorische Stimuli», sagt Meins. «Schauen wir den ganzen Tag auf den Bildschirm, fehlt die Abwechslung.» So führen Sitzungen in wechselnden Büroräumen mit unterschiedlichen Distanzen zu anwesenden Kolleginnen dazu, dass sich die Leute das Gesagte besser merken können.

Die digitale Ablenkung stört mehr als der Kollege am Arbeitsplatz

Einen Einwand führen Büro-Kritiker immer wieder an: Sie würden im Büro eher abgelenkt als zu Hause. Das kann laut Meins tatsächlich ein Nachteil sein, doch den habe man auch zu Hause, wenn beispielsweise die Waschmaschine piepst. Problematischer seien dauernde digitale Arbeitsunterbrüche: «Bimmelt das Handy mit Nachrichten oder ploppt ein neues Mail auf, dann ist das ein Arbeitsunterbruch», so Meins. Das wiederum stört die Konzentration. Die Forschung zeige, dass die vielen Unterbrüche den Stress der Angestellten erhöhen.

Auch vor vermeintlichem Multitasking warnt sie: «Während des Teams-Calls noch eine Meldung schreiben oder einer Kollegin antworten, das sind serielle Mini-Arbeitsunterbrüche. Sie wirken sich negativ auf die Leistungsfähigkeit und das Stresslevel aus.» Als Lösung sieht sie zwei Möglichkeiten: Einerseits seien die Arbeitnehmenden in der Verantwortung, das Selbstmanagement werde noch wichtiger. Anderseits müssten Arbeitgebende Rahmenbedingungen setzen, und das Team müsse klar definieren, wer wann erreichbar ist.

Die Erreichbarkeit hängt auch mit dem Boundary-Management zusammen. Die Fähigkeit, eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, gestaltet sich im Homeoffice viel schwieriger. Wer aber im Büro arbeitet, kann das einfacher unterscheiden: Erreichbar im Büro, nach der Heimreise startet die Zeit fürs Privatleben. Dank dieser räumlichen Verschiebung trennen die Leute bewusster zwischen den zwei Welten, was sich wiederum positiv auf das individuelle Stresslevel auswirkt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.