Auf einen Blick
- SBB-Präsidentin Monika Ribar spricht über Kapazitätsprobleme und Ausbau des Bahnangebots
- Neue internationale Verbindungen geplant, Fokus bleibt auf Schweizer Hauptgeschäft
- Ausbauschritt 2035 soll Sitzplatzanzahl um 20 Prozent erhöhen
Dichtestress im Stossverkehr: Überfüllte S-Bahnen gehören zur täglichen Routine vieler Pendler. Auch auf Paradestrecken wie Zürich - Bern herrscht Platznot. Dabei fuhren die SBB im letzten Jahr schon einen Passagierrekord ein. Der Bahnverkehr am Anschlag ist auch ein Fokusthema von SBB-Präsidentin Monika Ribar (65), die am Rande der Jahresmedienkonferenz in Bern Stellung zu den Brennpunkten der Bahn nimmt.
Blick: Die Fahrgastzahlen sind so hoch wie noch nie. Gerade in den grossen Zentren sind die S-Bahnen komplett überfüllt. Ist eine Grenze erreicht?
Monika Ribar: In den grossen Zentren wie Zürich stossen wir zu Spitzenzeiten an Kapazitätsgrenzen. Deshalb muss das Bahnangebot weiter ausgebaut werden. Und wir sind dabei, ältere Züge durch neue zu ersetzen. In diesen Doppelstockzügen können wir mehr Fahrgäste befördern. Wir können keine noch längeren Züge einsetzen, weil die Perronlänge dafür nicht ausreicht.
Müssen Fahrgäste mit mehr Stehplätzen vorliebnehmen?
Unsere Prognosen zeigen: Wenn wir nichts tun, dann kommt es bis 2050 auf zahlreichen Strecken zu Stehplätzen, punktuell können Reisende gar nicht erst mitfahren, weil Züge überfüllt sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Bahn weiter ausbauen und Kapazitätsengpässe beseitigen.
Fahrgäste auf Randzeiten umzulenken, ist Wunschdenken, oder?
Mit den Sparbilletten tragen wir zu Verschiebungen bei. Sparbillette gibt es ja nur zu Nebenverkehrszeiten. Wir sind verschiedene Projekte angegangen, und haben beispielsweise mit Schulen geprüft, ob sie den Schulstart verschieben können. Aber das hat nur teilweise Früchte getragen. Unsere Gesellschaft und unser System sind nun mal auf die Hauptverkehrszeiten ausgerichtet. In den meisten Unternehmen fangen die Angestellten morgens zwischen 8 Uhr und 9 Uhr an zu arbeiten.
Monika Ribar (65) ist seit 2016 Verwaltungsratspräsidentin der SBB. Die Schweizer Managerin stieg ab 1991 beim Logistikkonzern Panalpina die Karriereleiter bis zur CEO hoch. Seit ihrem dortigen Abgang 2013 amtete sie in Verwaltungsräten mehrerer Grossunternehmen wie Sika oder Lufthansa. Noch-Implenia-Chef André Wyss (57) soll Ribar 2026 als VR-Präsidentin ablösen. Ribar ist verheiratet und wohnt in Rüschlikon ZH.
Monika Ribar (65) ist seit 2016 Verwaltungsratspräsidentin der SBB. Die Schweizer Managerin stieg ab 1991 beim Logistikkonzern Panalpina die Karriereleiter bis zur CEO hoch. Seit ihrem dortigen Abgang 2013 amtete sie in Verwaltungsräten mehrerer Grossunternehmen wie Sika oder Lufthansa. Noch-Implenia-Chef André Wyss (57) soll Ribar 2026 als VR-Präsidentin ablösen. Ribar ist verheiratet und wohnt in Rüschlikon ZH.
Wo liegt der Fokus beim künftigen Angebotsausbau?
Mit dem Ausbauschritt 2035 soll die Anzahl Sitzplätze um 20 Prozent erhöht werden. Der Fokus liegt hier auf den Ballungszentren, wo wir am meisten Verkehr haben. Zudem wollen wir im Fernverkehr flächendeckend den Halbstundentakt, auf vielen Strecken gar den Viertelstundentakt einführen. Dieser Ausbau wird aber teilweise bis in die 2040er Jahre hinein dauern.
Die Projekte kosten Milliarden. Müssen Fahrgäste mit steigenden Preisen rechnen?
Mittlerweile sprechen wir beim Ausbauschritt 2035 von einem Volumen von rund 30 Milliarden Franken. Das wird aus dem Bahninfrastrukturfonds bezahlt, aus dem gleichzeitig auch der steigende Substanzerhalt und Betrieb finanziert werden müssen. Bei solchen Summen müssen wir zwingend das System als Ganzes betrachten. Wie entwickelt sich der Verkehr? Was ist notwendig und was überhaupt mach- und finanzierbar? Der Bahninfrastrukturfonds ist nicht unerschöpflich. Und man darf nicht vergessen, dass mit jedem Projekt der Unterhalt weiter ansteigt.
Das ist keine Antwort auf meine Frage. Wie sieht es mit den Fahrpreisen aus? Der GA-Preis wurde zuletzt ja 2023 erhöht …
Und ist davor sieben Jahre lang konstant geblieben, während die Konsumentenpreise um 4.5 Prozent zugelegt haben. Wir können nicht wie andere Unternehmen einfach unsere Preise erhöhen. Preiserhöhungen werden innerhalb des Dachverbands, der Alliance Swisspass, bestimmt. Zudem spricht bei den Preisen die Politik ein Wörtchen mit, wie stark der ÖV finanziell unterstützt werden soll, und auch der Preisüberwacher.
Mit einem geplanten EU-Deal sollen künftig ausländische Anbieter allein in der Schweiz internationale Reisen anbieten können. Wie realistisch ist es, dass der Billiganbieter Flixtrain bald durch die Schweiz fährt?
Bei dieser geplanten Liberalisierung gibt es noch viele offene Fragen. Beispielsweise, ob dieser EU-Deal kommt und wann. Theoretisch könnte Flixtrain bereits heute mit uns zusammenarbeiten und in die Schweiz fahren.
Hat es für andere Anbieter auf Schweizer Gleisen überhaupt noch Platz?
Das Netz ist so dicht befahren, dass es ausserhalb des Taktfahrplans tatsächlich kaum mehr Platz für zusätzliche Verbindungen gibt.
Stehen Sie denn mit Flixtrain im Austausch?
Wir haben in den letzten zwei Jahren mehrere Gespräche mit Flixtrain geführt.
Die SBB planen selbst neue Verbindungen nach Italien, Deutschland und träumen von London. Warum?
Neue Angebote im internationalen Personenverkehr beruhen ganz klar auf einem Kundenwunsch. Die Nachfrage nach solchen Verbindungen ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Hier betreten wir einen liberalisierten Markt und unsere Angebote wie Zürich-Paris müssen wirtschaftlich sein. Wir müssen damit Geld verdienen können.
Das hört sich aus unternehmerischer Sicht spannender an als der unlukrative Regionalverkehr in der Schweiz …
Internationale Verbindungen werden auch künftig ein kleiner Teil unseres Gesamtgeschäfts bleiben. Unser Hauptgeschäft ist die Schweiz. Dort liegt unser Fokus.
Fahrgäste nerven sich nach wie vor wegen den schüttelnden FV-Dosto-Zügen. Wann beginnen Sie mit dem Umbau?
Zurzeit erstellen wir gemeinsam mit Alstom einen Prototypen für ein optimiertes Drehgestell, das den Fahrkomfort weiter verbessern soll. Ein Testzug ohne Kunden sollte Mitte 2025 für erste Tests auf der Schiene sein. Die erforderlichen Tests dauern rund ein Jahr. Danach wissen wir, ob eine Neuzulassung mit den Änderungen erteilt wird. Erst dann können wir entscheiden, ob die ganze Flotte umgebaut werden kann. Falls ja, könnte der Umbau voraussichtlich ab 2027 bis Anfang der 2030er-Jahre erfolgen.
Personenverkehrschef Linus Looser wechselt intern. Können Sie bald einen Nachfolger für diesen wichtigen Posten der SBB präsentieren?
Wir haben erst vergangene Woche entschieden, dass Looser die Infrastruktur übernimmt. Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin läuft.
Bauen Sie mit Herrn Looser den künftigen Nachfolger von CEO Vincent Ducrot auf, der bald seinen 63. Geburtstag feiert?
Das muss ich nicht mehr entscheiden (lacht). Es ist ein Thema für meinen Nachfolger, der im nächsten Jahr übernimmt. Wir verfügen intern über mehrere Mitarbeiter auf einem Niveau, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Vincent Ducrots Nachfolge wird der Verwaltungsrat in den nächsten Jahren regeln. Ich hoffe sehr, dass man einen internen Kandidaten findet.
Die grösste Baustelle der SBB ist der Güterverkehr, der zum x-ten Mal neu ausgerichtet wird. Warum sollte es dieses Mal klappen?
Das ist eine berechtigte Frage. Ich glaube an die Neuausrichtung, weil wir den Mut hatten, neu zu denken. Wir haben den Güterverkehr in der Vergangenheit zum Teil zu Tode gespart, damit er in die schwarzen Zahlen fährt und deshalb nicht mehr investiert. Das fällt uns heute auf die Füsse. Das Rollmaterial ist überaltert und wir können den Kunden keine zuverlässigen Dienstleistungen anbieten. Indem wir das Modell im Einzelwagenladungsverkehr neu denken, bin ich überzeugt, dass wir den Güterverkehr auf Kurs bringen. Auch die Mitarbeiter spüren, dass es in eine neue Richtung geht und sind hochmotiviert.
Der Schuldenberg ist gewachsen, die SBB müssen sparen und trotzdem stellt man im letzten Jahr 600 neue Leute ein. Wie passt das zusammen?
Wir setzen ein Spar- und Effizienzprogramm über sechs Milliarden Franken um, mit dem wir dieses Kostenwachstum bremsen. Aber solange unser Geschäft wächst, brauchen wir zusätzliches Personal im Kerngeschäft wie Zugbegleiter oder Lokführerinnen. In der Verwaltung ist der Personalbestand nur leicht gestiegen. Zudem arbeiten wir an drei sehr grossen Digitalisierungsprojekten zur Effizienzsteigerung. Und auch vom Bereich KI versprechen wir uns viel und hier läuft bereits einiges.
Sie treten nächstes Jahr vom Präsidium ab. Kritiker werfen Ihnen vor, keine grossen Würfe bei den SBB gelandet zu haben. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Ich ziehe im nächsten Jahr Bilanz (lacht). Im Parlament hat mich mal jemand gefragt, wann wieder ein Projekt wie die Bahn 2000 kommt. Die Bahn 2000 wurde in den 80er-Jahren geplant und hat uns den Taktfahrplan ermöglicht. Diesen einen grossen Wurf braucht es heute nicht mehr.
Aber?
Was wir heute mit den Kapazitätsausbauten und dem Viertelstundentakt planen, ist ebenfalls ein Riesenschritt. Wir sind eines der wenigen Länder, das bereits heute über den Fahrplan 2045 oder noch später nachdenkt und darüber, was wir dafür brauchen. Ich glaube, in meinen neun Jahren als Präsidentin haben wir in dieser Hinsicht einiges erreicht.
Was wollen Sie im letzten Amtsjahr noch erreichen bei den SBB?
Im Verwaltungsrat haben wir klare Zielsetzungen für 2025. Dazu gehört das Thema internationaler Personenverkehr, in dem wir einen interessanten Markt für uns sehen. Hinzu kommt der Güterverkehr und natürlich die Digitalisierungsthemen.