So dunkel waren die Wolken schon länger nicht mehr über Interlaken BE. Normalerweise herrscht auch meteorologisch eitel Sonnenschein, wenn sich die Schweizer Wirtschaftselite für zwei Tage im Berner Oberland zum Swiss Economic Forum trifft.
Doch an der Ausgabe 2024 ist die Stimmung unter den Patrons und Chefinnen der Schweizer KMU deutlich getrübt, viele spüren den rauen Gegenwind. In einer Umfrage im Kongresssaal stimmte Mehrheit der Anwesenden der Aussage, dass die wirtschaftliche «Lage angespannter» sei, zu.
Einzig Swissmem-Präsident Martin Hirzel (54) gab Gegensteuer und rief in den Saal: «So schlecht sind wir gar nicht drauf!» Und ergänzte: «Die Schweizer Industrie ist keine Jammertruppe, im Gegenteil.» Die Branche sei sich das zyklische Geschäft gewohnt und bleibe zuversichtlich. «Wir haben aktuell ein paar positive Signale, dass wir vielleicht noch in diesem Jahr die Talsohle dieses Abschwungs durchschreiten könnten.»
«Ein widerstandsfähiges, kleines Land»
Immerhin: Nassim Nicholas Taleb (64), der mit dem «Schwarzen Schwan» einen Weltbestseller geschrieben und die Finanzkrise 2008 vorausgesagt hatte, hat viel Lob für die Schweiz übrig: «Ein kleines, widerstandsfähiges Land mit einer tiefen Staatsverschuldung.»
Ein schwarzer Schwan ist ein unvorhersehbares Ereignis, das alle auf dem falschen Fuss erwischt – wie eben damals der Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA. Nicht dass aus dem Pessimisten Taleb plötzlich ein Optimist geworden wäre, denn er warnte vor den «Weissen Schwänen». Also Dinge, die jeder sieht, aber viele oft falsch einschätzten.
Wie etwa die Gefahr eines Konfliktes mit China: «Wer bitte soll einen Krieg mit einem Land anzetteln, von dem er seine ganze Einrichtung und all die technischen Gadgets bezieht», so Taleb. Auch China sei sich der Abhängigkeit von den kaufkräftigen Märkten im Westen durchaus bewusst. Seine grösste Sorge gilt derzeit der US-Staatsverschuldung, die langfristig zur Absetzung des Dollars als Weltwährung Nummer 1 führen könnte.
«Wir Finnen waren besonders naiv»
Ganz anders als der ehemalige Börsenhändler Taleb fand Sanna Marin (38) deutliche Worte. Die ehemalige Ministerpräsidentin von Finnland sagte: «Wir müssen unsere Werte um jeden Preis verteidigen, um autoritäre Staaten nicht zur Aggression zu ermuntern.» Diese Werte seien der freie Handel und eine auf verlässlichen Regeln beruhende Weltordnung. «Wir waren alle naiv, als wir glaubten, Russland würde es nie wagen, ein europäisches Land anzugreifen», so Marin. «Und besonders naiv waren wir Finnen.»
Zur Verteidigung der Werte gehört für Marin auch, dass die Wertschöpfungsketten wieder zurück Europa geholt werden müssen. Dafür gab es von den Patrons wohlwollenden Applaus. Denn davon würden auch viele Firmen in der Schweiz profitieren.
Was viele in der Schweiz dagegen nicht gerne gehört haben dürften: Für Marin ist klar, dass die weltweit blockierten Oligarchengelder direkt oder indirekt für den Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden sollen. Russland dürfe den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen, nur so können sich etwas verändern: «Revolutionen in Russland gab es immer nach Niederlagen», so die ehemalige finnische Ministerpräsidentin.