«Die Belastungen waren enorm, ich habe oft geweint»
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Rhea K. wurde ausgebeutet:«Die Belastungen waren enorm, ich habe oft geweint»

Rhea K. (22) erlebte die Hölle in Schweizer Billig-Nagelstudios
«Ich habe jeden Tag irgendeine Form von Ausbeutung erlebt»

Die 22-jährige Griechin Rhea K. weiss, was es heisst, in jungen Jahren bereits viel durchgestanden zu haben. Mit 19 wurde sie Opfer ausbeuterischer Praktiken zweier Nagelstudios in Zürich. Zwei Jahre lang ging sie durch die Hölle. Jetzt erzählt sie ihre Geschichte.
Publiziert: 07.01.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2025 um 10:22 Uhr
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Rhea K. kam 2021 mit ihrem Partner aus Griechenland mit viel Hoffnung im Gepäck in die Schweiz.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Griechin erlebt Ausbeutung in Zürcher Nagelstudios und gründet eigenes Studio
  • Prekäre Arbeitsbedingungen und Verstösse gegen Arbeitsgesetze in asiatisch geführten Studios
  • Jedes zweite kontrollierte Nagelstudio im Kanton Bern arbeitet nicht sauber
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Schwarzes Shirt, dunkelblaue Jeans und graue Turnschuhe. Als Rhea K.* (22) Blick kurz vor Feierabend zum Gespräch empfängt, trägt sie noch ihr Arbeitsoutfit. Die dunkle Kleidung macht den weissen Feinstaub darauf sichtbar. «Der kommt vom Fingernägel-Feilen», entschuldigt sich die junge Griechin, als sie an sich hinunterblickt. Als sogenannte Nailartistin, wie ihr Beruf im Fachjargon heisst, verdient sie ihren Lebensunterhalt. Heute – als Selbständige im Kanton Zürich – kann sie überzeugt sagen, dass sie jede einzelne Stunde ihrer Arbeit liebt. Das war aber nicht immer so.

Mit viel Hoffnung auf bessere berufliche Perspektiven als in Griechenland im Gepäck ist K. mit ihrem Freund 2021 in die Schweiz gekommen. Ihr Ziel: ein eigenes Nagelstudio zu eröffnen. Zuvor wollte sie sich aber ordentlich im Metier ausbilden lassen. «Eine Freundin hat mir empfohlen, mich bei einem der vielen Nagelstudios in Zürich zu bewerben. Dort könne man leichtes Geld verdienen», erzählt K. Sie folgte aus heutiger Sicht zu leichtgläubig dem Rat, will ihren richtigen Namen darum nicht in den Medien lesen.

Prompt gerät die junge Frau in das verworrene Netz dubioser, vietnamesisch geführter Billig-Nagelstudios. Der Traum einer glitzernden Zukunft in der Schweiz wird schnell zum infernalen Albtraum.

Angelockt durch falsche Versprechen

«Bei meinem damaligen Arbeitgeber habe ich jeden Tag irgendeine Form von Ausbeutung erlebt», erinnert sich die Nailartistin. Weil ihr die Berufserfahrung als Profi fehle, wie es hiess, müsse sie sich als «Lehrling» anstellen lassen, bekam K. zu hören. Wenn sie 3000 Franken zahle, werde das Studio für ihre Ausbildung sorgen. «Meine Chefin hat mir zugesichert, dass ich in drei Monaten bereit bin, Kundinnen zu bedienen», so K.

Von ihrem Ersparten gab sie der Betreiberin die Summe bar auf die Hand. Wenig später eröffnete ihr die Chefin, dass sie während dieser drei Monate keinen Lohn erhalten würde. Eine richtige Ausbildung gab es allerdings nicht. «Die ‹Lektionen› bestanden darin, dass ich einer völlig überarbeiteten Kollegin bei der Arbeit zuschaute. Üben – an Kundinnen oder am Modell – durfte ich nicht.»

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«Es wurde nicht sichergestellt, dass wir angemessenen Arbeitsschutz tragen.»
Rhea K. (22)
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Ein Arbeitsvertrag? Fehlanzeige. Mehrmals fragte K. nach. Immer gab es Ausreden: «Ich habe es vergessen. Morgen bringe ich ihn mit.» Ein Jahr lang hielt die Griechin durch. Einen Vertrag hatte sie auch am Ende noch keinen. In dieser Zeit fielen K. zahlreiche Verstösse gegen das Arbeitsgesetz auf.

«Normalerweise trägst du beim Arbeiten eine Maske und Handschuhe», so K. «Du kommst mit verschiedenen Lösungsmitteln in Kontakt. Die Mikropartikel, die vom Feilen in die Luft gelangen, und das ständige Einatmen von Aceton- und Acryllösung können sehr schädlich für den Körper sein. Es wurde nicht sichergestellt, dass wir angemessenen Arbeitsschutz tragen.» Die anderen Angestellten – neben K. ausschliesslich Vietnamesen und Vietnamesinnen – hätten auf sie kränklich gewirkt. «Sie hatten gelb verfärbte Fingernägel, belegte Stimmen und ständig Hustenanfälle», erinnert sie sich.

Ausbeutung in Billig-Nagelstudios

Prekäre Lohn- und Arbeitsbedingungen sind in asiatisch geführten Nagelstudios keine Seltenheit, weiss Alexander Ott (61). Er ist Chef der Berner Fremdenpolizei und Experte für Menschenhandel.

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«Jedes zweite Studio, das wir überprüfen, arbeitet nicht sauber.»
Alexander Ott (61)
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Seit Jahren befasst er sich mit den Arbeitsbedingungen in Nagelstudios und führt regelmässige Kontrollen im Kanton Bern durch. «Jedes zweite Studio, das wir überprüfen, arbeitet nicht sauber», sagt er zu Blick. Manche hätten gefälschte Verträge. Manche Angestellte mussten ihre Ausweispapiere abgeben. Sogar Fälle von Menschenhandel liegen ihm vor. Junge und Migranten – oftmals aus Vietnam – seien besonders betroffen, so Ott.

Nach drei Monaten schliesslich liess ihre Arbeitgeberin K. Kundinnen bedienen. Weil ihr die Ausbildung und Übung fehlten, brauchte sie zu Beginn fast dreimal so lange für die Nägel ihrer Kundinnen wie vorgesehen. «Ich hatte keine Zeit, während der Arbeit zu essen.» Am späten Abend fiel K. nach bis zu zwölf Stunden Arbeit völlig erschöpft ins Bett. «Ich weinte fast jeden Tag», erzählt sie mit brüchiger Stimme.

K. erhielt ihren ersten Lohn bar ausbezahlt: 3000 Franken für die ersten drei Monate nach der Fake-Ausbildung – ohne AHV- oder PK-Abzüge. Ein klassischer Fall von Lohndumping, bestätigt Ott. Anschliessend gab es auf die Hand jeweils 1000 Franken pro Monat. «Mit diesem Gehalt kann niemand in der Schweiz leben. 1000 Franken pro Monat sind weder orts- noch branchenüblich.»

Nach einem Jahr im Studio war für K. Schluss. Danach konnte sie die Situation nicht mehr ertragen, wie sie sagt. Der Druck, die finanziellen Sorgen, die Migräneattacken. Zwei Monate ohne Arbeit folgten. Dann hoffte K. auf bessere Bedingungen in einem anderen Studio.

Alte Leier in neuem Studio

Aber auch dort wird sie nur knapp ein Jahr bleiben – sechs Tage Arbeit die Woche und bis zu zwölf Stunden Arbeit pro Tag waren die Regel. Wieder musste sie drei Monate lang «ausgebildet werden», erhielt immerhin monatlich 1090 Franken. Den ihr vorgelegten, auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag hat sie bis zum Schluss nicht unterschrieben. «Weil darin stand, ich müsse eine Busse von 10’000 Franken zahlen, wenn ich vorzeitig kündige», so K.

Beim dritten Anlauf trifft K. auf ein seriöses Nagelstudio. «Zum ersten Mal wurde ich fair behandelt», sagt sie. Ein volles Jahr regelmässiges Einkommen verhalfen ihr schliesslich zum Schritt in die Selbständigkeit. Und das offenbar mit Erfolg. Im Dezember waren alle Termine ausgebucht, sagt sie stolz.

Rückblickend sei sie schlauer. Die zwielichtigen Nagelstudios hätten sie «schamlos» ausgenutzt, wohlwissend, dass die Griechin nicht mit den Gegebenheiten und der Gesetzeslage in der Schweiz vertraut ist. K: «Ich habe mich massiv ausnutzen lassen. Das passiert mir nicht wieder.»

* Name geändert

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