«Shopping bedeutet für mich Glück»
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Kaufsüchtige über Motivation:«Shopping bedeutet für mich Glück»

Wenn Kaufen zur Sucht wird
«Habe mich nur wohlgefühlt, wenn ich kaufte»

Wer sich schöne Dinge kaufen kann, dem geht es gut. Doch der Schein trügt: Shopping kann auch zur Sucht werden. Betroffene häufen Schulden an. Und kommen aus der Falle nicht mehr raus. Blick hat mit zwei Frauen über ihre Sucht gesprochen.
Publiziert: 23.01.2023 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2023 um 15:06 Uhr
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Im Kaufrausch: Kaufsüchtige können nicht aufhören, zu shoppen. Schulden hin oder her.
Foto: STEFAN BOHRER
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Milena KälinRedaktorin Wirtschaft

Shoppen ist für viele die normalste Sache der Welt. Eine neue Hose dort. Eine neue Jacke da. Der Pulli würde auch noch gut dazu passen. Aber nicht für alle ist Lädele ein gemütliches Hobby. Bei manchen entwickelt sich Shopping zur Sucht. Und damit zum Problem. Vor allem finanziell.

Wie bei Emma N.* (56). Sie leidet an Kaufsucht. «Es war ein schleichender Prozess», sagt sie. «Irgendwann habe ich mich nicht mehr wohlgefühlt, wenn ich nichts gekauft habe.»

Stressiger Job als Auslöser

Emma N. jettete für ihren Job in der ganzen Welt herum. «Ich war im Management tätig. Es war sehr, sehr stressig.» Dies habe die Entwicklung der Kaufsucht begünstigt. Mehr will sie zu ihrem Job nicht verraten. Auch ihr Gesicht will sie aus Scham nicht zeigen.

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«Wenn man eine Sache kauft, bricht wie ein Damm.»
Emma N.* (56)
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Auf ihren Geschäftsreisen hat N. an Flughäfen Powershopping gemacht, wie sie es nennt. Tausende Franken hat sie für Kleider, Taschen und Schuhe ausgegeben. Wie fühlt sich das an? «Wenn man etwas kauft, bricht ein Damm. Ich kann nicht mehr aufhören», sagt sie.

Zu dieser Zeit habe sich Emma N. in einer sehr oberflächlichen Welt bewegt. In ihrem Job ging es um hohe Summen. «Ich habe den Bezug zum Geld verloren.»

Nach einem Burnout und dem Verlust ihres Jobs liess sie 2014 ihre Kaufsucht in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) in Basel stationär behandeln. Die einzige Anlaufstelle in der Schweiz, wo man Verhaltenssüchte stationär therapieren lassen kann.

Es ist egal, was man anhat

Dort wurden all ihre Kleider in Abfallsäcke gepackt. Die Betreuerin zog jeden Morgen ein Oberteil und eine Hose heraus, die Emma N. dann tragen musste. «Damit wollte man mir zeigen, dass es egal ist, was man anhat», erinnert sich N. Der Drang, neue Sachen zu kaufen, hat nachgelassen. «Das war die grösste Befreiung.»

Mittlerweile hat sie ihre Ausgaben im Griff. Und bezahlt ihre Schulden zurück. Ganz weg sei die Sucht aber nicht. «Von diesem Gedanken habe ich mich verabschiedet», sagt sie. Die Schnäppchen-Zeit sei besonders schwer.

Im Moment macht sie eine Schuldenbereinigung. «Deshalb steht mir nicht so viel Geld zur Verfügung», sagt sie. Wie viele Schulden sie hat, verrät sie nicht. Inzwischen besitzt N. keine Kreditkarte mehr und macht keine Käufe mehr auf Rechnung.

Kontostand im Minus

Das hat Beatrice W.* (28) noch nicht geschafft. Vor vier Jahren sprach ihre Psychotherapeutin erstmals das Thema Kaufsucht an, als sie wegen Angstzuständen in Therapie war. Ernst genommen hat sie es nicht.

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«Kaum habe ich meine Rechnungen bezahlt, bin ich eigentlich immer im Minus.»
Beatrice W.* (28)
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«Kaum habe ich meine Rechnungen bezahlt, bin ich fast immer im Minus», sagt sie. Bis zu 3000 Franken. Die Bank stört es nicht. Schulden habe sie nur «geringfügige» bei ihrem Vater.

Beatrice W. shoppt vor allem online. Ihre Inspiration: Social Media. Von überall hagelt es Komplimente. Für ihre Outfits, die Einrichtung ihrer Wohnung, ihre Mercedes A-Klasse. Der Wagen ist geleast.

Keine Lust auf Retouren

Die Päckli stapelten sich zu Hause. Auch wenn nicht alle Kleider perfekt passten, behalten hat sie diese dennoch. «Ich hatte keine Lust, sie zurückzuschicken.»

Seit Beatrice W. von zu Hause ausgezogen ist, will sie ihre Sucht besser in den Griff bekommen. Für ihre Wohnung hat sie sich trotzdem einiges gegönnt. «Ich habe für 1000 Franken eine riesige Lounge für den Balkon gekauft. Das bereue ich mittlerweile», sagt sie.

Auf ihre Kreditkarte konnte Beatrice W. bisher nicht verzichten. «Ich habe Angst, dass ich es nicht ohne schaffe.» Vor Jahren habe sie mit einem Lohn von 3800 Franken eine Kreditkarte mit einem Limit von 6000 Franken erhalten. «Das ist doch krank», findet sie. Ihre Angst hemmt sie auch daran, ihre Kaufsucht therapeutisch behandeln zu lassen.

Längst nicht nur Frauen betroffen

Kaufsüchtige sind keinesfalls immer Frauen. Mit dem Trend des Onlineshoppings erkranken auch immer mehr Männer an der Sucht. «Männer geben ihr Geld gerne online bei Auktionen aus», erklärt Christina Messerli (50), Therapeutin bei Berner Gesundheit.

Dabei hat die Pandemie das Problem weiter verschärft. «Wir haben mehr Anfragen seit Corona», sagt Messerli. Treiber seien vor allem Einsamkeit und psychische Belastung. «Ein Teil hat in den Alltag zurückgefunden. Bei einigen ist das Verhalten jedoch entgleist», sagt die Therapeutin.

Eine Studie von Angestellte Schweiz zeigt: Fast 60 Prozent der Befragten shoppen online mehr als vor der Pandemie. Bei einem Fünftel hat das Onlineshopping gar stark zugenommen.

Kaufsüchtige sind keinesfalls immer Frauen. Mit dem Trend des Onlineshoppings erkranken auch immer mehr Männer an der Sucht. «Männer geben ihr Geld gerne online bei Auktionen aus», erklärt Christina Messerli (50), Therapeutin bei Berner Gesundheit.

Dabei hat die Pandemie das Problem weiter verschärft. «Wir haben mehr Anfragen seit Corona», sagt Messerli. Treiber seien vor allem Einsamkeit und psychische Belastung. «Ein Teil hat in den Alltag zurückgefunden. Bei einigen ist das Verhalten jedoch entgleist», sagt die Therapeutin.

Eine Studie von Angestellte Schweiz zeigt: Fast 60 Prozent der Befragten shoppen online mehr als vor der Pandemie. Bei einem Fünftel hat das Onlineshopping gar stark zugenommen.

Schulden hin oder her

«Bei Kaufsüchtigen ist das Kaufen im Kopf dominant», erklärt Renanto Poespodihardjo (60), Therapeut in den UPK Basel. Süchtige hätten ein starkes Verlangen, sogenannte Cravings, einzukaufen. Schulden halten viele nicht vom Kaufen ab. Denn Kaufen aktiviert das Belohnungssystem im Hirn.

Das Hauptproblem bei Kaufsucht: Werbung überall. Kaufen ist von der Gesellschaft erwünscht. Die Sucht wird deshalb kaum ernst genommen. «Shoppen wird sehr positiv angesehen», sagt Poespodihardjo. Viele können Shoppen deshalb nicht mit einer psychischen Erkrankung wie Sucht in Zusammenhang bringen. Zudem entsprechen Kaufsüchtige nicht dem Bild, das die Gesellschaft von Suchtkranken hat. Im Gegenteil: Sie sind oft besonders gut gekleidet.

Zu wenig Beratungsstellen

Gemäss Poespodihardjo sei es wichtig, dass Betroffene einen vereinfachten Zugang zu Beratungseinrichtungen erhalten. «Aktuell gibt es noch viel zu wenige, die sich auf Kaufsucht spezialisiert haben», findet er. Neben den UPK in Basel finden Betroffene auch bei Suchtberatungen Unterstützung.

Nun sei die Politik gefragt. «Für Geldspielsucht gibt es jedes Jahr eine nationale Kampagne. Bei Kaufsucht passiert dagegen gar nichts», sagt Poespodihardjo.

Dabei ist Kaufsucht weiter verbreitet als andere Verhaltenssüchte. Das Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass 2019 5 Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig waren. Andere Studien rechnen mit mehr. Zum Vergleich: 0,8 Prozent der Bevölkerung leiden an einer Geldspielsucht.

* Name von der Redaktion geändert

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