Auf einen Blick
Der Werkplatz Schweiz leidet. «Die Lage ist sehr angespannt», sagte Stefan Brupbacher (57), Direktor des Industrieverbands Swissmem, kürzlich im Interview mit Blick. Man verzeichne eine starke Zunahme von Kurzarbeitsanträgen, es werde auch zu Entlassungen kommen.
Besonders schwierig ist die Situation für Betriebe, die in energieintensiven Branchen tätig sind. Firmen wie Stahl Gerlafingen und Swiss Steel haben nicht zuletzt deshalb Probleme, weil die hohen Strompreise in der Schweiz ihre Produkte verteuern.
Ganz anders die Gefühlslage bei den hiesigen Stromkonzernen: Axpo, Alpiq, BKW und Repower, die vier grössten Energieunternehmen des Landes, verdienen mehr Geld denn je. Der Grund: Die hohen Preise auf dem europäischen Strommarkt, die eine Folge sind der geopolitischen Spannungen. Stichwort: Ukraine-Krieg.
Gewinnausschüttungen in Milliardenhöhe
Axpo präsentierte diese Woche einen Reingewinn von 1509 Millionen Franken für das Geschäftsjahr 2023/24. Es ist das zweitbeste Ergebnis der Unternehmensgeschichte. Nur im Vorjahr verdiente der Konzern noch mehr.
Davon sollen auch die Aktionäre profitieren. Den neun Eignerkantonen Aargau, Appenzell Inner- und Ausserrhoden, Glarus, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich stellt das Unternehmen eine Dividende von 670 Millionen Franken in Aussicht.
Alpiq, BKW und Repower, die ebenfalls staatlich kontrolliert werden, haben für das Geschäftsjahr 2023 ebenfalls Rekorddividenden ausgeschüttet. Die (geplanten) Gewinnausschüttungen aller vier Unternehmen belaufen sich auf 1052 Millionen Franken – für ein Jahr.
Fundamentalkritik der Wirtschaft
Der Industrie stösst das sauer auf. «Die hohen Gewinne und Dividenden der Stromkonzerne und Stromnetzbetreiber zeigen ganz klar die aktuelle Fehlentwicklung der Schweizer Energiepolitik auf», sagt Stephan Sollberger, Präsident der Interessengemeinschaft Energieintensive Branchen (IGEB).
Während die produzierenden Basisindustrien mit immer neuen und steigenden Abgaben konfrontiert seien, könnten sich die Stromkonzerne über immer höhere Gewinne freuen. Sollberger warnt: «Das zerstört langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Industrie und gefährdet zahlreiche Arbeitsplätze.»
Auch Swissmem kritisiert die Ausschüttungen scharf. «Wir haben die Standortkantone schon 2021 erfolglos aufgefordert, die Dividenden zur temporären Entlastung energieintensiver Unternehmen vom extrem gestiegenen Strompreis zu verwenden», sagt Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik des Verbands.
Er fordert in erster Linie eine Entlastung bei den «aus dem Ruder laufenden» Netznutzungskosten. «Zudem erwarten wir, dass die Eigentümer die Stromkonzerne beauftragen, ihre Gewinne in Produktionsanlagen zu reinvestieren.»
Energiepolitiker werden aktiv
Beat Rieder (61, Mitte), Präsident der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) des Ständerats, sieht das ähnlich. Er ist der Meinung, dass die hohen Gewinne in erster Linie dazu verwendet werden sollten, um die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu gewährleisten – und nicht, um Rekorddividenden an die Kantone auszuschütten.
«Um die Stromversorgung im Winter sicherzustellen, braucht es etwa dringend Investitionen in zusätzliche Grosswasserkraftwerke, kombiniert mit Solarkraftwerken», so Rieder.
Christian Imark (42, SVP), Urek-Präsident im Nationalrat, bezeichnet die Milliarden-Gewinne und Dividenden-Ausschüttungen als «Affront für unsere Wirtschaft und die Bevölkerung». Für den Solothurner ist klar: Die Politik muss handeln.
«In Zeiten hoher Strompreise sollen die Gewinne aus dem Netzmonopol an die Stromkonsumenten zurückbezahlt werden müssen», fordert er. Auf diese Weise könnten die Stromkonsumenten jährlich um mehrere Hundert Millionen Franken entlastet werden. Imark hat diese Woche einen entsprechenden Vorstoss eingereicht.
Kantone wiegeln ab
Die Eignerkantone, die von den Rekorddividenden profitieren, scheinen dagegen keinen Handlungsbedarf zu sehen. «Wir nehmen das positive Geschäftsergebnis der Axpo mit Genugtuung zur Kenntnis», schreibt etwa der Kanton Aargau, der am grössten Stromkonzern des Landes mit 28 Prozent beteiligt ist.
Das zuständige Departement für Bau, Verkehr und Umwelt betont zwar, dass der definitive Entscheid über die Dividendenausschüttung erst an der Axpo-Generalversammlung im Frühling 2025 beschlossen werde. Gleichzeitig weist der Kanton darauf hin, dass die Eigentümer seit 2014 «nur in zwei Jahren» Dividenden von der Axpo bezogen hätten. Soll wohl heissen: Es ist Zeit, dass die Beteiligung etwas abwirft.
Ähnlich die Rückmeldung des Kantons Graubünden, dem Repower zu 27 Prozent gehört. Die zuständige Regierungsrätin Carmelia Maissen (47, Mitte) erklärt ebenfalls, dass es vor der «einmaligen Hausse» in den Jahren 2023 und 2024 eine «grössere Baisse» gegeben habe, und hält unmissverständlich fest: «Eines der Eignerziele besteht darin, den Aktionären eine branchenübliche Dividendenrendite zu erbringen.»
Axpo-CEO verteidigt Rekorddividende
Der Kanton Bern, der als Mehrheitsaktionär der BKW Gruppe alleine für das Jahr 2023 rund 120 Millionen Franken Dividende kassiert hat, liess eine Anfrage von Blick unbeantwortet. Der Regierungsrat des Kantons Zürich, der an Axpo (37 Prozent) und Repower (38 Prozent) massgeblich beteiligt ist, wollte ebenfalls keine Stellungnahme nehmen.
Die Stromkonzerne selbst scheinen mit der Kritik aus Wirtschaft und Politik erst recht nichts anfangen zu können. An der Jahresmedienkonferenz darauf angesprochen meinte Axpo-CEO Christoph Brand (55): «Es ist richtig, dass ein Unternehmen, das mehr Geld hat, als es für die Sicherung seiner eigenen Zukunft braucht, dieses Geld den Eignern zurückgibt.» Er gehe davon aus, dass ihm die Steuerzahler der Eignerkantone da beipflichten würden.
Weiter betonte Brand, dass Axpo ihre Gewinne «primär im Wettbewerb» erwirtschafte und nicht auf der Basis von Monopolen. «Zudem stammt der grosse Teil unserer Gewinne nicht von Schweizer Kunden, sondern aus dem internationalen Geschäft.»
Rettungsschirm gibt es nicht für alle
Ständerat Rieder hat Mühe mit dieser Attitüde. Er kritisiert: «Den Managern der Stromkonzerne scheint es wichtiger, möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften, als die Schweizer Wirtschaft und Konsumenten mit günstigem Strom zu versorgen.»
Die Verantwortlichen hätten offenbar vergessen, dass sie «letzten Endes Staatsangestellte» seien, die von der Innovationskraft und Weitsicht früherer Generationen profitieren. «Die Kantone und Gemeinden, denen die Stromkonzerne gehören, sollten darauf hinwirken, dass den Strommanagern wieder bewusst wird, dass sie der Allgemeinheit verpflichtet sind.»
Dass Stromkonzerne keine «normalen» Unternehmen sind, zeigte sich eindrücklich vor zwei Jahren: Im Herbst 2022 stellte Axpo infolge starker Marktverwerfungen beim Bundesrat ein Gesuch um temporäre Liquiditätsunterstützung. Daraufhin aktivierte die Landesregierung einen Rettungsschirm mit einem Kreditrahmen von 4 Milliarden Franken.
Industriebetriebe, die sich tatsächlich in einem freien Markt bewegen, können von so viel Unterstützung nur träumen.