Es ist ein weiteres Zeichen für die Turbulenzen, in denen sich der Arbeitsmarkt seit Ausbruch der Corona-Krise bewegt: Während Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Tagen um ihre Stellen zittern, stocken die Arbeitsvermittler auf.
Eine BLICK-Umfrage bei den Kantonen zeigt: Um den Ansturm von frisch Stellensuchenden zu bewältigen, haben Regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) in den letzten Monaten schweizweit insgesamt über 200 Stellen geschaffen. Bei insgesamt rund 1500 RAV-Angestellten schweizweit ist das ein stolzer Zuwachs.
Arbeitslosigkeit nimmt deutlich zu
Dieser ist auch nötig: Noch im Februar betrug die Arbeitslosenquote 2,5 Prozent. Seither ist sie auf 3,4 Prozent im Mai geklettert. Das entspricht 40'000 zusätzlichen Arbeitssuchenden, die auf Schweizer RAV neu registriert sind. Die Zahlen für den Monat Juni werden morgen veröffentlicht. Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich mit Sicherheit weiter zugespitzt.
Dies gilt besonders für jene, die länger als andere brauchen, um einen neuen Job zu finden: Dazu zählen die vielen über 55-jährigen Angestellten ohne Stelle. Laut einer Auswertung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes nahm die Zahl der Arbeitslosen bei den 40- bis 54-Jährigen im Maschinenbau im April und Mai 2020 im Vorjahresvergleich um 22 Prozent zu. Bei den 55- bis 64-Jährigen waren es gar 48 Prozent mehr.
Ballungszentren stocken am meisten auf
Was die Anzahl an neu eingestelltem Personal auf RAV angeht, gibt es kantonal grosse Unterschiede. Einsamer Spitzenreiter ist der Kanton Zürich, der seit Februar 77 neue Stellen geschaffen hat. Damit sollen die bestehenden Personalberater und administrativen Mitarbeiter entlastet werden. Zudem will man vorbereitet sein, wenn die Entlassungswelle in den nächsten Monaten durch die Schweiz rollt.
Auch die Kantone Bern, Aargau und Genf rüsten mit je rund 30 neuen Stellen kräftig auf. Letzterer hat derzeit die höchste Arbeitslosigkeit. Charles Vinzio (50), Direktor Genfer RAV, rechnet im Herbst mit einer massiven Zunahme der Arbeitssuchenden. «Wir sind bereit für den Peak, hoffen aber, dass es niemals dazu kommt», sagte Vinzio vor zwei Wochen auf handelszeitung.ch.
In den Kantonen Basel-Stadt, Luzern und Neuenburg sind es immerhin je zehn neue RAV-Posten. Von den von BLICK angefragten Kantonen verzichtet einzig Uri auf Neuanstellungen. Dort werde der Mehraufwand mit internen Massnahmen bewältigt, heisst es.
Digitalisierung schreitet voran
Um dem Anstieg an Stellensuchenden gerecht zu werden, setzen Arbeitsvermittlungszentren nicht nur auf massiv mehr Personal, sondern auch auf neue Technologien. Im Kanton Zürich können Stellensuchende in momentan zwei RAV den Nachweis ihrer Arbeitsbemühungen und Bewerbungsunterlagen eigenhändig in einem Onlineportal hochladen. Für ältere Stellensuchende bleiben herkömmliche, analoge Alternativen erhalten.
Auch Genf erfährt in der Corona-Krise einen Digitalisierungsschub laut RAV-Direktor Vinzio. Stellensuchende können sich elektronisch registrieren, der RAV-Berater schaltet sich mittels Videokonferenz zu.
Auch das Seco hilft mit. Es treibt das Pilotprojekt «eALV» voran. Dieses soll die Stellensuche durch die Verlagerung ins Internet vereinfachen. So berichten die Kantone Aargau und Zürich, bisher positive Erfahrungen mit der Onlineplattform gemacht zu haben. Administrative Aufgaben könnten zugunsten der Beratungstätigkeit reduziert werden, sagt Lucie Hribal (58) vom Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit. Bis am 6. August soll «eALV» schweizweit allen Stellensuchenden zur Verfügung stehen.
Ruhe vor dem Sturm
Laut Rundstedt-Chef und Outplacement-Experte Pascal Scheiwiller (47) steht dem Schweizer Arbeitsmarkt das Schlimmste nach den Sommerferien bevor: «Die grossen Kündigungswellen der grossen Unternehmen müssen wir für die Quartale drei und vier erwarten.» Die Verlängerung der Kurzarbeit hilft nur bedingt: «Die Kurzarbeit wird Entlassungen nicht verhindern, sondern nur verzögern.»
Den über 200 neuen RAV-Angestellten bleibt folglich nur wenig Zeit, sich einzuarbeiten.
Wer eine Stelle sucht, hat es nie einfach – in Zeiten von Corona erst recht nicht. Immerhin forderten die RAV nun weniger Bewerbungsbemühungen ein. Vor der Krise erwarteten die meisten um die zehn Bewerbungsschreiben pro Monat. Dem schob das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Mitte März einen Riegel. Seitdem werden die Corona-Monate bis Ende August als eine Kontrollperiode abgerechnet. «Wir werden die Anzahl der eingereichten Arbeitsbemühungen individuell prüfen, je nach Jobverfügbarkeit in der Branche des Stellensuchenden», sagt Isabelle Wyss (47), RAV-Koordinatorin des Kantons Aargau. Lucie Hribal (58) vom Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit bestätigt: «Die erforderlichen Arbeitsbemühungen lagen auch während der Corona-Pandemie im Ermessen der Personalberater.» Diese orientierten sich jeweils an der Arbeitsmarktlage in den Berufsfeldern. Beispiel: In Gastronomie und Detailhandel waren und sind die Chancen auf eine Neuanstellung gering. «Dementsprechend haben wir in diesen Branchen nur sehr wenige Arbeitsbemühungen erwartet», sagt Hribal. Levin Stamm
Wer eine Stelle sucht, hat es nie einfach – in Zeiten von Corona erst recht nicht. Immerhin forderten die RAV nun weniger Bewerbungsbemühungen ein. Vor der Krise erwarteten die meisten um die zehn Bewerbungsschreiben pro Monat. Dem schob das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Mitte März einen Riegel. Seitdem werden die Corona-Monate bis Ende August als eine Kontrollperiode abgerechnet. «Wir werden die Anzahl der eingereichten Arbeitsbemühungen individuell prüfen, je nach Jobverfügbarkeit in der Branche des Stellensuchenden», sagt Isabelle Wyss (47), RAV-Koordinatorin des Kantons Aargau. Lucie Hribal (58) vom Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit bestätigt: «Die erforderlichen Arbeitsbemühungen lagen auch während der Corona-Pandemie im Ermessen der Personalberater.» Diese orientierten sich jeweils an der Arbeitsmarktlage in den Berufsfeldern. Beispiel: In Gastronomie und Detailhandel waren und sind die Chancen auf eine Neuanstellung gering. «Dementsprechend haben wir in diesen Branchen nur sehr wenige Arbeitsbemühungen erwartet», sagt Hribal. Levin Stamm