Die Hiobsbotschaft kommt per Videocall. Es ist der 8. Mai, mitten im Lockdown. Anna M.* (38) sitzt am Küchentisch ihrer Wohnung. Vor sich aufgeklappt der Bildschirm ihres Laptops. Wie 174 weitere Mitarbeiterinnen von Weight Watchers (WW) erfährt sie live vom bevorstehenden Kahlschlag in der Schweiz. Aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung. Ein Schock.
«Wir sassen vor dem Bildschirm und fühlten uns wie geschlagene Hunde», erinnert sich die Aussendienstmitarbeiterin. Sie hat Angst, möchte anonym bleiben, aber nicht länger schweigen. Darum hat sie BLICK zu einem Gespräch in ihre Wohnung eingeladen. Der Lockdown ist mittlerweile aufgehoben. Dafür hat M. jetzt Gewissheit. Auch sie gehört zu den insgesamt 96 Angestellten, die vor wenigen Tagen die Kündigung erhalten haben. Das entspricht mehr als der Hälfte aller Jobs der Abnehmfirma in der Schweiz.
Die Firma schweigt
M. ist wütend: «Die Art und Weise, wie wir alle ohne Sozialplan entlassen wurden, ist völlig inakzeptabel.» Zumal treffe es viele Mitarbeiterinnen, die bereits über 60 Jahre sind und nun keine Aussicht auf vorzeitige Pensionierung hätten. «Die Sparmassnahmen unter dem Deckmantel von Covid-19 irritieren uns sehr, weil Weight Watchers erst kürzlich Rekordzahlen bei den Abo-Verkäufen kommuniziert hat», sagt M.
Über die Gründe für den Kahlschlag schweigt sich die US-Abnehmfirma aus. Fragen von BLICK an die Firma mit Sitz in Nyon VD blieben unbeantwortet. M. weiss mehr: Mitten in der Corona-Zeit schwenkte ihr Arbeitgeber auf eine neue Strategie um. Das heisst: weg von physischen Treffen. Künftig will man auf virtuelle Workshops mit Kundinnen und Kunden setzen. Fixe Workshop-Standorte werden geschlossen. Und allen Guides wird gekündigt.
Gleichzeitig spendet Weight Watchers Millionenbeträge an Charity-Organisationen. M. wundert sich. «An Geld scheint es dem Unternehmen offenbar nicht zu mangeln.» Sie bezweifelt, dass die neue Digitalstrategie gut durchdacht ist: «Während des Lockdowns sind mehr als zwei Drittel der Kunden abgesprungen. Nur wenige haben die virtuellen Workshops akzeptiert.» M. weiss: «Jetzt pochen viele Kundinnen darauf, die Leistung zu erhalten, für die sie bezahlt haben.» Dazu gehören auch physische Treffen mit der Diätberaterin.
Wut und Enttäuschung
M. schwört auf den Wert dieser Workshops. «Meine Mutter hatte mich als Teenager an einen Workshop mitgenommen.» Jahrelang wägt und berät M. Workshop-Teilnehmende. Und motiviert sie mit «viel Herzblut» zum Abnehmen und einem gesunden Lebensstil. Als Mutter und Hausfrau waren für M. die klar definierten Abendeinsätze attraktiv. Die Beratungsgespräche mit den Kundinnen konnte sie so gut mit der Kindererziehung und Familienarbeit vereinbaren.
Laut M. herrscht unter den Coaches und Guides nun grosse Wut und Enttäuschung, weil das Firmenmanagement noch letzten Herbst ihre Angestellten aufgefordert hatte, die physischen Workshops verstärkt mit Werbeaktionen zu pushen. «Und jetzt kommt diese komplette Kehrtwende in der Strategie», klagt M.
Die Gewerkschaft Unia will sich derzeit nicht zu Weight Watchers äussern. Offenbar läuft gerade ein Schlichtungsverfahren, das man nicht stören will. In einer Unia-Mitteilung vom 9. Juni heisst es: Weight Watchers versuche «mit allen Mitteln, ein ordentliches Konsultationsverfahren zu verhindern». Die betroffenen Mitarbeitenden hätten Vorschläge zum Erhalt der Arbeitsplätze eingereicht. «Während des ganzen Prozesses hat die Geschäftsleitung alles versucht, um die Arbeit der Personalvertretung und der Gewerkschaft zu sabotieren», heisst es in der Mitteilung weiter. Auch dazu liess Weight Watchers BLICK-Fragen unbeantwortet.
Kommt es zum Kunden-Exodus?
Derweil beginnt es bei den Kundinnen und Kunden zu brodeln, sagt M. Einige haben auf der Community-Plattform von Weight Watchers kritische Posts abgesetzt, die allerdings von offizieller Seite weitgehend unbeantwortet blieben. Ebenso wurde unter dem Namen «Weight Watchers Switzerland – Save our Teams» eine Facebook-Gruppe ins Leben gerufen. Doch nicht alle Kunden halten der Abnehmfirma die Stange.
«Ich habe die Kündigung meines Abos eingereicht. Virtuelle Treffen bringen mir nicht das Gleiche wie die Treffen mit persönlichen Gesprächen und der ganzen Gruppendynamik, die beim gemeinsamen Motivieren und Feiern von Erfolgen entsteht», sagt eine Weight-Watchers-Kundin zu BLICK. «Aber am allerschlimmsten finde ich, wie die Firma mit ihren Mitarbeiterinnen umgeht.»
*Name der Redaktion bekannt
WW – besser bekannt als Weight Watchers – vermarktet eine patentierte Diätmethode zur Gewichtsreduktion. Das US-Unternehmen wurde 1963 von der Hausfrau Jean Nidetch (1923–2015) gegründet und verzeichnet heute einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar mit 8200 Beschäftigten in 30 Ländern. Seit 2015 ist die US-Talkmasterin Oprah Winfrey (66) als Grossaktionärin investiert.
Neben dem Zugang zum kostenpflichtigen Diätprogramm basiert das System auf einer breiten Produktpalette vom Kochbuch über den Pausensnack bis zum Aktivitätstracker. Das Kerngeschäft bilden kostenpflichtige Monatsabos mit wöchentlichen Workshops. In diesen wägt ein sogenannter Coach die Kunden zur Erfolgskontrolle und berät sie persönlich – abgerundet durch ein Referat und dem Austausch unter den Teilnehmern.
Statt auf physische Workshops an fixen Studio-Standorten setzt WW zunehmend auf eine Digitalstrategie per App in Kombination mit virtuellen Live-Workshops. Als Folge dieser neuen Strategie kommt es nun zu Schliessungen von Standorten und Massenentlassungen. Diese betreffen vor allem Frauen, die Teilzeit als Coaches oder Guides in der Kundenberatung tätig sind und mit den Provisionen für verkaufte Abos und Produkte im Durchschnitt monatlich zwischen 500 und 1000 Franken verdienen. Simon Bühler
WW – besser bekannt als Weight Watchers – vermarktet eine patentierte Diätmethode zur Gewichtsreduktion. Das US-Unternehmen wurde 1963 von der Hausfrau Jean Nidetch (1923–2015) gegründet und verzeichnet heute einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar mit 8200 Beschäftigten in 30 Ländern. Seit 2015 ist die US-Talkmasterin Oprah Winfrey (66) als Grossaktionärin investiert.
Neben dem Zugang zum kostenpflichtigen Diätprogramm basiert das System auf einer breiten Produktpalette vom Kochbuch über den Pausensnack bis zum Aktivitätstracker. Das Kerngeschäft bilden kostenpflichtige Monatsabos mit wöchentlichen Workshops. In diesen wägt ein sogenannter Coach die Kunden zur Erfolgskontrolle und berät sie persönlich – abgerundet durch ein Referat und dem Austausch unter den Teilnehmern.
Statt auf physische Workshops an fixen Studio-Standorten setzt WW zunehmend auf eine Digitalstrategie per App in Kombination mit virtuellen Live-Workshops. Als Folge dieser neuen Strategie kommt es nun zu Schliessungen von Standorten und Massenentlassungen. Diese betreffen vor allem Frauen, die Teilzeit als Coaches oder Guides in der Kundenberatung tätig sind und mit den Provisionen für verkaufte Abos und Produkte im Durchschnitt monatlich zwischen 500 und 1000 Franken verdienen. Simon Bühler