Radioaktive Radioligandentherapie
Basler Labor forscht an der Zukunft der Krebsbehandlung

Die Radioligandentherapie soll zu einer neuen Säule der Krebstherapie werden. In der Schweiz sind bislang zwei der radioaktiven Medikamente zugelassen. In einem Labor in Basel wird daran gearbeitet, dass es bald mehr werden könnten. Blick hat das Labor besucht.
Publiziert: 05.04.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 04.04.2024 um 21:43 Uhr
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Markus Reschke leitet das Labor zur Erforschung von Radioliganden in Basel.
Foto: Novartis
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

«Nuklearphysik ist eine der schönsten und einfachsten Wissenschaften, die es gibt. Es ist reine Mathematik», sagt Markus Reschke (43), als er durchs Radioligandenlabor auf dem Novartis-Campus in Basel führt.

Ob Nuklearphysik tatsächlich so einfach ist, sei dahingestellt. Klar ist jedenfalls: Reschke und seine Kollegen tüfteln in diesem Labor an der Zukunft der Krebstherapie. Der Biologe leitet die frühe Entwicklung neuer Radioliganden, die dereinst in der Krebsbehandlung zum Einsatz kommen sollen.

So funktioniert die Radioligandentherapie

Im Vergleich zur externen Radiotherapie wird der Patient bei der Radioligandentherapie nicht von aussen mit radioaktiver Strahlung beschossen. Stattdessen kommt sie zielgerichtet innerhalb des Körpers zum Einsatz: Ein Molekül, der sogenannte Radioligand, ist der Träger für das strahlende Radio-Isotop. Der Radioligand bringt die Strahlung an die Krebszellen und dockt dort an ein spezifisches Protein an. Die Strahlung sorgt für den Zelltod.

Die Nebenwirkungen auf das umliegende Gewebe sind minimal – die Wirkung auf den Tumor hingegen maximal. Im Vergleich dazu zerstören externe Bestrahlung oder Chemotherapie auch Normalgewebe und führen dadurch zu Langzeitschäden.

Ein weiterer Vorteil der Radioligandentherapie ist die Möglichkeit der Bildgebung: Vor der Behandlung mit dem strahlenden Radio-Isotop wird den Patienten ein sogenanntes PET-Isotop verabreicht. Auch mit diesem Isotop docken die Radioliganden an die Krebszellen an und machen sämtliche Tumor-Metastasen im Körper sichtbar. Nach der Behandlung kann erneut ein solcher PET-Scan durchgeführt werden – und es wird sofort sichtbar, ob die Therapie angeschlagen hat oder nicht.

Die Halbwertszeit der Radioligandenpräparate ist kurz. Das Medikament wird daher für jeden Patienten individuell hergestellt und muss innert 72 Stunden verabreicht werden. Es kann nicht auf Vorrat produziert werden. Die Produktionsstätten sind über die ganze Welt verteilt, die Logistik ist immens. Patienten in der Schweiz erhalten ihre Dosen aus Italien. Jede einzelne Dosis wird in einem besonderen Bleicontainer in die Schweiz transportiert, um unterwegs niemanden zu gefährden.

Sarah Frattaroli

Im Vergleich zur externen Radiotherapie wird der Patient bei der Radioligandentherapie nicht von aussen mit radioaktiver Strahlung beschossen. Stattdessen kommt sie zielgerichtet innerhalb des Körpers zum Einsatz: Ein Molekül, der sogenannte Radioligand, ist der Träger für das strahlende Radio-Isotop. Der Radioligand bringt die Strahlung an die Krebszellen und dockt dort an ein spezifisches Protein an. Die Strahlung sorgt für den Zelltod.

Die Nebenwirkungen auf das umliegende Gewebe sind minimal – die Wirkung auf den Tumor hingegen maximal. Im Vergleich dazu zerstören externe Bestrahlung oder Chemotherapie auch Normalgewebe und führen dadurch zu Langzeitschäden.

Ein weiterer Vorteil der Radioligandentherapie ist die Möglichkeit der Bildgebung: Vor der Behandlung mit dem strahlenden Radio-Isotop wird den Patienten ein sogenanntes PET-Isotop verabreicht. Auch mit diesem Isotop docken die Radioliganden an die Krebszellen an und machen sämtliche Tumor-Metastasen im Körper sichtbar. Nach der Behandlung kann erneut ein solcher PET-Scan durchgeführt werden – und es wird sofort sichtbar, ob die Therapie angeschlagen hat oder nicht.

Die Halbwertszeit der Radioligandenpräparate ist kurz. Das Medikament wird daher für jeden Patienten individuell hergestellt und muss innert 72 Stunden verabreicht werden. Es kann nicht auf Vorrat produziert werden. Die Produktionsstätten sind über die ganze Welt verteilt, die Logistik ist immens. Patienten in der Schweiz erhalten ihre Dosen aus Italien. Jede einzelne Dosis wird in einem besonderen Bleicontainer in die Schweiz transportiert, um unterwegs niemanden zu gefährden.

Sarah Frattaroli

Im ganzen Labor herrscht Unterdruck, damit kein Luftaustausch mit der Aussenwelt stattfindet – schliesslich wird hier mit radioaktiver Strahlung gearbeitet. Türen, Schränke und Werkbänke sind mit Blei ummantelt, um die Strahlung abzufangen.

Dennoch sind kleine Expositionen nicht verhinderbar: Reschke und andere Forschende halten etwa ihre Hände kurzzeitig in den Strahlenbereich, wenn sie ihre neu entwickelten Lösungen pipettieren. Sie tragen kleine Strahlenmesser – sogenannte Dosimeter – am Finger. Die Geräte messen die kumulative Strahlung, der die Labormitarbeitenden ausgesetzt sind, die hier jeden Tag ein und aus gehen. «Ein Transatlantikflug nach San Francisco ist aufgrund der atmosphärischen Strahlung bedenklicher», winkt Reschke ab.

Für Steve Jobs kam die Therapie zu spät

Das Labor zur Erforschung von Radioliganden ist brandneu, seit weniger als zwei Jahren im Einsatz. Die Behandlungsmethode ist gerade im Begriff, abzuheben. In der Schweiz sind bislang zwei Radioligandentherapeutika zugelassen, beide stammen von Novartis.

Lutathera kommt gegen neuroendokrine Tumore zum Einsatz. Eine sehr seltene Krebsart im Verdauungstrakt, an der etwa Apple-Gründer Steve Jobs (1955-2011) starb. Das Mittel ist seit 2019 auf dem Markt, aber die Fallzahlen sind verschwindend gering. Lutathera bleibt auch in Zukunft ein Nischenprodukt.

Neue Fabriken rund um die Welt

Nicht so das zweite Präparat, Pluvicto. Es ist in der Schweiz seit gerade einmal einem Jahr zugelassen. Es kommt gegen Prostatakrebs zum Einsatz – die in der Schweiz am häufigsten vorkommende Krebsart. Mehr als 7000 Männer erhalten in der Schweiz jedes Jahr die Diagnose Prostatakrebs.

Die neuartige Therapie hat ihren Preis: In der Schweiz kostet eine einzige Pluvicto-Dosis rund 21'000 Franken. Novartis erzielte mit Pluvicto letztes Jahr weltweit einen Umsatz von knapp 1 Milliarde US-Dollar. Das Präparat gilt im Pharma-Jargon damit als sogenannter Blockbuster.

250'000 Dosen des Mittels werden in vier Fabriken pro Jahr hergestellt. Zwei Produktionsstätten stehen in den USA, jeweils eine in Italien und Spanien. Weitere Werke sollen ausserdem in Japan und China entstehen, um die Produktionskapazitäten – und damit den Umsatz – zu steigern.

Strahlentest am Laborausgang

Novartis will die vielversprechende Radioligandentherapie dereinst auch gegen andere Krebsarten, etwa Brustkrebs oder Darmkrebs, anwenden – und hat dafür zehn weitere Moleküle in der Pipeline. Das im Prostatakrebs-Mittel Pluvicto verwendete Molekül dockt an ein Protein an, das nur auf der Oberfläche der Prostatakrebszellen vorkommt. Die neuen Moleküle sollen analog zielgerichtet an Brustkrebs-, Darmkrebs- oder andere Krebszellen andocken und diese zerstören. 

Diese Moleküle werden im Basler Labor getestet – unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Nichts wird dem Zufall überlassen: Beim Verlassen des Labors müssen wir uns «freitesten». Die Hände werden von einem speziellen Gerät sekundenlang beidseitig nach radioaktiver Kontamination abgesucht. «Not contaminated!», ertönt es mit blecherner Stimme aus dem Lautsprecher. Falls doch, steht gleich daneben die Notdusche. Zum Einsatz kam sie bislang noch nie.

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