Die Sanktionen gegen Russland waren offenbar nur der Anfang. Russland ist als Kriegstreiber auch bei zahlreichen internationalen Grossfirmen und Konzernen in Ungnade gefallen.
Praktisch im Stundentakt verkünden immer mehr Unternehmen, ihre Produkte vorübergehend nicht mehr in Russland zu verkaufen. Einige Konzerne gehen gar noch einen Schritt weiter und wollen ihre Beteiligungen in Russland abstossen. Russland droht eine gewaltige Wirtschaftskrise.
Blick hat einen Überblick ausgewählter Firmen betroffener Branchen.
Energiesektor erlebt regelrechte Konzernflucht
Gleich mehrere Grosskonzerne kündigen an, aus dem russischen Energiegeschäft auszusteigen. Der US-Ölkonzern Exxon Mobil will sich schrittweise vom Betrieb eines grossen Ölfeldes in Russland zurückziehen. Exxon Mobil betreibt für ein Konsortium das Sachalin-1-Ölfeld im Osten Russlands.
Der US-Konzern besitzt 30 Prozent der Anteile an dem Projekt. Wie die Amerikaner weiter mitteilen, wollen sie zudem nicht mehr in neue Projekte in Russland investieren.
Der italienische Ölkonzern Eni hat seinerseits erklärt, dass er sich von der Blue-Stream-Gaspipeline zwischen Russland und der Türkei zurückziehen wird. Eni hält 50 Prozent der Anteile, die andere Hälfte gehört dem russischen Gaskonzern Gazprom.
Die britisch-niederländische Ölfirma Shell und die britische BP haben ebenfalls ihren Rückzug vom russischen Markt angekündigt. Shell will auch seine Beteiligung an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 beenden. Es ist eines von fünf Energieunternehmen, die an der umstrittenen Pipeline zwischen Russland und Deutschland beteiligt sind.
Und auch der französische Energieriese Total erklärt, er werde nicht mehr in neue Projekte in Russland investieren. Doch die Franzosen erklärten zugleich, dass sie nicht vorhaben, sich aus laufenden Projekten zurückzuziehen.
Fazit: Der Rückzug der Konzerne wäre für die russische Wirtschaft fatal. Nach Schätzungen der Weltbank kommt der Energiesektor für 20 Prozent der russischen Wirtschaftsleistung auf. Die Energieexporte machen zwei Drittel der gesamten Warenexporte aus.
Glencore überprüft Beteiligungen in Russland
Der Bergbaukonzern und Rohstoffhändler Glencore überprüft sein Geschäft in Russland. Dies betreffe auch die Kapitalbeteiligungen am Aluminiumproduzenten En+ und am Ölkonzern Rosneft, heisst es.
Glencore verurteile das Vorgehen der russischen Regierung gegen die Bevölkerung der Ukraine, lässt der Rohstoffriese verlauten. Das Unternehmen habe in Russland keine operative Präsenz und das Handels-Engagement sei für Glencore «nicht wesentlich».
Glencore besitzt 10,55 Prozent an En+, der den weltweit zweitgrössten Aluminiumhersteller Rusal kontrolliert. An Rosneft hält Glencore einen Anteil von 0,5 Prozent.
Konkrete Schritte kündigte Glencore noch nicht an. Vor wenigen Tagen hatte der britische Energiekonzern BP erklärt, sich von seinem Rosneft-Engagement zu trennen. BP hatte seit 2013 einen Anteil von 19,75 Prozent an Rosneft gehalten.
Fazit: Der Rohstoffsektor zählt zu den wichtigsten Wirtschaftsstützen Russlands. Mit dem Rückzug renommierter Firmen könnte Russland auch viel Know-how verloren gehen. Die Folgen davon sind noch nicht absehbar.
Autohersteller ziehen sich zurück
Der zweitgrösste US-Autokonzern Ford kehrt Russland den Rücken zu. Das Unternehmen begründete die Entscheidung mit tiefer Besorgnis über die russische Invasion in die Ukraine und der daraus folgenden Bedrohung für Frieden und Stabilität. Die Situation habe Ford zu einer Neubewertung seiner Geschäfte gezwungen. Der Konzern werde sich bis auf weiteres aus Russland zurückziehen. Der Schritt erfolge mit sofortiger Wirkung.
Der britische Autohersteller Jaguar Land Rover hat seine Verkäufe nach Russland wegen des Krieges in der Ukraine ausgesetzt. Man werde die Lage beobachten. «Erste Priorität ist das Wohlergehen unserer Mitarbeiter und ihrer Familien sowie der Menschen in unserem erweiterten Netzwerk», schreibt Jaguar Land Rover in einem Statement. Das britische Unternehmen produziert Autos der Marken Jaguar, Land Rover und Range Rover. Auch der schwedische Autohersteller Volvo sowie der deutsche Hersteller BMW liefern derzeit keine Neuwagen mehr nach Russland.
Fazit: Die Absätze von Ford, Volvo und Jaguar Land Rover in Russland sind in den letzten 15 Jahren auf unter 30'000 Fahrzeuge zusammengeschmolzen. BMW verkauft derzeit immerhin noch 40'000 Autos nach Russland. Noch schmerzhafter für Russland wäre ein Verkaufsstopp der beliebtesten ausländischen Automarken Kia und Hyundai (Südkorea), VW (D) oder Renault (F). Renault ist auch am russischen Autohersteller Lada beteiligt, der in Russland Marktführer ist. Ein Verkaufsstopp durch Renault ist deswegen völlig unrealistisch.
Tech-Riese Apple stoppt Verkäufe nach Russland
Der amerikanische Technologie-Riese Apple hat wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Verkäufe seiner Produkte in Russland ausgesetzt. Die Exporte in alle Handelskanäle des Konzerns in dem Land seien bereits vergangene Woche gestoppt worden, teilt der iPhone-Hersteller mit.
«Wir sind zutiefst besorgt über die russische Invasion in die Ukraine und stehen an der Seite aller Menschen, die als Folge der Gewalt leiden», so Apple. Man bewerte die Situation weiter und sei mit relevanten Regierungen in Gesprächen über die Schritte, die Apple unternehme.
Facebook und Google legen sich mit Russland an und fahren die russischen Staatsmedien auf ihren Plattformen herunter, damit Sender wie RT News ihre russische Propaganda weniger leicht verbreiten können. Die russische Zensur ihrerseits geht gegen die Dienste vor.
Fazit: Der russische Markt ist für Social-Media-Firmen lukrativ. 70 Millionen Russen nutzen täglich soziale Medien und verbringen durchschnittlich rund 2,5 Stunden auf den Kanälen. Die US-Dienste stehen in starker Konkurrenz zu inländischen Angeboten wie VKontakte und Odnoklassniki und dürften aufgrund der Auseinandersetzung mit der Regierung künftig ins Hintertreffen geraten.
Kreuzfahrt-Unternehmen meiden Russland
Kein Kreuzfahrtstopp mehr in St. Petersburg: Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat nun auch die Schweizer Reederei MSC ihre Kreuzfahrtanlandungen in der russischen Stadt gestrichen.
Die vier Schiffe, die den russischen Ostseehafen Sankt Petersburg auf dem Kreuzfahrtplan hatten, «werden von Ende Mai bis Oktober die russische Stadt nicht mehr anlaufen, da die Gesundheit und Sicherheit von Gästen und Besatzung oberste Priorität hat», so MSC Cruises.
Bereits haben Tui Cruises und Aida Cruises bekannt gegeben, dass sie Sankt Petersburg vom Programm streichen. Eine Sprecherin von Aida Cruises teilt mit, die Reederei betrachte die Ereignisse mit grosser Sorge und hoffe auf eine baldige friedliche Lösung.
Tui Cruises: «Vor dem Hintergrund der Ereignisse haben wir uns aus ethischen und moralischen Gründen entschieden, die Fahrpläne unserer Ostsee-Kreuzfahrten von Mai bis Oktober 2022 anzupassen: Wir werden Sankt Petersburg nicht mehr anlaufen.»
Fazit: Der Tourismus zählt zu den wichtigsten wirtschaftlichen Säulen von Sankt Petersburg. Bleiben nun auch die Gäste der Kreuzfahrtschiffe fern, müssen sich die Souvenir-Shops und andere Gewerbetreibende erst recht auf einen schwierigen Frühling einstellen.
Container-Riesen stoppen Russland-Transporte
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs haben die dänische Container-Reederei Maersk sowie die schweizerisch-italienische MSC den Grossteil der Transporte von und nach Russland gestoppt.
«Da die Stabilität und Sicherheit unseres Betriebs direkt und indirekt schon durch die Sanktionen beeinflusst wird, werden neue Maersk-Buchungen über See und Land nach und von Russland vorübergehend ausgesetzt», teilt der Maersk-Konzern mit Sitz in Kopenhagen mit. Ausgenommen sind Lebensmittel, medizinische und humanitäre Lieferungen.
Auch die MSC Mediterranean Shipping Company mit Sitz in Genf verkündete am Dienstag in einem Hinweis an ihre Kunden einen vorübergehenden Stopp für alle Frachtbuchungen von und nach Russland mit sofortiger Wirkung. «MSC wird weiterhin Buchungen für die Lieferung von lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, medizinischer Ausrüstung und humanitären Gütern annehmen und prüfen.»
MSC und Maersk sind mit Abstand die beiden grössten Container-Reedereien. Sie verfügen über gut ein Drittel der weltweiten Transportkapazität.
Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd hatte in der vergangenen Woche ebenfalls eine vorübergehende Buchungssperre für Russland und die Ukraine beschlossen.
Auch der Schweizer Logistikkonzern Kühne+Nagel hat wegen des Ukraine-Kriegs alle Lieferungen nach Russland per sofort gestoppt – abgesehen von Pharmaprodukten und Hilfsgütern. Die Auswirkungen auf das Geschäft sind aber primär indirekter Natur, wie Finanzchef Markus Blanka-Graff der Nachrichtenagentur AWP sagt.
Fazit: Die starken Lieferbeschränkungen der grössten Redereien der Welt werden in Russland zu einer grossen Produktknappheit führen. Die russische Bevölkerung muss sich in den Geschäften auf leere Regale einstellen. Die intensiven Kontrollen russischer Frachter dürften zudem erhebliche Lieferverzögerungen zur Folge haben.
US-Studios boykottieren russische Kinos
Mehrere US-Studios haben angesichts des russischen Einmarsches in die Ukraine angekündigt, vorerst keine Filme mehr in russische Kinos zu bringen. Russlands «grundlose Invasion» und die «tragische humanitäre Krise» begründeten diesen Schritt, teilte ein Sprecher der Walt Disney Company mit.
Unter anderem ist laut Mitteilung der Pixar-Film «Turning Red» (deutscher Titel: «Rot») davon betroffen, der noch im März erscheinen soll. Zukünftige Geschäftsentscheidungen würden von der Entwicklung der Lage abhängen, hiess es.
Auch das Studio Paramount teilte mit, Filmstarts «pausieren» zu lassen, wie das Branchenblatt «Variety» am Dienstag berichtete. Auch Sony und Warner Bros. hatten bereits ähnliche Massnahmen angekündigt.
Fazit: US-Medienberichten zufolge machen die Ticketverkäufe in Russland durchschnittlich etwa drei Prozent der internationalen Bilanz aus. Das ist zwar nicht besonders viel, doch die pandemiegebeutelten Produktionsfirmen hinken mit ihren Umsätzen derzeit eh schon dem Vor-Corona-Niveau hinterher. Auch in den russischen Kinos werden die internationalen Blockbuster als Publikumsmagnet fehlen.
So reagiert Putin auf die Firmenflucht
Die russische Wirtschaft leidet bereits enorm unter den Sanktionen. Der russische Rubel ist auf Talfahrt, russische Unternehmen verloren an der Börse massiv an Wert und die europäische Tochter der russischen Sberbank ist zahlungsunfähig.
Die russische Bevölkerung steht an den Bancomaten Schlange und will die Sparguthaben in Sicherheit bringen. Hält diese Situation an, droht dem gesamten Finanzsektor eine Kettenreaktion.
In dieser heiklen Situation trifft Russland der Rückzug der westlichen Firmen ganz besonders hart. Wladimir Putin (69) bereitet im Kreml einen Präsidialerlass vor, der die Kapitalflucht verhindern soll.