«Plötzlich wird man nicht mehr gebraucht»
Ruedi (63) und Gabriela (61) Würgler erhalten Kündigung im Doppelpack – ohne Begründung

Sie arbeiteten jahrelang in einer Logistikfirma im Raum Burgdorf BE. Schoben teils 13-Stunden-Schichten. Riefen über die langen Arbeitstage auch mal aus. Dann kassierten Gabriela (61) und Ruedi (63) Würgler die Kündigung. Mit über 60 ist die Jobsuche schier unmöglich.
Publiziert: 15.04.2024 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 15.04.2024 um 13:59 Uhr
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Ruedi und Gabriela Würgler arbeiteten bis vor kurzem in der gleichen Logistik-Firma in der Region Burgdorf BE.
Foto: Thomas Meier
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

«Wir haben jahrelang gchrampfet und jetzt das», sagt Ruedi Würgler (63) fassungslos. Er sitzt zu Hause im Emmental am Esstisch, neben ihm Ehefrau Gabriela Würgler (61). Beide arbeiteten bis vor kurzem in der gleichen Logistikfirma im Raum Burgdorf BE. Jetzt haben sie die Kündigung erhalten. Ohne Angabe von Gründen.

Doch die beiden haben eine Vermutung. «Wir haben uns gewehrt, auch mal ausgerufen», erzählt Ruedi Würgler. Besonders aufgrund der Arbeitszeit: Die Arbeitstage waren regelmässig elf, zwölf oder gar 13 Stunden lang. Das belegen Arbeitszeiterfassungen, die Blick vorliegen. Weil immer wieder Mitarbeitende krank ausfielen, mussten die verbleibenden Überstunden schieben. Und das für einen Nettolohn von unter 4000 Franken im Monat.

«Irgendwann schafft man das nicht mehr, morgens um 6 anzufangen und abends erst um halb 8 fertig zu sein», erinnert sich Gabriela Würgler. «Das Privatleben bestand nach der Arbeit nur noch aus duschen, essen, schlafen.»

Die Gesundheit spielt nicht mehr mit

Hinzu kommen körperliche Abnutzungserscheinungen. An Gabriela Würglers Händen entwickelt sich eine chronische Entzündung im sogenannten Daumensattelgelenk, sie muss operiert werden. Als sie dem Arbeitgeber das Datum der Operation mitteilt, folgt postwendend die Kündigung.

Ruedi Würgler setzt sich für seine Ehefrau ein, wendet sich an den Chef, ruft – einmal mehr – aus. «Das ist doch unfair!» Wenig später wird auch ihm gekündigt. «Ich wurde natürlich sehr emotional, als man mir die Kündigung übergeben hat», gibt Ruedi Würgler zu. Dabei wird er seinen Vorgesetzten gegenüber ausfällig. «Daraus wird mir jetzt ein Strick gedreht.»

Auch Ruedi Würgler erholt sich zu diesem Zeitpunkt noch von einer Operation. Bei einem Betriebsunfall verletzte er sich den grossen Zeh, arbeitete monatelang unter starken Schmerzen – bis es irgendwann nicht mehr ging. «Mittlerweile ist mein Fuss zu 90 Prozent verheilt», sagt er. «Aber psychisch bin ich ganz unten.»

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«Damit hätte ich niemals gerechnet. Das reisst einem den Boden unter den Füssen weg.»
Ruedi Würgler (63)
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Die plötzliche Kündigung macht dem Ehepaar aus dem Emmental zu schaffen. Sie waren knapp sechs Jahre im Betrieb, waren auch zuvor stets arbeitstätig. «Und plötzlich wird man nicht mehr gebraucht», sagt Ruedi Würgler kopfschüttelnd. Er ist in psychiatrischer Behandlung, nimmt Medikamente, «damit keine bösen Gedanken kommen», wie Würgler selber sagt. «Damit hätte ich niemals gerechnet. Das reisst einem den Boden unter den Füssen weg.» Nachts liegt er oft stundenlang wach, die Gedanken drehen pausenlos.

«Hauptsache arbeiten» – doch es hagelt Absagen

Die Chancen für Gabriela und Ruedi Würgler, einen neuen Job zu finden, sind klein. Trotz anderslautender Beteuerungen: Die Altersguillotine ist eine Realität am Schweizer Arbeitsmarkt. Gabriela und Ruedi Würgler sind aufgrund der Operationen respektive der psychischen Belastung durch die Kündigung derzeit noch krankgeschrieben, verfassen aber trotzdem schon Bewerbungen. Es hagelt Absagen.

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«Aber ich gebe nicht auf, vielleicht lande ich ja einen Glückstreffer», betont Ruedi Würgler. Logistik, Montage, Bau, als Hilfsarbeiter oder Chauffeur. «Ich fege auch einen Hausplatz. Hauptsache arbeiten!» Gerne auch übers reguläre Pensionsalter hinaus. Gabriela Würgler kommt ursprünglich aus der Modebranche, hat lange im Verkauf gearbeitet. «Aber wenn möglich, würde ich gerne wieder in der Logistik arbeiten.»

Neben der Arbeitssuche, den gesundheitlichen Problemen und den Existenzängsten kommt der Rechtsfall hinzu. Denn Würglers haben Einsprache gegen ihre Kündigung erhoben. Der Fall ist noch hängig. Aus diesem Grund nennt Blick auch den Namen des Arbeitgebers nicht.

Der Druck auf das Ehepaar ist hoch. Ein Lichtblick ist die Umgebung: Würglers leben im Nebenhaus eines Bauernhofs. Die Miete ist moderat. Wichtiger ist aber, dass sie auf dem Hof anpacken können. Mit dem Berner Sennenhund des Nachbarn spazieren gehen. Beim Holzen helfen. Das Haus wird von Hand mit einem Ofen beheizt. «Das Holzhacken gibt mir Beschäftigung und lenkt mich ab», sagt Ruedi Würgler.

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