«Mir stehen 20 bis 30 Jahre in Altersarmut bevor»
Stadt Bern lehnt Bewerberin Irene J. ab – weil sie zu alt ist

Während anderswo bis 65 gearbeitet wird, schickt die Stadt Bern ihr Personal schon mit 63 in Pension. Was für die Angestellten ein Privileg ist, verkommt für ältere Bewerbende zum Nachteil: Die Stadt stellt sie nicht ein, weil sich die Einführung nicht mehr lohnt.
Publiziert: 11.03.2024 um 12:36 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2024 um 14:07 Uhr
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Die Stadt Bern lehnte die Bewerbung einer damals 62-Jährigen ab. (Symbolbild)
Foto: Getty Images/Westend61
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Für die Stelle als «Sachbearbeiter*in Finanzen und Beschaffung» bei der Berner Stadtverwaltung braucht es laut Ausschreibung eine KV-Ausbildung, Erfahrung im Finanzwesen und Kundenfreundlichkeit. Irene J.*, zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt, erfüllt die Kriterien – und schickt ihre Bewerbung ab.

Keine 24 Stunden später erhält sie die Absage. Begründung: ihr Alter! «Mitarbeitende der Stadt Bern werden mit Vollenden des 63. Altersjahres ordentlich pensioniert – daher können wir Ihre Bewerbung nicht weiterverfolgen», heisst es in dem Schreiben, das Blick vorliegt.

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«Mir stehen 20 bis 30 Jahre in Altersarmut bevor.»
Irene J.
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«Man hat mir noch nie so direkt ins Gesicht gespuckt, dass ich zu alt bin», sagt Irene J. Sie steht zum Zeitpunkt der Bewerbung kurz vor ihrem 63. Geburtstag. Für die Stadt Bern lohnt es sich nicht, sie einzustellen und postwendend in die Pension zu schicken. Dabei würde Irene J. gerne übers ordentliche Pensionsalter hinaus arbeiten. «Andernfalls stehen mir 20 bis 30 Jahre in Altersarmut bevor», befürchtet sie.

So rechtfertigt die Stadt ihr Vorgehen

Dass die Stadt Bern ihr Personal schon mit 63 in Pension schickt, sorgt immer wieder für Kritik. Die Logik dahinter: Die Stadt kann bei den Löhnen nicht mit dem Bund mithalten. Stadtbeamtinnen und -beamte erhalten mit der früheren Pensionierung ein «Zückerli», damit die Stadt auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleibt.

Auf Blick-Anfrage heisst es bei der Stadt Bern, dass es «keine Altersgrenzen bei der Berücksichtigung von Bewerbenden gibt». Allerdings: «Je näher Bewerbende dem ordentlichen städtischen Pensionierungsalter 63 kommen, desto eher kann es sein, dass der Aufwand für die Einarbeitung in keinem Verhältnis zur weiteren Arbeitsdauer steht.» Wer bereits bei der Verwaltung angestellt ist, kann auch bis 65 weiterarbeiten. Wer allerdings wie Irene J. neu bei der Stadt einsteigen will, hat Pech gehabt.

Keine Chance vor Gericht

Ist das nicht diskriminierend? In der Bundesverfassung ist ein Diskriminierungsverbot festgeschrieben, das auch aufs Alter angewendet werden kann. Als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber ist die Stadt Bern dem verpflichtet. Dennoch hätte Irene J. vor Gericht schlechte Karten, schätzt der Rechtsprofessor Kurt Pärli (61) von der Universität Basel. «Das Bundesgericht ist bei der Auslegung des Diskriminierungsverbots zurückhaltend.»

Noch schlechter sieht es bei vergleichbaren Fällen in der Privatwirtschaft aus. «Da gilt grundsätzlich die Vertragsfreiheit», sagt Pärli. «Jeder Arbeitgeber ist grundsätzlich frei, einzustellen, wen er will.» Eine privatwirtschaftliche Firma kann Bewerbenden ins Gesicht sagen, dass sie zu alt seien, ohne Konsequenzen zu fürchten.

Zumindest nicht auf rechtlicher Ebene. Aber sehr wohl auf personeller: Die Stellenausschreibung als «Sachbearbeiter*in Finanzen und Beschaffung» bei der Berner Stadtverwaltung ist auch über einen Monat nach ihrer Publikation weiterhin online. Angesichts der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist fraglich, wie lange es sich die Stadt Bern noch leisten kann, ältere Bewerbende von Beginn weg zu verschmähen.

*Name geändert

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