Bei Grossunternehmen aus der Finanz- oder der Pharmabranche sind sie für viele der Höhepunkt des Arbeitsjahres: die Beförderungen. Die Seite mit den Ernennungen der neuen Direktoren oder Vize-Präsidentinnen ist in vielen Firmen die meistbesuchte im Intranet. Oft wird die nächste Stufe auf der Karriereleiter mit einem ausgelassenen Apéro gefeiert.
Während die einen feiern, schieben die anderen den Frust – weil es auch in diesem Jahr wieder einmal nicht mit dem erhofften Sprung nach oben in der Hierarchie geklappt hat. Denn dieser ist nicht nur gut fürs Ego, sondern auch fürs Portemonnaie: Beförderungen sind meist mit einem kräftigen Lohnanstieg verbunden.
Doch mit all dem ist nun Schluss. Zumindest bei Axa Schweiz. Der Versicherungskonzern hat per Anfang 2024 sämtliche Titel aus dem Organigramm und von den Visitenkarten gestrichen. Künftig wird es keine Direktorinnen, Vizepräsidenten oder stellvertretende Vize-Präsidentinnen mehr geben.
Kultureller Wandel
Ein konsequenter Schritt: «Wir haben schon früher damit begonnen, Privilegien für das Kader abzuschaffen», erklärt Axa-Personalchefin Daniela Fischer (47) im Gespräch mit Blick. «Ich persönlich war eh nie ein Fan von Statustiteln oder -symbolen.» Denn diese unterstützten veraltete, hierarchisch geprägte Strukturen und «passen nicht mehr zur Kultur, die wir bei Axa anstreben».
Das Ziel des Versicherers ist eine Arbeitsorganisation, in der sich alle auf «Augenhöhe» begegnen, die Mitarbeitenden sich auch in Sitzungen ungeachtet ihrer Position gewinnbringend für das Unternehmen einbringen können.
«Die Abschaffung der Titel passt gut in eine sich schnell verändernde Arbeitswelt. Das eröffnet ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten», ist Fischer überzeugt. So verteile sich etwa die Verantwortung auf mehr Schultern. Natürlich wird Axa nun nicht basisdemokratisch geführt, aber die einzelnen Teams und Angestellten haben eine deutlich grössere Entscheidungsbefugnis als früher.
Konsequenter Schritt
Dazu hat der Versicherungskonzern 13 Verantwortungsstufen und 450 Jobprofile neu definiert. Darin sind die wichtigsten Aufgaben, die Anforderungen und der Verantwortungsbereich umrissen. Ein fliessender Prozess, denn es gab interne Kritik an diesen Profilen. «Da müssen wir bei der Beschreibung noch nachbessern», räumt Fischer ein. «In den Jobprofilen steckt teilweise noch zu viel alte Welt.»
Heike Bruch (57), Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, beschäftigt sich mit neuen Arbeitsformen und der Attraktivität von Arbeitgebern. Sie kann der Entwicklung bei Axa einiges abgewinnen: «Der Abbau von Titeln und Statussymbolen ist ein sehr konsequenter Schritt, wenn eine Firma weniger hierarchisch und damit moderner arbeiten will».
Der Vorteil: Dieses System sei weniger ausgrenzend und exklusiv, sondern eher integrierend. «Axa ist damit im Finanzsektor sicher eine Vorreiterin», so Bruch. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels mache sich Axa so auf dem Arbeitsmarkt attraktiver. «Das zieht Leute an, die agiler arbeiten wollen.»
Beliebt bei den Jungen
Vor allem auch junge Leute. Denn diese müssen in hierarchisch geführten Unternehmen oft sehr lange auf eine Beförderung warten. Das Frustpotenzial ist entsprechend hoch. «Mit den 13 Verantwortungsstufen sind die Entwicklungsschritte auf der Karriereleiter kleiner», ist die Axa-Personalchefin überzeugt. «Die Verantwortungshierarchie kommt dem Drang der jungen Generation sehr entgegen, möglichst rasch im Unternehmen etwas bewegen zu wollen.»
Bruch warnt allerdings auch davor, dass erfahrene Arbeitskräfte abspringen könnten: «Für manche ist es immer noch sehr wichtig, einen Titel zu haben. Als Motivation, aber auch Beweis dafür, dass man etwas geleistet hat.» Vor allem wirke der Abbau von Titeln nur dann, wenn er authentisch sei und die Kultur tatsächlich Kooperation und weniger hierarchische Führung fördere. «Wenn Änderungen nur an der Oberfläche ansetzen, sind sie demotivierend für alle Beteiligten», so Bruch.
Mitarbeitende bleiben an Bord
Dieser Gefahr war sich auch Axa bewusst, hat die Mitarbeitenden monatelang auf den Kulturwandel vorbereitet. Mit Erfolg: «Von den 4200 Angestellten haben nur vier den neuen Arbeitsvertrag noch nicht unterschrieben», sagt Fischer nicht ohne Stolz.
Mit der Abschaffung der Titel hat die Axa auch ein neues Lohnsystem eingeführt, das vor allem bezüglich der Boni mehr Transparenz verspricht. Neu ist auch die Höhe des Bonus im Arbeitsvertrag fixiert. Der variable Anteil für alle Mitarbeitenden auf der gleichen Stufe ist identisch.
Läuft es der Firma gut, entscheiden die Geschäftsleitung und Verwaltungsrat – und nicht der direkte Vorgesetzte – wieviel vom bereits festgelegten Bonus tatsächlich ausgezahlt wird. Fischer: «Das schafft mehr Transparenz und ist weniger willkürlich als das alte System.»