Nachtzüge haben durch das gestiegene öffentliche Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt. Auch bei den SBB: Nach der Wiederaufnahme der Strecke Zürich-Amsterdam vor einem Jahr haben die Bundesbahnen soeben die neue Nachtzuglinie via Leipzig und Dresden nach Prag in Betrieb genommen.
Doch mit den Nachtzuglinien nach Rom und nach Barcelona, die man eigentlich auf Ende 2022 respektive Ende 2024 lancieren wollte, wird es vorerst nichts. Grund dafür war das Nein der Schweizer Stimmbevölkerung zum CO₂-Gesetz im Juni 2021. In diesem waren Millionen von Franken an Unterstützungsgeldern für die Lancierung der neuen Routen vorgesehen. Die SBB nahmen seitdem nur Routen auf, die sie in Zusammenarbeit mit der österreichischen Bahn (ÖBB) betreibt. Bei Rom und Barcelona wäre das nicht der Fall.
Die SBB setzen ihre Hoffnung nun auf das im September 2022 formulierte, revidierte CO₂-Gesetz, das voraussichtlich in der Frühlingssession 2023 im Parlament behandelt wird. Darin wäre die gleiche Summe für die Förderung für Nachtzüge vorgesehen wie zuvor: 30 Millionen Franken pro Jahr, neu befristet bis 2030.
Kommt das CO₂-Gesetz abermals nicht durch, gäbe es für die Nachtzüge nach Rom und Barcelona keine tragbare Finanzierungslösung. Wäre das das Ende der Pläne für eigene Nachtzüge? «Wir müssten die Situation neu analysieren», sagt SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg auf Blick-Anfrage.
Problemzone Rollmaterial
Ein Problem gibt es zudem beim Rollmaterial. Die SBB verfügen über kein eigenes Rollmaterial für das Nachtzuggeschäft. Das ist auch bei den künftigen Strecken nicht vorgesehen. Die Nachtzüge nach Rom und Barcelona würden ebenfalls durch die ÖBB gestellt.
Laut Bahnexperte Kurt Metz (70) gibt es derzeit aber europaweit einen Mangel an Schlaf- und Liegewagen. «Die Produktion der neuen ÖBB-Nightjets verzögert sich», weiss er. Kommerziell sollen sie erst ab Herbst 2023 statt bereits im Frühjahr einsetzbar sein. Hersteller Siemens habe während der Pandemie Schwierigkeiten mit Zulieferern gehabt.
Doch das ist nicht das einzige Problem: Trotz hoher Nachfrage im internationalen Personen-Bahnverkehr – laut der SBB sei man im Nachtzugverkehr bereits wieder auf dem Niveau des Rekordjahres 2019 – sei das Nachtzuggeschäft nicht kostendeckend. Dies aufgrund der hohen Kosten für Personal und Rollmaterial sowie limitierten Kapazitäten.
Die ÖBB sagt laut Metz, dass sich Nachtzüge kostendeckend betreiben lassen. Und zwar, indem am späten Abend und am frühen Morgen noch Lokalpassagiere mitfahren können. Dadurch erhielten die Nachtzüge finanzielle Unterstützung. «Daher auch der aus meiner Sicht hohe Anteil an Sitzplätzen in den neuen Nightjet-Kompositionen», so Metz.
Nachtzüge sollen mehr als günstige Nachtverbindungen sein
Dass die SBB die früher von der City Night Line betriebenen Strecken nach Amsterdam und Prag aus eigener Kraft wieder lancieren konnten, sei ihnen hoch anzurechnen, meint Metz.
Aufgrund der hohen Nachfrage wurde zudem das Platzangebot in den Nachtzügen nach Hamburg und Berlin mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember ausgebaut: Bisher verkehrte nur ein Nachtzug Richtung Hamburg und Berlin und wurde unterwegs aufgetrennt, künftig verkehren an diese Destinationen separate Nachtzüge ab Zürich.
Nachtzüge sind im Trend: So hat auch Frankreich ein Programm auf die Beine gestellt. Aus Schweden rollt wieder ein Zug nach Deutschland. In Belgien gibt es eine neue Gesellschaft, die Brüssel–Prag plant und die Mittel für den Bau von neuen Fahrzeugen per Spendensammlung sicherstellt. Ausgeschert ist nur Spanien, das ausschliesslich auf Hochgeschwindigkeitszüge setzt.
In der Schweiz übersteigt laut Metz die Nachfrage nach Nachtzügen das Angebot bei Weitem. Ihm zufolge wäre es schade, wenn man diese Nachfrage nicht kostendeckend befriedigen kann. Die Lösung? «Nachtzüge müssen mehr bieten als die nächtliche Beförderung zu Tiefpreisen.» Also luxuriöse Reiseerlebnisse. «Die Schweizer buchen tendenziell komfortabel und teuer», schliesst Metz.
In diesem Zusammenhang sei es schade, dass sich die SBB zieren, eigene Schlafwagen zu bauen. Dass die Schweiz das kann, hat soeben der Zugbauer Stadler Rail mit einem Grossauftrag aus Kasachstan bewiesen.