Nach dem überraschenden Angriff der Hamas auf Israel geht in Europa das Schreckgespenst einer Energiemangellage um. Kurz nach dem Angriff sagten Experten den weltweiten Börsen «turbulente Tage» voraus. Passiert ist – nichts. Die Aktienkurse, etwa im Schweizer Leitindex SMI, bewegen sich ebenso gemächlich wie der Rohölpreis.
Kein Vergleich zur Situation vor 50 Jahren, wo der Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und diversen arabischen Staaten zu einer Ölpreiskrise mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen geführt hatte.
Davon ist man heute weit entfernt. Der Ölpreis geht zwar nach oben, allerdings nur langsam. Ökonomin und Rohstoff-Expertin Cornelia Meyer hält fest: «Der Ölpreis ist auch eine Woche nach Beginn des Konflikts noch tiefer, als er Ende September war.»
Nervosität am Gasmarkt
Empfindlicher reagiert der Gaspreis: Er schoss seit Kriegsausbruch um fast 50 Prozent nach oben, liegt auf dem höchsten Stand seit mehr als einem halben Jahr. Die Volatilität des Gaspreises zeuge von der Nervosität der Märkte, so Meyer. Die Anspannung sei spürbar, obwohl die Gasspeicher noch zu 90 Prozent gefüllt seien und es bislang bei den Rohöllieferungen keine Einschränkungen gebe. Dennoch: Der Gaspreis ist meilenweit entfernt von seinen Höchstständen im vergangenen Jahr, als er infolge des Ukraine-Kriegs massiv in die Höhe schoss.
Für Schweizer Konsumenten ist der Krieg in Nahost bislang noch kaum spürbar, etwa an der Zapfsäule. «Das könnte sich aber schlagartig ändern, wenn sich der Konflikt ausweiten sollte», warnt Meyer.
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Was macht der Iran?
Entscheidend ist, was im Iran passiert. Im Internet kursieren Aufforderungen an den Iran, die Strasse von Hormus zu schliessen. Durch diese Meerenge werden täglich 17 Millionen Barrel Öl befördert. Das entspricht rund 17 Prozent der Weltnachfrage. Längst nicht nur iranisches Öl wird durch die Strasse von Hormus verschifft, sondern Öl der gesamten arabischen Halbinsel.
Falls der Iran im Zuge des Israel-Kriegs mit zusätzlichen Sanktionen belegt wird und als Retourkutsche tatsächlich die Öl-Exporte verhindert, trocknet der Markt aus. Weil auch Öl aus Russland wegfällt, fehlen die Alternativen. Allerdings: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass es zu einer derartigen Eskalation kommt. Daran haben die Ölförderstaaten kein Interesse. «Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen keine instabilen Verhältnisse in der Region», so Meyer. Sie wollen ihre Wirtschaften in Ruhe «umbauen». Auch Ägypten habe Interesse an einer Deeskalation, um den Handel durch den Suezkanal sowie das florierende Tourismusgeschäft zu schützen. Zudem sei Ägypten nicht bereit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.
Weder Israel noch Saudi-Arabien haben ein Interesse daran, dass die krisengeschüttelte Region – man denke an die Probleme in Libyen, Syrien, Jemen, im Libanon oder im Irak – komplett aus den Fugen gerät. Was nicht heisst, dass die Gefahr gebannt ist: «Die Situation ist so gefährlich wie schon lange nicht mehr», sagt Cornelia Meyer.