Auf einen Blick
- Immer mehr Frauen verdienen in Beziehungen mehr als ihre Partner
- Gefahr des «Gender Threats»: Männer in solchen Beziehungen fühlen sich oft in ihrer Männlichkeit bedroht
- Trotz finanzieller Verantwortung übernehmen viele Frauen weiterhin den Grossteil der Carearbeit
Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder. Lange Zeit war eine solche Rollenverteilung in Beziehungen die Norm. Und ist es in aufgeweichter Form auch heute noch, wie eine neue Studie zeigt.
Ein kanadisches Forschungsteam der University of Victoria hat in vier Teilstudien untersucht, wie sogenannte «Female Breadwinner Relationships» in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden. Dabei handelt es sich um heterosexuelle Beziehungen, in denen eine Frau mehr als ihr männlicher Partner verdient. Laut den Autorinnen werden diese Beziehungsmodelle häufig stigmatisiert und als weniger erstrebenswert und instabiler wahrgenommen als traditionelle Beziehungen.
Für die Studie, die im Februar in der Fachzeitschrift «Sex Roles» erschienen ist, führten die Forscherinnen eine Medienanalyse sowie zwei Experimente mit insgesamt 2143 Teilnehmenden durch. Ausserdem haben sie 511 verheiratete Erwachsene zu ihrer Beziehung befragt.
Männer fühlen sich bedroht
Ein zentrales Problem ist laut der Studie die Angst von Männern, nicht mehr den Erwartungen an Männlichkeit zu entsprechen. Früher war klar: Der Mann verdient das Familieneinkommen. In einer Beziehung mit einer beruflich erfolgreichen Frau fällt diese Rolle weg – und viele Männer kommen damit schlecht zurecht. In der Studie erlebten 70 Prozent der Männer in solchen Beziehungen Gefühle von Unzulänglichkeiten.
Dies bestätigt auch Julia Nentwich (53), die an der Uni St. Gallen zu Sozialpsychologie und Geschlechterfragen forscht. Die Vorstellung eines Mannes als Familienernährer sei fest in der gesamten westlichen Welt verankert. «Hier die ‹Rollen zu tauschen›, wie oft lapidar gesagt wird, ist darum voraussetzungsvoller als gedacht. Es handelt sich nicht um eine Rolle, sondern um männliche Identität», so Nentwich.
«Um eine Identität stabil zu halten, brauchen wir Alltagsinteraktionen, die uns vermitteln, dass unser Bild von uns selbst auch von anderen bestätigt wird», führt die Expertin weiter aus.
«Warum suchst du dir keinen ‹richtigen› Mann?»
Genau das fehlt jedoch gemäss Studienautorinnen. Ein Mann, der weniger verdient als seine Frau, gilt schnell als faul oder weniger männlich. Männer werden oft belächelt oder sogar stigmatisiert, wenn sie sich stärker in Hausarbeit oder Kindererziehung einbringen. Und Hauptverdienerinnen berichten in der Studie, dass sie sich für den Erfolg ihres Mannes rechtfertigen müssen. Durch Fragen wie «Warum suchst du dir keinen ‹richtigen› Mann?».
Manche Männer versuchen deshalb, ihre Männlichkeit auf anderen Wegen zu beweisen. Einige kompensieren laut Studie beispielsweise mit Sport. Andere suchen Bestätigung ausserhalb der Beziehung: Die Autorinnen verweisen dabei auf bestehende Forschung, die zeigt, dass Männer in Female Breadwinner Relationships ein höheres Risiko für Untreue aufweisen.
Doppelte Last für Frauen in Top-Kadern
Wer nun denkt, dass verheiratete Frauen in Spitzenpositionen weniger Verpflichtungen ausserhalb ihres Jobs haben, der irrt. Die Studienergebnisse zeigen: Selbst wenn die Frau das meiste Geld nach Hause bringt, erledigt sie trotzdem oft den Grossteil der Hausarbeit. Das bedeutet, dass Hauptverdienerinnen doppelt belastet sind. Sie tragen nicht nur die finanzielle Verantwortung, sondern übernehmen zusätzlich die unbezahlte Care-Arbeit.
Denn manche Frauen hätten Schuldgefühle, weil sie nicht der traditionellen Rolle der «Fürsorgerin» entsprechen, so die Studie. «Haus- und Care-Arbeit sind Tätigkeitsbereiche, die sich positiv auf weibliche Identität auswirken. Darum ist es für Frauen lohnender, sich dort zu engagieren», sagt Expertin Nentwich. Frauen tragen dort also noch immer den Löwenanteil – Hauptverdienerin hin oder her.
Andere Länder sind der Schweiz voraus
In angelsächsischen Nationen wie den USA oder Grossbritannien sind Beziehungen, in denen die Frau mehr verdient, keine Seltenheit mehr. Dort ist jede dritte Frau in heterosexuellen Beziehungen die Hauptverdienerin.
Diesem Anteil hinkt die Schweiz noch hinterher, weiss Nentwich: «Die Häufigkeiten sind in der Schweiz weit geringer ausgeprägt», sagt sie. Zum einen zeige sich das an der niedrigen männlichen Teilzeitquote von nur 19,6 Prozent. Auch vollziehen gemäss Bundesamt für Statistik in der Schweiz nur 3 Prozent der Paare einen «Rollentausch».