Strategiewechsel bei Frey-Schoggi und Handy-Spülmittel
Die Migros schwenkt beim Exportgeschäft der Eigenmarken um

Die Detailhändlerin Migros will sich mehr aufs Kerngeschäft konzentrieren. Dazu passt auch der Umbau der M-Industriebetriebe, wo Klassiker wie der Kult-Eistee herkommen. Der Strategiewechsel ist nicht ohne Risiko.
Publiziert: 20.06.2024 um 11:53 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2024 um 12:15 Uhr
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Die Migros setzt mit ihrer Neuorganisation vermehrt aufs Kerngeschäft.
Foto: Sven Thomann
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Andreas Güntert
Handelszeitung

Was aktuell bei der Migros abläuft, erinnert an den hektischen Reste-Rampenabverkauf. M-Electronics geht an Media Markt über, demnächst erhält die Fachmarktkette Sport X neue Eltern. Seit dieser Woche stellt der orange Riese zudem auch Micasa, Do it + Garden sowie Bike World ins Schaufenster.

Traurige Botschaft dahinter, notabene von einem Detailhändler, der doch eigentlich die Schweizer Handelslandschaft optimal lesen und kennen sollte: Haben wir nicht zum Laufen bekommen. Muss weg.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Noch stärker als beim Fachmarktthema greift der neue Migros-Chef Mario Irminger indes bei der M-Industrie in die DNA des Unternehmens ein. Immerhin geht das Thema der Eigenmarken direkt auf Firmengründer Gottlieb Duttweiler zurück.

In den Anfangstagen der Migros weigerten sich grosse Markenartikelfabrikanten wie Henkel, Kaffee HAG oder Sunlight, den aufstrebenden und ungewöhnlichen Schweizer Detailhändler zu beliefern. Aus dieser Not machte «Dutti» eine Tugend und erschuf eine eigene Produktion. Bekanntestes Beispiel aus jenen Kampfjahren: die Umgestaltung des Henkel-Produkts Persil zum M-Eigenmarken-Derivativ «Ohä», was man durchaus als «ohne Henkel» lesen konnte.

M-Eigenmarken wurden zum Kult

Über die Jahre entwickelten Migros-Eigenmarken wie Frey (Schokolade), Anna's Best (Convenience-Produkte) oder Total (Waschmittel) ihre ganz eigene Aura; sie wurden quasi zum Werkstolz der Migros-Eigenmarkenindustrie. Oder, etwa im Fall des Migros-Eistees und des Handy-Geschirrspülmittels, zu eigentlichen Swissness-Kultprodukten.

Der kultige Eistee feiert dieses Jahr sein 40. Jubiläum.
Foto: Keystone

Auch wenn die Migros in den letzten Jahren zunehmend Markenartikel in die Regale stellte, bleibt doch der hohe Eigenmarkenanteil ein wesentliches Merkmal der Migros. Radikal aber greifen Irminger und der neue Industriechef Matthias Wunderlin jetzt in ein kaum je hinterfragtes Businessmantra ein. Jahrzehntelang galt für die Migros-Industrie: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, strebte man für Frey-Schoggi, Bohnenkaffee und andere Migros-Originale einen starken Exportmarkt an. Die Industrie, das viel zitierte «Rückgrat der Migros», sollte sich im Ausland bewähren und dabei auch Erfahrungen in Märkten sammeln, die weniger abgeschottet als die Stammlande funktionieren.

M-Industrie-Export: Der grosse Strategiewechsel

Diese «Exportfähigkeit», so die Überlegung, würde es der Migros-Industrie nicht nur erlauben, sich in Auslandsmärkten wertvolles Wissen zu holen, sondern dabei auch ihre Schweizer Anlagen besser auszulasten und so zuhanden der Migros selber bessere Preise zu erzielen. Das war auch einer der Gedanken hinter dem Erwerb der deutschen Biokette Tegut im Jahr 2013. Wie wichtig das Ausland für die Migros-Industrie ist, zeigt ein Blick in den Geschäftsbericht von 2023: Von den insgesamt 6 Milliarden Umsatzfranken der Industriebetriebe stammt 1 Milliarde aus dem Export.

Es wird weniger werden. Im wichtigen Exportmarkt Deutschland etwa werden die Schokoladenmarke Frey sowie die Migros-Brands für Bohnenkaffee und gemahlenen Kaffee aufgegeben. Auch wenn erst gerade vor zwei Jahren noch zum grossen Halali geblasen wurde: Damals wollte die Migros-Schoggi-Marke Frey in Deutschland neu auch mit Biskuits und Schoko-Snacks Gas geben, ein siebzig Mann starker Aussendienst sollte den Migros-Gospel zu Grosskunden wie Edeka bringen. Jetzt heisst es: Plan abgeblasen.

Ein M schlechter: Schwacher Euro, hohe Inflation

Warum wird ein Modell, das jahrelang vorangetrieben wurde, plötzlich umgemodelt? Seitens der Migros werden dazu zwei Gründe genannt. Erstens die vermehrte Konzentration auf das Kerngeschäft in der Schweiz, anderseits verweist man auf zunehmende Schwierigkeiten im Ausland, was wohl auf die Profitabilität schlug: «Mit schwachem Euro-Kurs und hoher Inflation wird das Auslandsgeschäft für Lebensmittel, gerade in Deutschland, immer schwieriger», heisst es bei der Medienstelle.

Für Beobachterinnen macht ein teilweiser Exportrückzug einerseits Sinn. Wenn sich der orange Riese schon vermehrt auf sein Kerngeschäft – den profitablen Betrieb seiner Supermärkte – konzentrieren will, dann muss wohl auch das Industriebusiness vermehrt darauf ausgerichtet werden. Der massive Strategiewandel, der sich daraus ergibt, sei aber kaum ohne Friktionen zu managen, sagt ein Kenner, der namenlos bleiben will: «Wenn die Migros-Industrie den Export marginalisiert und den Eigenmarkenzugriff abgibt, bleibt das nicht ohne Risiken.»

Geplanter Mibelle-Verkauf

Damit sind zwei Punkte gemeint. Erstens die Kontrolle über die eigenen Produkte. Im Februar 2024 annonciert die Migros, dass sie ihr Industrieunternehmen Mibelle verkaufen will. Damit würde dann auch ein Produkt wie das Spülmittel Handy in andere Hände übergehen. Klar, die Migros kann ihre ikonische Eigenmarke auch von einer externen Firma produzieren lassen – doch letztlich verliert sie damit auch jene vertikal angelegte Kontrolle, auf die sie jahrelang so stolz war. Von der Eigentümerin, die von A bis Z bestimmen kann, wird die Migros so zur Kundin, die bestenfalls wünschen darf. Dies vor allem dann, wenn Mibelle an einen globalen Riesen verkauft werden sollte, für den die Migros mit ihrem begrenzten Ländermarkt Schweiz eine eher kleine Kundin ist.

Kommt dazu: Wenn die Migros-Industrie vermehrt nur für internen Gebrauch produziert, dann kann es sein, dass der hiesige Maschinenpark und die Belegschaft zu gross ist. «Schweiz-Schwitzkasten» – so bringt das die Fachperson auf den Punkt. Ein Thema, das der neue Industriechef und ehemalige McKinsey-Mann Wunderlin im Auge behalten sollte. Seitens der Migros heisst es dazu: «Wir müssen die Kosten senken und effizienter werden. Dazu nun diese Neuorganisation, welche zu einfacheren Strukturen und der Beseitigung von Doppelspurigkeiten führt.» Das kann man auch so lesen: Mit dem Verzicht auf gewisse Exporttätigkeiten importiert die Migros möglicherweise ein neues Problem: Überkapazitäten.

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