Auf einen Blick
Die Nachricht kam wie ein Paukenschlag. Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe unter dem ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard, hat sechzig Sparmassnahmen für den Staatshaushalt erarbeitet, und in diesem Massnahmenpapier «schlummert» wenig bemerkt ein Punkt, der Sprengkraft hat: die Abschaffung der Sparvorteile bei der zweiten und dritten Säule.
Der Bund will sparen. Auf Kosten der Pensionierten. 220 Millionen Franken sollen dadurch bis 2030 in die Staatskasse fliessen, wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter berechnen liess. Bei den Kantonen sollen es 60 Millionen sein. Die Details jedoch sind völlig unklar.
Das Steuerprivileg soll fallen
«Zur konkreten Ausgestaltung der Massnahme können wir uns derzeit nicht äussern», sagt EFD-Sprecher Pascal Hollenstein. «Sie befindet sich in Ausarbeitung.» Im Januar will der Bundesrat das Paket in die Vernehmlassung schicken. Das letzte Wort hat dann das Parlament oder, sollte ein Referendum ergriffen werden, das Volk.
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Was geändert werden soll: Heute wird das ausbezahlte Kapital aus der zweiten und der dritten Säule separat vom übrigen Einkommen besteuert, zu einem privilegierten Tarif. Diese Kapitalbezugssteuer ist viel tiefer als die Einkommenssteuer. Bei der direkten Bundessteuer ist es ein Fünftel des ordentlichen Tarifs.
Und dieses Privileg soll nun fallen. Sollte der Vorschlag umgesetzt werden, müssten Sparerinnen und Sparer neu dreimal, viermal oder gar fünfmal mehr Steuern auf ihre Kapitalbezüge zahlen, hat die «SonntagsZeitung» vorgerechnet.
Kritik von allen Seiten
Es hagelte Kritik von allen Seiten. Selbst aus den Reihen der SP. Auch bei den Finanz- und Steuerplanern herrscht naturgemäss Unverständnis. Reto Spring, Präsident des Finanzplaner Verbands Schweiz (FPVS) geht davon aus, dass dieser Vorstoss dazu führen wird, dass weniger vorgesorgt und somit das gesamte Vorsorgesystem geschwächt wird. «Als Dreissigjähriger denkt man nicht an die eigene Vorsorge, da die Pension noch zu weit weg ist. Der Steuervorteil war bislang für viele der Anstoss, es doch zu tun.»
Florian Schubiger, Partner der Vermögenspartner AG, verurteilt, dass es jahrelang geheissen habe, der Staat unterstütze die private Vorsorge mit steuerlichen Vorteilen, und jetzt, da die Pensionskassenkonten voll sind, wolle man diese versteuern.
Karin Keller-Sutter will mit ihren Steuerplänen gegen eine Ungerechtigkeit vorgehen: Diejenigen, die Rente beziehen, hätten keinen Steuervorteil, argumentiert die Bundesrätin. Florian Schubiger lässt dieses Argument nicht gelten: «Wer nach dem Kapitalbezug noch zwanzig oder dreissig Jahre lebt, zahlt dafür eine jährliche Vermögenssteuer. Bei höheren Vermögen kann diese Steuer je nach Kanton bei 0,5 Prozent des Vermögens oder höher liegen. Wird das Pensionskassenkapital in Aktien oder Immobilien investiert, unterliegt es ebenfalls der Vermögenssteuer. Zusätzlich müssen die Erträge jährlich als Einkommen versteuert werden. Es ist also nicht so, dass keine Steuern anfallen.»
Jede dritte Rentenbezieherin ist im Ausland
Die Ministerin will mit ihren Plänen Steueroptimierungen unterbinden. Dabei übersieht sie aber andere Steuerschlupflöcher, die weiterhin bestehen. Etwa jene für Auslandschweizer. «Die aktuelle Regelung für Auslandschweizer würde zu Ungerechtigkeit führen», sagt Reto Spring vom FPVS. «Diese müsste angepasst werden, sonst würde die Gefahr bestehen, dass Auslandschweizer deutlich besser gestellt werden als Schweizer.»
Denn Rentnerinnen, die sich zum Zeitpunkt der Auszahlung des Pensionskassenkapitals im Ausland befinden, bezahlen eine Quellensteuer. Und diese ist, je nach Kanton, eklatant tiefer als die Kapitalbezugssteuer. Sprich: Die Pläne der Finanzministerin machen es attraktiver, im Zuge der Pensionierung ins Ausland zu ziehen.
Mehr zum Sparvorschlag von Serge Gaillard
Die Zahl der Rentner jenseits der Grenze ist dabei bereits jetzt hoch. Wie aus der AHV-Statistik 2022 zu entnehmen ist, leben 35 Prozent der Rentenbeziehenden im Ausland. Das sind 956’000 Pensionierte jenseits der helvetischen Grenze.
Jeder Dritte verschönert mittlerweile sein Rentnerdasein unter Palmen, auf österreichischen Almen oder in der italienischen Toscana. Wer ins Ausland zieht, kann sich die Pensionskassengelder (wie in der Schweiz lebende Pensionierte auch) via Einmalbezug auszahlen lassen.
Quellensteuer ist supergünstig
Im Unterschied jedoch wird der Bezug mit einer Quellensteuer dort besteuert, wo die Vorsorgeeinrichtung ihren Standort hat. Eine fantastische Regelung. Denn diese Quellensteuer ist, je nach Kanton, supergünstig. Wer noch findiger ist, lässt das Kapital zu einer Freizügigkeitseinrichtung im Kanton Schwyz transferieren, nachdem er ins Ausland gezogen ist: In diesem Kanton gibt es die schweizweit tiefsten Quellensteuern mit einem Satz zwischen 2,5 und maximal 5,1 Prozent (Gesamtbelastung Kanton und Bund).
Könnte dies nun Schweizerinnen und Schweizer dazu motivieren, auszuwandern? «Die wenigsten ziehen nur wegen einer Steueroptimierung ins Ausland», sagt Florian Schubiger von der Vermögenspartner AG. «Eine Auswanderung muss in die individuelle Lebensplanung passen.» Zudem gebe es je nach Auswanderungsland ein Doppelbesteuerungsabkommen, aufgrund dessen das Vermögen ein zweites Mal versteuert werden muss.
Gemäss Reto Spring eignet sich eine Wohnsitzverlegung nur bei grossen Vermögen in Millionenhöhe. Und eine kurzzeitige Pro-forma-Auswanderung funktioniere nicht. «Man muss den Wohnsitz für mindestens drei Jahre ins Ausland verlegen. Wenn man sich viel häufiger in der Schweiz aufhält als im Ausland, verlangt das Finanzamt Beweise mittels Strom- und Telefonrechnungen.»
Eine grosse Auswanderungswelle wird es vermutlich also nicht geben. Klar ist hingegen: Auslandschweizer sind die lachenden Profiteure.