Wann haben Sie das letzte Mal jemanden auf der Strasse nach dem Weg gefragt? Eben! Seit es Google Maps und all die anderen Kartendienste auf den Smartphones gibt, findet diese spontane Begegnung nur noch selten statt.
«Weniger auf der Strasse angesprochen zu werden, das ist kein grosser Verlust», sagt Christian Fichter (48), Leiter des Instituts für Wirtschaftspsychologie an der Kalaidos-Fachhochschule in Zürich. Aber: Google Maps beeinflusse unbewusst unsere mentalen Fähigkeiten. «Das menschliche Gehirn bildet ständig mentale Landkarten, verknüpft Ereignisse mit bestimmten Gebäuden oder Örtlichkeiten», erklärt Fichter.
Diese Fähigkeit, mentale Landkarten zu bilden, viele verschiedene Inhalte im Kopf zu verknüpfen, nehme ab. «Wir verlassen uns immer mehr auf die digitalen Karten im Smartphone», sagt Fichter. Denn die sind ganz schön praktisch. Google Maps sagt uns, wo wir gerade sind, wann der nächste Zug fährt oder wo es einen Stau hat.
Allerdings ist auch das mächtige Google nicht unfehlbar. Einem Berliner Künstler gelang es, Google Maps zu überlisten. Simon Weckert (30) packte 99 Smartphones in einen Handkarren, zog damit durch einige Strassen der deutschen Hauptstadt, simulierte Stop-and-Go. 99 Smartphones, die sich schleichend vorwärtsbewegen, interpretierte Google Maps als hohes Verkehrsaufkommen. Die Folge: Der Kartendienst färbte die Strassen rot ein. Staugefahr!
Welche Grenze solls denn sein? Google ordnet Orte auf der Krim in seinem Kartendienst zwar keinem Land zu. Doch wenn man Google Maps in Russland öffnet, ist die Linie zwischen der Halbinsel und der Ukraine durchgezogen wie eine Grenze. Ausserhalb Russlands ist sie nur gestrichelt. Territorial-Politik à la Google.
Welche Grenze solls denn sein? Google ordnet Orte auf der Krim in seinem Kartendienst zwar keinem Land zu. Doch wenn man Google Maps in Russland öffnet, ist die Linie zwischen der Halbinsel und der Ukraine durchgezogen wie eine Grenze. Ausserhalb Russlands ist sie nur gestrichelt. Territorial-Politik à la Google.
Mehr als 200 Millionen Orte
Doch Google Maps ist viel mehr als nur eine Landkarte oder ein Stadtplan mit Stauanzeige. Es ist ein gigantisches Branchenbuch. Eines, das global funktioniert. Rund um die gewählte Route tauchen Zusatzinformationen auf, Hinweise auf Restaurants oder Geschäfte, Vergleichsmöglichkeiten und Öffnungszeiten inklusive – und das von mehr als 200 Millionen Orten weltweit.
«Insgesamt verbessern Kartendienste unsere Orientierung – auch dank all der Zusatzinformationen», so Fichter. Davon profitierten auch viele Geschäfte. «Die optimale Passantenlage mit viel Laufkundschaft ist nicht mehr so entscheidend wie früher», sagt Fichter. Ein Google-Maps-Eintrag reiche, um neue Kunden anzulocken. Um aus einer Hinterhofboutique eine Goldgrube zu machen.
Ein bei Google Maps hochgeladenes Busenblitzer-Video bescherte einer unbekannten Region in Taiwan vor zwei Jahren viele neue Fans. Der Beitrag wurde zum viralen Hit. Die Region erhielt dazu auf Google Maps zahlreiche Fünf-Sterne-Bewertungen. Google war nicht erfreut über die Angelegenheit und entfernte das Video umgehend.
Ein bei Google Maps hochgeladenes Busenblitzer-Video bescherte einer unbekannten Region in Taiwan vor zwei Jahren viele neue Fans. Der Beitrag wurde zum viralen Hit. Die Region erhielt dazu auf Google Maps zahlreiche Fünf-Sterne-Bewertungen. Google war nicht erfreut über die Angelegenheit und entfernte das Video umgehend.
Wer nicht auf Google ist, hat verloren
Dafür lässt sich Google bezahlen, denn die Karten sind zu einer weiteren Werbeplattform geworden. Seit 2016 gibt es sogenannte «Promoted Pins» – Kartenmarker von Geschäften, die auf der Karte hervorgehoben werden, weil die Inhaber dafür bezahlt haben. Die Investmentbank Morgan Stanley rechnet für dieses Jahr schon mit knapp fünf Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen – und einer Verdoppelung bis 2023.
Das heisst aber auch: Wer nicht auf Google Maps ist, hat fast schon verloren, findet unter Ausschluss der digitalen Öffentlichkeit statt. Das sieht Hotelleriesuisse so: «Natürlich raten wir unseren Betrieben, ihre Daten bei Google zu hinterlegen. Wer nicht bei Google auffindbar ist, befindet sich klar im Nachteil», erklärt der Schweizer Hoteldachverband zum Thema Google Maps. Auch Fahrdienste wie Uber oder Scooter- und Velo-Mietservices wären ohne die Kartentechnologie der Suchmaschine undenkbar. Allerdings brauchen sie dafür die Bewegungsdaten des Benutzers.
Was passiert mit den Daten?
Und gerade hinsichtlich Datenschutz steht Google in der Kritik: «Google Maps ist aus datenschutzrechtlicher Sicht fragwürdig», erklärt Bruno Baeriswyl (64), Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich. «Die Datenbearbeitungen erfüllen die nach europäischem und schweizerischem Datenschutzrecht geforderten Transparenzvorgaben nicht.» Für die User sei nicht nachvollziehbar, was tatsächlich mit ihren Daten gemacht wird.
Das allerdings interessiert Google nicht – und ist wohl auch den meisten Benutzern egal, die ohne Bedenken den Datenriegel eben nicht vorschieben.