Edle Motive schiebt Neo-Twitter-Boss Elon Musk (50) für die 44 Milliarden-Übernahme des Kurznachrichtendienstes vor: Es gehe ihm nicht ums Geld. Er wolle die Redefreiheit auf Twitter stärken. Damit die User die Plattform besser verstehen können, soll zum Beispiel der Twitter-Algorithmus offengelegt werden.
Was Musk mit «mehr Redefreiheit» genau meint, bleibt aber schleierhaft. Im Netz ist der Unmut über den selbst ernannten Hüter der Meinungsfreiheit jedenfalls gross. Musk selbst teilt immer wieder deutlich unter der Gürtellinie aus, polarisiert mit seinen Tweets. Und der Tesla-Boss liebäugelt mit der Rückkehr von Donald Trump auf das virtuelle Twitter-Parkett. Der ehemalige US-Präsident wurde nach dem Sturm aufs Kapitol in Washington von der Plattform verbannt.
Es gibt definitiv noch Potenzial für Meinungsfreiheit
Musks' Definition von Redefreiheit tönt sehr anarchistisch: «Wenn jemand, den man nicht mag, etwas sagen darf, was man nicht mag». Zumindest eines von drei Kriterien für Meinungsfreiheit sei damit aber erfüllt, sagt Dirk Helbing (57), ETH-Professor für Computergestützte Sozialwissenschaften.
«Es ist wichtig, seine Meinung frei äussern zu können, ohne sich vor Konsequenzen fürchten zu müssen.» Meinungsfreiheit heisse aber auch, freien Zugang zu Fakten zu haben und sich eine eigene Meinung daraus bilden zu können, ohne dabei manipuliert zu werden. «Bei all diesen Punkten gibt es auf den heutigen Plattformen Defizite», sagt Helbing. Da sieht der ETH-Experte auch bei Twitter durchaus noch Luft nach oben.
Streitpunkt Moderation von Tweets
Kritik bringt Helbing an Musks Plänen zur Moderation von fragwürdigen Inhalten an. Zurzeit versieht Twitter zweifelhafte Informationen zur Corona-Pandemie und anderen Themen mit Warnhinweisen. Das Netzwerk sperrt Nutzer, wenn sie gegen die internen Richtlinien verstossen. Damit soll laut Musk bald Schluss sein! Twitter solle sich bei dieser Moderation viel stärker zurücknehmen.
«Keine gute Idee», findet Helbing. Die Meinungsfreiheit höre spätestens bei Hassreden auf. «Ein Phänomen, das in Vergangenheit überhandgenommen hat», sagt der ETH-Experte. Er würde das Netzwerk demokratischer führen, «entsprechend rechtsstaatlicher Werte.»
Moderatoren sollen von der Community gewählt werden und eine Ausbildung in relevanten Werten unseres Rechtssystems haben, so Helbings Vorschlag. In welche Richtung Elon Musk sein neustes Spielzeug wirklich führen wird, ist völlig offen.