Es ist ein prestigeträchtiger Job, den viele Politiker in Bern nur zu gerne übernommen hätten – Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot (58) machte das Rennen. Sie wurde zur Präsidentin der Parlamentarischen Untersuchungskommission, besser bekannt als PUK, gewählt. Passenderweise wurde ihr dieses Amt als erste Frau just am 14. Juni, am Tag des feministischen Streiks, zuteil. Vorschusslorbeeren gibt es keine.
Die Kommission muss nun klären, wer schuld am Untergang der Credit Suisse war und was zu tun ist, damit sich ein derartiges Debakel nicht wiederholt. Die Karriere der Freiburger Juristin ist tadellos, gekennzeichnet von hohen Ämtern und Bestresultaten bei Wahlen. Dazu ist Chassot in allen politischen Lagern beliebt und in Bern sowie der Westschweiz bestens vernetzt. Erfahrung mit Bank- oder Finanzthemen hat die überzeugte Christdemokratin allerdings nicht vorzuweisen.
Im Ständerat ist sie in den Kommissionen für Wissenschaft, Bildung, Kultur sowie in der Kommission für Aussenpolitik. Kritiker beklagen zudem, dass sie als ehemalige Chefin des Bundesamts für Kultur (BAK) nicht geeignet sei, Untersuchungen zur Bundesverwaltung zu leiten. Tatsächlich steht Chassot vor einer gigantischen Aufgabe, die ihr viel Prestige, aber auch vernichtende Kritik einbringen kann.
Die Mitstreiter
Die Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser wird als stellvertretende Präsidentin der PUK an Chassots Seite die Investigationen rund um die Notfusion der Credit Suisse leiten. Ryser wurde 2019 in den Nationalrat gewählt. Als Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben stehen Bankthemen noch eher auf ihrer Agenda als bei Chassot. Die 31-Jährige hatte bereits im März eine Aufarbeitung des Falls CS und einen Systemwechsel gefordert.
Mitte-Fraktionspräsident und Nationalrat Philipp Matthias Bregy wurden Ambitionen für das PUK-Präsidium angedichtet, doch der Walliser trat nicht für den Prestigejob an, sondern schickte Chassot, Heidi Z’graggen und Leo Müller ins Rennen. Zu Chassots Mitstreiterinnen im Parlament zählt neben vielen anderen Christine Bulliard-Marbach. Die beiden Freiburger Mitte-Politikerinnen sind in den aussenpolitischen Kommissionen – Chassot als Ständerätin, Bulliard-Marbach für den Nationalrat.
Im vergangenen Jahr hatten sich die beiden für ein Massnahmenpaket des Bundes für die Medien starkgemacht. Während es vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt wurde, votierte der Kanton Freiburg mit mehr als 57 Prozent für eine Unterstützung des Medienpakets. Damiano Lepori, Präsident der Mitte-Partei des Kantons Freiburg, kann sich glücklich schätzen, eine bekannte und profilierte Politikerin wie Chassot in seinen Reihen zu haben, seine Unterstützung hat sich ausbezahlt. Chassot wird wieder als Kandidatin für den Ständerat aufgestellt – mit Leporis voller Rückendeckung.
Die Familie
Isabelle Chassot wird als jüngstes von drei Kindern in Morges im Kanton Waadt geboren und wächst in Granges-Paccot FR auf. Ihr Vater Hubert Chassot ist Personalchef der Glashütte Saint-Prex, die Mutter Maria Chassot, mit Mädchennamen Bichler, Coiffeurin. Sie stammt aus Österreich. So wächst Chassot zweisprachig auf. Die Ferien verbringt die Familie immer bei der Verwandtschaft in Österreich. Nach der Primarschule in Granges-Paccot besucht sie das Kollegium Heilig Kreuz in Freiburg und absolviert dort die Matura. Chassot ist praktizierende Katholikin, christliche Werte sind ihr wichtig. Ihr Engagement in der CVP – heute Die Mitte – liegt daher nahe.
Die Karriere
An der Universität Freiburg studiert Chassot Rechtswissenschaften auf Französisch und Deutsch und arbeitet dort nach dem Lizentiat als Assistentin am Lehrstuhl von Professor Nicolas Michel. Sie erlangt 1992 das Anwaltspatent und ist einige Jahre als Anwältin tätig. Mit 26 Jahren wird sie bei den Wahlen für den Grossen Rat ins Kantonsparlament von Freiburg gewählt. Sie fällt durch Kompetenz und Engagement auf und erhält eine Anfrage von Bundesrat Arnold Koller als persönliche Mitarbeiterin.
Diesen Posten behält sie auch für Kollers Nachfolgerin Ruth Metzler-Arnold. In dieser Zeit lernt sie die Bundespolitik sowie die Funktionsweise der Bundesverwaltung kennen und kann sich in Bern vernetzen. 2001 wird Chassot Staatsrätin und Vorsteherin der Direktion für Erziehung, Kultur und Sport. Einige Jahre später übernimmt die CVP-Politikerin das Präsidium der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen.
Dann nimmt ihre Karriere eine neue Wendung: Alain Berset, damals Kulturminister, ernennt sie zur Chefin des BAK. 2021 gewinnt sie mit fast 63 Prozent der Stimmen den Ständeratssitz des SP-Politikers Christian Levrat. Gute Wahlergebnisse ziehen sich wie ein roter Faden durch die Karriere der Freiburgerin, was ihr den Spitznamen «La Reine Isabelle» einbrachte.
Die Gegenspieler
Welche Rolle spielte der Bundesrat bei der Notfusion? Isabelle Chassot wird versuchen, dies aufzuklären. Finanzministerin Karin Keller-Sutter wird ebenso wie ihr Vorgänger Ueli Maurer im Fokus der Untersuchungen stehen. Das gilt auch für Thomas Jordan. Zuletzt wurde Kritik laut, der SNB-Präsident habe die Liquiditätskrise der Credit Suisse zu spät erkannt.
Hat auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) zu lange untätig zugeschaut? Sicher wird Chassot die Arbeit von Finma-Chefin Marlene Amstad unter die Lupe nehmen. Zwar unterstehen privatwirtschaftliche Unternehmen nicht der Aufsicht des Parlaments, da aber das Zusammenspiel von Behörden mit «Dritten» überprüft werden soll, wird auch der eine oder andere Bankmanager Post von Chassot erhalten.
Culture Club
Als Direktorin des Bundesamts für Kultur hat Chassot ein schweizweites Netzwerk in der Kulturbranche gesponnen – insbesondere zu Filmschaffenden wie Filmemacher Matthias Bürcher, damals verantwortlich für die Standortförderung, pflegt sie Kontakte. Ihr Engagement für die «Lex Netflix» wird von Künstlern wie auch von Produzenten sehr geschätzt. Ab September wird Chassot Präsidentin von Cinéforom, der Stiftung zur Unterstützung des Filmschaffens in der Romandie. Filmproduzentin Joëlle Bertossa ist ihre Stellvertreterin.
Bereits 2018 setzte sich Chassot für mehr Frauen in der Filmbranche ein und unterschrieb mit einer Reihe von Politikerinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen sowie dem Präsidenten des Filmfestivals Locarno, Marco Solari, eine entsprechende Charta des Swiss Women’s Audiovisual Network. Seit einem Jahr ist Chassot zudem im Stiftungsrat der Stiftung Serge Rachmaninoff. «Ein absoluter Glücksfall», betont Urs Ziswiler, Präsident der Stiftung. Als Katholikin engagiert sich Chassot natürlich auch in der Stiftung für die Renovation der Kaserne der päpstlichen Schweizergarde im Vatikan – zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten der SNB, Jean-Pierre Roth, Alt-Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold, Mirabaud-Teilhaber Thierry Fauchier-Magnan und anderen.