Milliarden wurden in den vergangenen Jahren in den Immobilienmarkt Schweiz gepumpt.
Institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen liessen unaufhörlich Häuser mit Mietwohnungen bauen, weil es wegen der Negativzinsen kaum eine andere Möglichkeit gab, Geld gewinnbringend anzulegen.
Die Folge: Das Angebot überstieg mancherorts die Nachfrage, die Leerstände an Mietwohnungen nahmen langsam, aber stetig zu. Experten prognostizierten deshalb, dass die Mietpreise demnächst ins Rutschen geraten würden.
Miete stieg im Schnitt 0,9 Prozent
Dann kam Corona – und damit bange Fragen zur wirtschaftlichen Existenz: Habe ich in einem Jahr noch einen Job? Überlebt mein Gewerbebetrieb? Wie viel Unterstützung kommt vom Staat?
Eigentlich war zu erwarten, dass diese Unsicherheit die Mieten zusätzlich unter Druck setzen würde. Aber denkste: Gemäss neuen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) sind die durchschnittlichen Mietpreise in der Schweiz auch im Corona-Jahr gestiegen.
Der offizielle Mietpreisindex kommt zum Schluss, dass die Schweizer 2020 für ihre Miete im Schnitt 0,9 Prozent mehr aufbringen mussten als im Vorjahr. So zeigt es eine Stichprobenerhebung bei rund 10'000 Mietwohnungen im ganzen Land.
Mieter wehren sich selten gegen Erhöhungen
Natalie Imboden (50), Generalsekretärin des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz, ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge: «Der Mietpreisindex geht 2020 wie in den Vorjahren rasant nach oben. Trotz sinkender Preise in anderen Bereichen steigen die Mieten überproportional an.»
Für Imboden ist klar, wer dafür verantwortlich ist: «Treiber der Mieten sind die überzogenen Renditeerwartungen der Investoren.» Sie liessen die Wohnungen eher leer stehen, als die Anfangsmieten zu senken. Hinzu komme, dass sich die Mieterinnen und Mieter gegen überhöhte Anfangsmieten meist nicht zur Wehr setzten. «Dabei würden sie meistens recht bekommen, wie die Urteile der Mietgerichte zeigen.»
Zweifel an der Aussagekraft des Mietpreisindex
Mit anderen Worten: Für Imboden ist der jüngste Mietpreisindex Beleg dafür, wie sehr der freie Markt im Mietwohnungsbereich versagt.
Donato Scognamiglio (51), CEO der Immobilienberatungsfirma IAZI, sieht das etwas anders. Er zweifelt unter anderem an der Aussagekraft des offiziellen Mietpreisindex des Bundes: «Das Problem ist, dass in der Erhebung immer wieder andere Wohnungen berücksichtigt werden.»
Lage, Grösse und Ausstattung der Wohnungen, die im Index enthalten sind, könnten sich dadurch ändern, kritisiert Scognamiglio. «Wird ein Block, der fast auseinanderfällt, komplett renoviert und die Wohnungen danach zu höheren Preisen vermietet, dann trägt das dazu bei, dass die durchschnittlichen Mietpreise steigen.»
Nach Meinung von Scognamiglio ein Unding: «Der Bund sollte eine bessere Qualitäts- und Eigenschaftsbereinigung vornehmen. Dann würde die Entwicklung der durchschnittlichen Mietpreise mit Sicherheit anders aussehen.» Scognamiglio gibt zu bedenken: «Die grosse, grosse Mehrheit der Mieter in der Schweiz ist nicht am Zügeln. Die meisten Menschen bleiben im Schnitt rund sieben Jahre in der gleichen Wohnung – und haben in dieser Zeit in der Regel auch keine Mietpreiserhöhung.»
Steigende Angebotsmieten?
In den vergangenen Jahren sei gar das Gegenteil der Fall gewesen: Die Sesshaften hätten wegen des stetig sinkenden Referenzzinssatzes gar Mietpreissenkungen verlangen können. Man müsse deshalb differenzieren: «Steigende Mieten gab es tatsächlich auch 2020 – aber meist nur nach Sanierungen oder wenn ein Mieter umgezogen ist und mit höheren Angebotsmieten konfrontiert wurde.»
Von Angebotsmieten spricht man bei Wohnungen, die zur Neu- oder Wiedervermietung ausgeschrieben sind. Gemäss dem Swiss Real Estate Offer Index, der von ImmoScout24 und Scognamiglios IAZI AG publiziert wird, sind diese Beträge im Verlauf des Jahres 2020 im Landesmittel um 1,1 Prozent gestiegen.
Allerdings ist auch diese Zahl nicht unumstritten. So beobachtete Wüest Partner, ein weiteres wichtiges Immobilien-Beratungsunternehmen, im vergangenen Jahr leicht rückläufige Angebotsmieten.
Gewichtung der Regionen entscheidend
Wie kommen diese Unterschiede zustande? Robert Weinert, Leiter des Immo-Monitorings bei Wüest Partner: «Die Datengrundlagen und Berechnungen der verschiedenen Indexe variieren stark.»
Die unterschiedliche Gewichtung der Regionen habe einen grossen Einfluss, aber auch die Qualitäts- und Eigenschaftsbereinigung, die jedes Institut anders vornehme.
Zur Frage, welcher Index die Realität am besten wiedergebe, meint Weinert: «Aufgrund der vielfältigen Einflüsse auf dem Mietwohnungsmarkt – unter anderem dem Mietrecht und Wohnqualitäten – lässt sich nicht nur mit einem Index die gesamte Realität widerspiegeln.» Das beste Bild bekomme deshalb derjenige, der mehrere Erhebungen studiere.
Einig sind sich die Experten auch bei einer anderen Einschätzung: Corona hat den Mietwohnungsmarkt in der Schweiz nicht auf den Kopf gestellt.
Für Donato Scognamiglio ist das keine Überraschung: «Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Mietwohnungsmarkt stabil und träge.» Die grossen Veränderungen geschähen nicht über Nacht – auch nicht in Zeiten einer Pandemie.