In Écublens VD streiken die Angestellten von Micarna aus Wut auf die Geschäftsleitung. Migros hat angekündigt, dass der Fleischverarbeitungsbetrieb mit 84 Beschäftigten im Frühjahr 2025 geschlossen werde. Seit Donnerstagmorgen ruht die Arbeit. Die Streikenden haben die Geschäftsleitung zu Verhandlungen aufgefordert. Vergeblich, diese habe «den Dialog verweigert hat», wie die Gewerkschaft Unia erklärt.
Vermittelt durch die Gewerkschaft, konnte Blick mit einer streikenden Micarna-Mitarbeiterin sprechen. Anonym und am Telefon erklärt sie die Gründe für ihre Wut. Und was sie und ihre Kolleginnen und Kollegen zum Streik veranlasst hat.
Blick: Wie ist es Ihnen heute Morgen ergangen?
Wir sind seit 4.30 Uhr morgens hier. Wir haben uns alle vor dem Micarna-Werk in Écublens versammelt. Der Direktor kam und wollte uns überreden, an unseren Arbeitsplatz zurückzukehren. Aber wir haben uns geweigert, weil der Sozialplan, den sie uns vorgelegt haben, nicht in Ordnung ist. Später kamen die Personalverantwortlichen, darunter der Personalleiter. Er hat mit uns wie auch dem Management das Gespräch gesucht.
Was haben Ihnen die Verantwortlichen gesagt?
Zusammen mit zwei anderen Vertretern der Migros haben sie eine Art Drohung ausgesprochen: Sollten wir nicht an unsere Arbeitsplätze zurückkehren, könne das juristische Konsequenzen haben. Sie wollten, dass wir die Arbeit wieder aufnehmen. Wir haben uns geweigert, denn erst sollen sie sich an den Verhandlungstisch setzen, damit wir unsere Rechte geltend machen können.
Der Streik wird weitgehend befolgt?
Wir sind bis zum Ende zusammen, alle Beschäftigten. Nur einige Zeitarbeiter arbeiten und zwei Chefs, die sich unserem Streik nicht angeschlossen haben. Ich habe noch eine Zukunft vor mir. Ich muss noch etwa zwanzig Jahre arbeiten. Aber ich bin mit allen meinen Kolleginnen und Kollegen solidarisch. Ob kurz vor der Pensionierung oder nicht, wir sitzen alle im selben Boot. Was wir wollen, ist ein gerechter Sozialplan.
Was sähe ein gerechter Sozialplan aus?
Wir haben nie etwas Schriftliches bekommen. Die Person aus der Personalabteilung, die mit uns sprach, las ein Blatt vor, und das war alles. Unsere Bitten, nur schon dieses Blatt zu erhalten, wurden abgelehnt. Wir sollten den Sozialplan in Ruhe zu Hause lesen und alle Punkte studieren können. Ausserdem setzen sie uns unter Druck, eine neue Arbeit zu finden, vor allem seit dem 26. Februar. Wenn wir vor der Schliessung einen neuen Job finden, sind wir nicht mehr Teil des Sozialplans.
Was bedeutet das konkret für Sie?
Wenn ich in ein paar Monaten eine neue Stelle antrete, es dort aber nicht geigt, verliere ich alles. Micarna würde mich dann in eine Situation bringen, in der ich im Fall von Arbeitslosigkeit bestraft werde und keinen Zugang zum Sozialplan habe, weil ich meine Kündigung vor der Schliessung eingereicht habe.
Die Migros hat Arbeitsplätze in anderen Filialen versprochen, unter anderem bei Micarna in Courtepin FR. Wie ist es dazu gekommen?
Es wurden Stelleninserate aufgehängt, die man bereits im Internet findet. Ich habe versucht, mich bei der Migros zu bewerben, aber ich wurde wegen meines Profils abgelehnt. Es gibt nicht wirklich einen Prozess, bei dem der Arbeitgeber sein Bestes tut, um uns intern wieder einzustellen.
Das war früher anders?
Als sie die Fischfabrik hier in Écublens geschlossen hatten, erhielten die Leute eine Chance und Unterstützung. Damals haben sie mehr oder weniger alle in ähnlichen oder ihnen zusagenden Positionen wieder eingestellt. Nun heisst es, es gäbe Stellen in Courtepin, eine Autostunde von hier entfernt. Aber ohne Zusage für eine vergleichbare Stelle. Wenn wir Nein zu den Stellen in Courtepin sagen, fallen wir aus dem Sozialplan.
Sehen Sie darin einen Mangel an Respekt seitens der Migros?
Die Kommunikation ist sehr schwach. Das ist nicht einmal ein Sozialplan. Es ist Sand, der uns in die Augen gestreut wird. Einige von uns haben hier mit 16 Jahren eine Lehre begonnen und arbeiten immer noch im Unternehmen. Können Sie sich vorstellen, wie sie sich heute fühlen? Sie haben fast ihr ganzes Leben hie verbracht. Gut, wir werden bezahlt, die Löhne kommen. Aber man muss die Leute trotzdem respektieren, denn wir sind alle jeden Morgen hier, wir sind pünktlich, die Bestellungen werden pünktlich geliefert, und wir gehen erst raus, wenn alles fertig ist. Im Moment wollen sie nichts für uns tun, also streiken wir weiter.
Die Geschäftsleitung hat Ihnen für Freitagmorgen ein Gespräch versprochen, ist das richtig?
Das ist richtig. Wir werden sehen, was sie zu sagen haben, denn im Moment gibt es keine Verhandlungen. Das Management erkennt die Gewerkschaft Unia nicht als Personalvertreterin an. Aber die internen Gremien, die uns angeblich vertreten sollen, sind nicht erschienen. Sie werden nicht von den Beschäftigten, sondern von Micarna bezahlt. Heute ist niemand erschienen, um nach Lösungen zu suchen.
Es gibt also viel Wut...
Ja. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich stellen Fragen. Aber sie bleiben ohne direkte und klare Antworten. Wir sind alle zusammen hier, um unsere Rechte geltend zu machen. Mechaniker, Ausbeiner, Vorverpacker, sogar einige Manager: Alle harren hier aus. Im Moment befinden wir uns ausserhalb des Gebäudes. Wir bleiben anständig, ohne zu protestieren. Wir wollen nur verhandeln. Wenn es keine Verhandlungen gibt, bleiben wir den ganzen Tag bis zum Ende unserer Arbeitszeit.