Meijie Gasser-Qian (65) ist verzweifelt. Die gebürtige Chinesin aus Volketswil ZH muss unbedingt nach Shanghai: Ihre 85-jährige Mutter soll am Herzen operiert werden. Das geht aber nur, wenn sich in dieser Zeit jemand um Meijie Gasser-Qians 88-jährigen Vater kümmert. Er sitzt im Rollstuhl, ist pflegebedürftig.
Eine Spitex wie hierzulande gibt es in China nicht. Also muss Meijie Gasser-Qian, die älteste Tochter der Familie, die Rolle als Pflegerin übernehmen. Sie hat im Januar 2020 einen Flug nach Shanghai gebucht. Im April sollte es losgehen. Drei Monate wollte sie bei der Familie in China bleiben. Doch dann kam Corona. Gasser-Qians Flug wurde gestrichen.
«Ich habe Angst»
Bis heute, anderthalb Jahre später, hat sie es nicht nach Shanghai geschafft. Jeden Tag telefoniert und chattet sie via Whatsapp mit der Mutter in China. «Ich frage ständig: Geht es dir besser? Ich habe Angst, dass sie plötzlich auf der Strasse umfällt. Meine Eltern sind beide schwer krank. Sie brauchen mich. Ich muss unbedingt nach China!»
Das Problem: Die Fluggesellschaft Swiss hat Gasser-Qians Flug schon diverse Male verschoben. Das belegen die Buchungsunterlagen, die Blick vorliegen. Gasser-Qian wurde ein ums andere Mal vertröstet. Es gebe aktuell keine verfügbaren Flüge, vielleicht in drei Monaten. Paradox: Offiziell bietet die Swiss bereits seit Sommer 2020 wieder Shanghai-Flüge an.
Wer aber in den kommenden Wochen und Monaten einen Flug nach Shanghai buchen will, wird weder auf der Swiss-Webseite noch auf anderen Buchungsportalen fündig. Der erste freie Sitzplatz in der Economyclass findet sich im Februar 2022. Kostenpunkt: 3200 Franken. Das ist dreimal teurer als vor der Pandemie.
China akzeptiert nur Direktflüge
Der Swiss sind die Hände gebunden, argumentiert Sprecherin Meike Fuhlrott: «Aufgrund der Restriktionen vonseiten der chinesischen Behörden können wir nur eine sehr begrenzte Anzahl Tickets auf dieser Route verkaufen, und die Flüge sind ausnahmslos sehr stark ausgelastet.»
Die Flugzeuge dürfen gemäss chinesischen Vorgaben nur zu 75 Prozent ausgelastet werden. Meijie Gasser-Qians Ehemann Werner Gasser (68) verfolgt jeden Sonntagabend auf der Website Flightradar24, wie die Swiss-Maschine mit Destination Shanghai in Zürich abhebt. Er kann einfach nicht glauben, dass es seit anderthalb Jahren keinen Sitzplatz für seine Frau gibt.
Er würde sofort einen neuen Flug bei einer anderen Fluggesellschaft buchen. Via Frankfurt oder Paris etwa. Nur: Das geht nicht. China lässt Ausländer derzeit nur mit Direktflug einreisen. Meijie Gasser-Qian, die seit über 20 Jahren in der Schweiz lebt, musste ihren chinesischen Pass abgeben, als sie den Schweizer Pass erhielt. Sie gilt in ihrem Heimatland seither als Ausländerin.
Visum verfällt
Gasser-Qian fühlt sich machtlos. «Ich habe endlich ein Visum für China gekriegt, das ist so schwierig momentan. Eine Woche, nachdem ich mein Visum hatte, sagt mir die Swiss, es gebe bis Ende Jahr keine Flüge. Das Visum muss ich innert drei Monaten einlösen. Ansonsten verfällt es.»
Kostenpunkt: 180 Franken. «Dieses Geld haben wir längst abgeschrieben», sagt Werner Gasser konsterniert. Er kann sich schon gar nicht mehr erinnern, wie häufig er mit der Swiss-Hotline telefoniert hat. «Man wartet eine halbe Stunde in der Warteschleife. Manchmal war mein Akku leer, kaum hatte ich jemanden am Hörer. In anderen Fällen waren die Leute im Kundenservice richtig frech. Eine Mitarbeiterin hat mir das Telefon einfach aufgelegt. Das ist doch keine Art und Weise!»
Swiss-Sprecherin Fuhlrott verwehrt nicht, dass es bei der Hotline zu Problemen kommen kann. «Derzeit verzeichnet unser Kundendienst eine ausserordentlich hohe Anzahl von Kundenanfragen, was leider zu längeren Wartezeiten in unseren Callcentern führt.» Allerdings, so Fuhlrott weiter, habe die Swiss Verbesserungsmassnahmen eingeleitet.
Koffer sind gepackt
Das Ehepaar Gasser würde liebend gerne über die Probleme bei der Hotline hinwegsehen – wenn Meijie Gasser-Qian nur endlich nach Shanghai fliegen könnte. Der aktuellste Stand: Ihr Flug wurde vom September auf den Februar verschoben. Ob er dann auch wirklich abhebt, darauf wollen sich Gassers nicht verlassen. Zu häufig wurden sie vertröstet.
Alternativ wurde Gassers ein Flug im November angeboten – allerdings in der Business Class. Kostenpunkt: Über 8000 Franken. «Dafür wäre ich vor der Pandemie acht Mal nach China geflogen!», wendet Werner Gasser ein.
Mit etwas Glück könnte Meijie Gasser-Qian aber doch noch einen Economy Sitzplatz ergattern, stellt die Swiss in Aussicht. Und zwar noch dieses Jahr. Dann nämlich, wenn andere Gäste annullieren.
An diesen Hoffnungsschimmer klammert sich Meijie Gasser-Qian. Die Koffer sind gepackt. «Ich kann nicht mehr warten. Die Herzprobleme meiner Mutter sind sehr gefährlich. Vielleicht schläft sie heute ein und kann morgen nicht mehr aufstehen. Ich bin nervös. Das Herz kann nicht warten.»