Vor rund einer Woche sah es an der noblen Adresse im Albisrieden-Quartier in Zürich noch eher nach Baustelle als nach Luxusleben aus. Waschmaschinen standen am Strassenrand, während hinter den Absperrungen Bauarbeiter auf Hochtouren arbeiteten. Statt Grünfläche umgaben gelbe Bagger und Bauschutt die Überbauung Letz9.
Auch wenn es nicht danach aussieht: Am Mittwoch, 1. November, ziehen hier die neuen Mieterinnen und Mieter ein. Allerdings wird das Licht nicht in allen Wohnungen angehen. 4 von 36 Wohnungen konnten bisher nicht vermietet werden. Und das in Zeiten von Wohnungsnot. Der Vermarkter Intercity versuchte vergangenen Monat noch verzweifelt, die Mietwohnungen zu füllen – und lancierte deshalb eine für Zürich aussergewöhnliche Aktion: Wer jetzt noch einzieht, darf zwei Monate gratis im Neubau leben.
Mit der Aktion greift Intercity Kurzentschlossenen unter die Arme. Sie können trotz Kündigungsfrist für die alte Wohnung die neue Wohnung bereits beziehen, ohne doppelt Miete bezahlen zu müssen.
Leerstand trotz Wohnungsnot
Das Angebot dürfte viele Zürcherinnen und Zürcher vor den Kopf stossen. Schliesslich herrscht in der Stadt – wie in vielen anderen Städten in der Schweiz – Wohnungsnot. Die Leerstandzahlen sind historisch tief. Am 1. Juni 2023 standen in der Stadt Zürich gerade mal 144 Wohnungen leer. Das entspricht einer Leerwohnungsziffer von 0,06 Prozent.
Immer wieder berichtet Blick über verzweifelte Mieter, die an der Suche nach Wohnraum in der Stadt fast verzweifeln. Auch Immobilienexperte Donato Scognamiglio (53) überrascht die Aktion vor dem aktuellen Hintergrund. «Wer heute einen Leerstand hat, muss sich fragen, warum», sagt der Verwaltungsratspräsident der Immobilienfirma Iazi.
Warum also bleiben die neuen Wohnungen am Letzigraben am Einzugstermin leer? «Die Eigentümerin hat die Liegenschaft während der Projektphase gekauft und konnte deshalb erst später als üblich mit der Vermarktung starten», erklärt der Immobiliendienstleister Intercity Vermarktung auf Anfrage. Das Mehrfamilienhaus gehört der SBB Pensionskasse.
Luxuswohnungen bleiben leer
Eine verkürzte Vermarktungsdauer als Begründung greift allerdings zu kurz. Denn die durchschnittliche Vermarktungsdauer einer Wohnung in und um Zürich beträgt elf Tage. Das zeigen aktuelle Zahlen des Immobilienberaters Wüest Partner. Die Wohnungen der Luxusüberbauung sind schon deutlich länger ausgeschrieben. Allein das Lock-Angebot mit den Gratismieten gilt seit einem Monat.
Der wahre Grund für die leeren Wohnungen dürfte viel mehr das Preisniveau der Objekte sein. Die Wohnungen sind teuer – selbst für Zürich. Eine der freien 3,5-Zimmer-Wohnungen ist für 4675 Franken ausgeschrieben. Vergleicht man die Preise der Überbauung mit den Marktpreisen von Wüest Partner für Zürich, wird klar: Die Luxusobjekte gehören zu den teuersten 10 Prozent der Stadt. Sonderaktionen wie etwa Gratismonate sind laut Scognamiglio ein Versuch, «den stolzen Preis zu halten».
Lockvogelangebot statt Mietpreisreduktion
Auch wenn die Wohnungen mit einem «hochwertigen und exklusiven» Innenausbau angepriesen werden, so exklusiv ist die Lage dann doch wieder nicht. In Albisrieden gibt es weder Seeanstoss noch Seesicht. Die Überbauung liegt an einer vielbefahrenen Strasse. Direkt nebenan steht ein Denner.
Der Vermieter scheint mit den Preisen die maximale Zahlungsbereitschaft der Zürcher Oberschicht ausgereizt zu haben. Anders lassen sich die vier leeren Wohnungen nicht erklären.