Ein Schreiben des Immobilienmaklers Walde verändert ihr Leben. Mieterinnen und Mieter von 39 Wohnungen in sechs Häusern in Zürich-Wollishofen erfuhren, dass ihr Zuhause verkauft wird. «Wir waren erstaunt und geschockt», sagt Rebekka Schönenberger (36) zu Blick. Sie ist Primarlehrerin und wohnt mit ihrem Mann und einem Kind seit etwas mehr als drei Jahren in der Siedlung.
Schönenberger bezahlt für ihre 3-Zimmer-Wohnung plus Hobbyraum knapp 2400 Franken pro Monat. Es ist die günstigste Wohnung im Haus – sie ist in die Jahre gekommen. Schönenberger sagt stellvertretend: «In Zürich werden wir zu diesem Preis nichts Vergleichbares mehr finden».
Angst vor Räumung
Was die Anwohner der sechs Liegenschaften erleben, ist der Alptraum vieler Mieterinnen und Mieter der Stadt Zürich. In die Jahre gekommene Wohnhäuser werden zum Verkauf ausgeschrieben, häufig kommt ein institutioneller Anleger zum Zug. Weil der Wohnraum knapp ist, wird verdichtet, in die Höhe gebaut und so Platz für mehr Wohnraum auf dem bisherigen Gelände erstellt.
So wohl auch in Wollishofen. Die Siedlungsbewohner haben Angst, dass die Häuser durch Luxuswohnungen ersetzt werden. Makler streben maximale Rendite an. Heisst: Die alten Mieter müssen raus, die neuen brauchen ein dickeres Portemonnaie.
Mit genau dieser Angst leben die Bewohner in Wollishofen seit sieben Monaten. Darunter auch Senioren, die schon seit 55 Jahren hier wohnen. Auch viele junge Menschen und Eltern von kleinen und grossen Kindern.
Appell an die Politik
Gestern Mittwoch überreichten sie der Stadt Zürich nun eine Petition. 4400 Unterschriften sind innerhalb von zwei Monaten zustande gekommen. Darin fordern sie, die sechs Mehrfamilienhäuser sollten an die Stadt Zürich, die Stiftung PWG oder eine andere gemeinnützige Wohnbauträgerin verkauft werden. «Mit der Petition wollen wir ein Zeichen setzen», sagt Schönenberger. «Menschen wie wir werden in Zürich seit Jahren einfach verdrängt, das wollen wir verhindern!» Sie verstehen die Petition auch als Appell an die Politik: «Es braucht mehr bezahlbaren Wohnraum in Zürich.»
Es ist nicht die einzige Petition, die die Stadt dieser Tage in Empfang nimmt. Erst vor kurzem überreichten Anwohner einer Wohnsiedlung im Heuried in Zürich eine ähnliche Petition mit 6200 Unterschriften.
Die Mieter wehren sich
Wie viele Städter von einem solchen Szenario betroffen sind, zeigen aktuelle Zahlen der Stadt Zürich. Lange Zeit befand sich der grösste Teil der Stadtwohnungen in privaten Händen. Diesen Sommer hat sich das geändert. Zum ersten Mal in der Geschichte besitzen Immobilienfirmen mehr Wohnungen als Private. 76'908 Wohnungen gehören institutionellen Anlegern – zum Beispiel Pensionskassen, Versicherungen oder privaten Immobilienfirmen. Unternehmen, für die eine hohe Rendite im Vordergrund steht.
«Als sich der erste Schock legte, fingen wir an, uns zu organisieren», sagt Schönenberger. Sie schreiben einen Brief an die aktuellen Besitzer der Liegenschaften, zwei Brüder aus der Zentralschweiz. Darin bitten sie die Eigentümer, einen Verkauf etwa an die Stadt Zürich zu prüfen. Die Antwort der Besitzer: Man sei sich der herrschenden Wohnungsnot und der Wahrscheinlichkeit eines Ersatzneubaus bewusst. Und eine Verdichtung würde «doppelt so vielen Menschen wie bisher ein schönes Zuhause» bieten.
Noch ist völlig offen, wer der Käufer sein wird und wie stark die Mieten dann tatsächlich steigen. Schönenberger gibt zu bedenken: «Wenn sie aber an einen gewinnorientierten Käufer verkaufen, werden sich die neuen Wohnungen nur Besserverdienende leisten können.»
Blick hat sich bemüht, die derzeitigen Besitzer zu kontaktieren, doch alle Versuche liefen ins Leere.
Bieterverfahren für die Häuser
Der Immobilienmakler Walde hat die sechs Liegenschaften nie öffentlich ausgeschrieben. Dazu ist er auch nicht verpflichtet. Zu sehen bekam die Objekte daher aber nur, wer sich bereits im Kundenstamm des Luxus-Immobilienmaklers befand. Die Besichtigungen haben bereits stattgefunden. Ob die Stadt Zürich oder eine gemeinnützige Institution darunter sind, ist nicht klar. Ein Mieter berichtet, dass die Firma Xania sich ein Bild vor Ort machte. Es ist eine jener Immobilienfirmen, vor der sich die Anwohner fürchten. Sie sind in Zürich bekannt dafür, bezahlbaren Wohnraum abzureissen, um Luxuswohnungen zu bauen.
Ob bereits ein Käufer gefunden wurde, wissen die Anwohner nicht. Walde will sich dazu gegenüber Blick nicht äussern. «Wir geben keine Informationen zu aktuellen Mandaten heraus», heisst es auf Anfrage. Es soll ein Bieterverfahren geben. Das heisst, wer am meisten Geld für die Häuser zahlt, bekommt den Zuschlag.
Die Anwohner wollen sich weiter wehren. Das Engagement der letzten Monate hat die Familien und Senioren in Wollishofen zusammengeschweisst. Aus einer Nachbarschaft wurde eine Gemeinschaft. Ob sie den drohenden Rauswurf verhindern können und die Stadt Zürich vielleicht zur Käuferin wird, muss sich erst noch zeigen. Klar ist: Gegen den Verkauf einer Liegenschaft durch den Privatbesitzer gibt es keine Handhabe gegen ein Bieterverfahren.