Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, als die Logistikfirma Kühne + Nagel in den steuergünstigen Kanton Schwyz zügelte. 1975 kam Schindellegi SZ zum Handkuss. Das Steuerregime war wichtig. Aber es gab auch private Gründe für den Umzug.
«Mein Vater liebte die Schweiz», sagt der heute 84-jährige Mehrheitsaktionär Klaus-Michael Kühne zur «NZZ». «Er war schon als Kind Anfang des 20. Jahrhunderts auf Urlaub in der Schweiz, und nach dem Krieg führte ihn die erste Auslandsreise dorthin.»
Kühne ist Unternehmer in dritter Generation. Die Ursprünge der Firma gehen zurück auf seinen Grossvater August Kühne. Er gründete 1890 eine Spedition in Bremen. Heute ist ein Milliardenimperium daraus gewachsen, das eine zentrale Rolle beim Verteilen des Corona-Impfstoffs einnimmt.
Lebensabend in der Lenzerheide
Alle Fäden der Firma laufen zusammen im Glaspalast im Kanton Schwyz. Kühne hat sein Büro im vierten Stock. Auf einem grauen Ledersofa empfängt er jeweils Besucher, wenn er nicht andersweitig aufgehalten wird. Kühne ist auch noch Investor beim HSV, Hotelbesitzer, ein Tausendsassa.
Er kennt die Schweiz seit langer Zeit. «Anfang der 1960er Jahre sind wir im Winter regelmässig nach Lenzerheide gefahren», sagt er im NZZ-Interview. «Zuerst wohnten wir in gemieteten Häusern, dann hat sich mein Vater dort ein Haus gebaut. Zudem hatte er in Basel eine kleine Holding gegründet für unsere Auslandsaktivitäten.»
Kühnes Vater habe dann «politische Vorbehalte bezüglich der damaligen Entwicklung in Deutschland» gehabt. Er habe sich «dort ganz abgemeldet und die letzten 16 Jahre seines Lebens in Lenzerheide gewohnt, wo er sich sehr wohl fühlte.»
Vorwurf Steuerflucht
Die Schweiz war also zunächst Ferienregion, dann Wirtschaftsstandort, schliesslich Sehnsuchtsort. Vater Kühne war es auch, der die Idee zur Verlegung des Hauptsitzes hatte. «Damals machte die deutsche Gesellschaft noch 80 bis 85 Prozent des Gesamtvolumens aus. Es gab einzelne Auslandsgesellschaften, die ich ab Mitte der 1960er Jahre weiterentwickelt und mit Neugründungen ergänzt habe. Hierzu bot uns die Schweiz aufgrund ihrer zentralen Lage in Europa mehr Möglichkeiten, zumal in Deutschland immer der Fiskus reingrätschte», so Kühne.
«Da wir ein sehr internationales Geschäft betreiben, gab es viel internationale Verrechnung. Das Finanzamt hat immer gleich geglaubt, dass wir Gewinne verschieben würden, was gar nicht der Fall war.»
Kühne selbst ist seit dem Umzug in die Schweiz immer wieder mit dem Vorwurf der Steuerflucht konfrontiert. Er nimmt es als «Teil unseres Erfolges» – und wettert im nächsten Satz gegen das deutsche Regime.
Kühne als Europäer
«In Deutschland sind die Steuern und die Sozialabgaben viel höher als in der Schweiz, auch der Sozialneid ist sehr gross. Das gesamte Wirtschaftsklima ist nicht so liberal und angenehm wie in der Schweiz», sagt er.
Aber Kühne will keine Zwietracht säen. Er setzt sich ein für ein starkes Europa, fühlt sich selbst als Europäer, schätzt die EU. Er bedauert auch die Entwicklungen der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU.
«Europa muss ein Block sein, der die wirtschaftliche und politische Potenz hat, mit Amerika und China einigermassen mitzuhalten», so das Logistik-Schwergewicht. (ise)