«Fokus, Fokus, Fokus». So lautet das Kernmotto von Migros-Chef Mario Irminger (58) beim Umbau des orangen Riesen. Heisst: Konzentration auf das Kerngeschäft und Veräusserung von Unternehmensteilen, die nicht dazu passen.
Das schafft nicht nur Sorgen bei Mitarbeitenden der Unternehmen, welche die Migros abstösst. Sondern auch bei Kulturschaffenden. Blick hat sich bei mehreren Personen, Verbänden und Institutionen umgehört. Öffentlich hinstehen will niemand. Mit der Migros und deren Fördergeldern will man es sich nicht verspielen. Doch die Migros ist klar Gesprächsstoff in der Kulturszene.
Zum einen stellen sich manche die Frage, ob die Fördergelder durch das Verschlankungsprogramm der Migros abnehmen. Zum anderen, ob die Migros der Linie der Kulturförderung treu bleibt oder ihre Fördergelder künftig mehr «als Marketinginstrument für eigene Projekte» einsetzt.
Fachmarkt-Verkäufe kürzen die Beiträge
Eine Abnahme der Fördergelder kann tatsächlich erfolgen. Die Kulturförderung war ein Anliegen von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888-1962). Er führte das Kulturprozent im Jahr 1957 ein, also einen Kulturförderungsfonds, der sich aus Migros-Umsätzen alimentiert.
Wie sieht das heute aus? Unter dem Dach «Migros Engagement» gibt es drei Säulen: Kulturprozent, Pionierfonds und Unterstützungsfonds.
Als Berechnungsgrundlage für das Kulturprozent dienen der Detailhandelsumsatz aller angeschlossenen Migros-Genossenschaften sowie die Detailhandels-Online-Umsätze des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB). Die angeschlossenen Genossenschaften sind verpflichtet, jährlich ein halbes Prozent ihres Detailhandelsumsatzes für kulturelle, soziale und wirtschaftspolitische Zwecke zu verwenden.
Die Umsätze der Fachmärkte, die Migros jetzt teils abstösst, sind Bestandteil des für das Kulturprozent relevanten Detailhandelsumsatzes. «Insofern wird es durch die Veräusserungen der Fachmärkte zu einem Rückgang kommen», bestätigt eine Migros-Sprecherin gegenüber Blick.
Hotelplan-Abstossung bleibt ohne Folgen
Die Handelsgesellschaften wiederum entrichten seit jeher kein Kulturprozent, sondern liefern Beiträge in den 2012 gegründeten Migros-Pionierfonds ab. «Somit gibt es keine Reduktion der Kulturprozent-Beiträge, jedoch unter Umständen eine Reduktion der Fördergelder im Pionierfonds», so die Migros-Sprecherin weiter.
Der Pionierfonds ist ein freiwilliger Förderfonds der Migros-Unternehmen, der «nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen» anstösst. Getragen wird er von Unternehmen der Migros-Gruppe wie Denner, Migros Bank, Migrol, Migrolino und Ex Libris.
Hotelplan gehört nicht dazu. Die Veräusserung der Reisetochter hat also keine Folgen.
Andere Prioritätensetzung der Migros befürchtet
Weniger Geld im Topf ist an sich kein grosses Problem. «Dass die Investitionen der Migros ins Kulturprozent variieren, ist nichts Aussergewöhnliches und hängt immer vom Geschäftsgang des jeweiligen Jahres ab», so die Migros-Sprecherin.
Das Schauspielhaus Zürich, einer der grossen Kulturprozent-Partner, sagt: «Wir haben keine Signale hinsichtlich einer Veränderung vernommen.» Auch die ETH Zürich hat verschiedentlich Fördergelder der Migros für Projekte, Professuren oder Startups erhalten. Auswirkungen der Migros-Verschlankung seien bislang nicht spürbar, sagt ein Mediensprecher.
Die Migros wird ihre aktuellen Engagements zweifellos honorieren, sind sich alle Befragten einig. Doch es bleibt die perspektivische Sorge, dass die Migros ihre Mittel künftig eigennütziger einsetzt. Einige Kulturschaffende monieren, dass die Migros unter Irminger «vermehrt renditeorientiert agiert». Dabei seien kulturelle und soziale Leistungen bei der Migros statutarisch «gleichwertig zu kommerziellem Erfolg».
Für finanzielle Unterstützung müssen sich Kulturunternehmer bei der Migros bewerben. «Ich denke, sie werden mittelfristig kleinere Projekte fallenlassen oder viel weniger Gesuche gutheissen», sagt ein Kulturschaffender. Während Vereine und Laien dadurch getroffen würden, müssten sich die Migros-Klubschulen oder Migros-gebrandete Anlässe wie M4Music kaum Sorgen machen.
Das meiste Geld geht an die Klubschulen
Der Einwand ist nicht unbegründet. Im Jahr 2023 investierte das Migros-Kulturprozent 121 Millionen Franken. Davon gingen 67,2 Millionen oder 55,5 Prozent in den Bereich Bildung, also an die 30 Migros-Klubschulen und das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). In den Bereich Kultur flossen 21,7 Prozent, also 26,3 Millionen Franken. Die restlichen Prozente gingen in die Bereiche Freizeit, Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft. Auch da finanziert die Migros eigene Einrichtungen, wie die Monte-Generoso-Bahn oder die vier Parks im Grünen.
Beim Pionierfonds kamen 18 Millionen Franken zusammen, beim Unterstützungsfonds – vom MGB alimentiert – 1 Million.
Der Kulturtopf ist überschaubar für einen 32-Milliarden-Konzern wie die Migros. Das soll Sinn und Verdienst des Kulturengagements keineswegs schmälern. In der Migros-Strategie 2021-2025 steht auch klar: «Die Migros-Gruppe ist in der Schweiz die erste Referenz für gesellschaftliches Engagement.»
Doch was kommt nach 2025? Die Migros beschwichtigt: «Aktuell gibt es keine Änderung der Richtlinien in Bezug auf die breite Kulturförderung.» Um dann noch nachzuschieben: «Natürlich werden diese Richtlinien aber regelmässig überprüft.»