Mehr Umsatz, mehr Marktanteile, mehr Einkaufsmacht: Lange Jahre wurde bei der Migros alles dem Wachstumsglauben untergeordnet. Das Unternehmen wuchs in alle Richtungen, bis hin zur eigenen Airline, zur eigenen Warenhauskette, zu Hotels im Mittelmeerraum, zu Golfplätzen und zu Fachmärkten für jede Lebenslage.
Das jahrelange Businessmotto der Migros: Mehr ist mehr.
Von der Vielfelder- zur Vierfelderwirtschaft
Der Gewinn spielte dabei lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Mario Irminger, im Geschäftsjahr 2023 gestartet mit einem historischen Miniplus von 175 Millionen Franken, korrigiert das jetzt. Das Unternehmen soll sich auf weniger Bereiche fokussieren und darin rentabler werden. Weniger ist mehr.
Was nicht zu den vier Sektoren Supermarktkerngeschäft, Non-Food, Medizin und zum einträglichen Finanzbereich gehört, wird ausgelistet. Kurz: weg von der Vielfelderwirtschaft, hin zur Vierfelderwirtschaft.
Wie keiner seiner neun Vorgänger seit 1925 ordnet der neue Migros-Chef den ganzen Laden neu. Zeit, sich die 99 Jahre Expansionsgeschichte der Migros und ihre jeweiligen Steuermänner genauer anzusehen. Ein Wachstumsrausch im Schnelldurchlauf, versehen mit der Umsatzschallgrenze pro Migros-Chef – also dem Total der Verkäufe, das per Ende der jeweiligen Amtszeit eingefahren wurde.
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Mario Irminger, der Konzentrator
Amtszeit: seit 2023
Migros-Erbe: Irminger ist noch kein Jahr im Amt. Aber es zeichnet sich ab, dass er einen harten Konzentrationskurs fährt. Wenn es Irminger gut läuft, wird er als derjenige Chef in Erinnerung bleiben, der das Kerngeschäft neu erdacht, gestärkt und konkurrenzfähiger gemacht hat.
Zukäufe: Zeit fürs Corporate-Shopping hatte der im Mai 2023 gestartete neue Migros-Chef noch nicht gross. Das will er wohl auch nicht. Was Irminger will: schlanker, ranker, profitabler werden. Mit der Hotelplan Group, der Industrietochter Mibelle und den Fachmärkten Melectronics und Sport X sollen bedeutende Teile der Migros-Gruppe verkauft werden. Speziell daran: Früher stiess die Migros praktisch nie Firmenteile ab, die noch auf Gründer Gottlieb Duttweiler zurückgingen. Mit der kommunizierten Hotelplan-Veräusserung bricht Irminger dieses Tabu.
Umsatzschallgrenze: 32 Milliarden Franken
Fabrice Zumbrunnen, der Medizinmann
Amtszeit: 2018 bis 2023
Migros-Erbe: Anders als die Chefs vor ihm begann Zumbrunnen, über die Wichtigkeit des Gewinns zu sprechen. In seine Zeit fiel auch die emotionale Alkohol-Abstimmung. Zumbrunnen bleibt nicht als hemdsärmeliger Händler, sondern eher als Feingeist in Erinnerung. Einer, der aber auch mal unpopuläre und harte Massnahmen ergreifen konnte.
Zukäufe: Schon als Mitglied der Generaldirektion baute er das Geschäftsfeld Gesundheit auf.
Zumbrunnen leitete aber auch eine erste grosse Devestitionsphase ein: den Verkauf des Einkaufszentrums Glatt in Wallisellen ZH, der Warenhausgruppe Globus und der Möbelkette Interio.
Umsatzschallgrenze: 30 Milliarden Franken
Herbert Bolliger, der Eingemeinder
Amtszeit: 2005 bis 2017
Migros-Erbe: Mit dem Schweizer Eintritt von Aldi (2005) und Lidl (2009) wurde die Migros von der Jägerin zur Gejagten. Der Zukauf Denner war und ist das Bollwerk gegen die deutschen Discounter. In Bolligers Zeit wurde Migrolino zum Leader im Schweizer Convenience-Geschäft.
Zukäufe: Mit Digitec und Denner leitete Bolliger zwei strategisch wichtige Übernahmen ein. Discount und Digitalgeschäft wurden so eingemeindet. In seine Zeit fiel auch die Übernahme von Medbase, bedeutender Pfeiler für das Gesundheitsgeschäft.
Umsatzschallgrenze: 28 Milliarden Franken
Anton Scherrer, der Markenmann
Amtszeit: 2002 bis 2005
Migros-Erbe: Scherrer war zwar aus Altersgründen nur kurz an der Spitze der Migros, sorgte aber mit einer Strukturreform für mehr Corporate Governance im Unternehmen. Prägend auch die Einführung von Markenartikeln: In drei Wellen kamen Brands wie Zweifel, Nivea, Gillette oder Coca-Cola in die Migros-Regale. Das sprach zwar gegen das Eigenmarkenevangelium des Gründers, brachte aber mehr Kundschaft in die Läden.
Zukäufe: Mit der Übernahme von Scana kam die Migros zu einem der wichtigsten Zustellgrosshändler für Restaurants, Hotels und andere Grosskunden.
Umsatzschallgrenze: 20 Milliarden Franken
Peter Everts, der Globus-Eintüter
Amtszeit: 1997 bis 2001
Migros-Erbe: Die Einführung der Cumulus-Karte brachte die Migros ins Big-Data-Zeitalter. Das Kundenprogramm ist heute nicht mehr wegzudenken.
Zukäufe: Die Globus-Übernahme von 1997 sollte aus der Migros neben der Food-Grossmacht auch eine wichtige Spielerin im Non-Food-Geschäft machen und so neues Gelände eröffnen. Was nicht gelang. Lange Jahre fielen nur Verluste an; 2020 wurde Globus an das Duo Signa/Central Group verkauft. 2001 wurde die Airline Belair lanciert.
Umsatzschallgrenze: 14 Milliarden Franken
Eugen Hunziker, der Ausland-Abenteurer
Amtszeit: 1991 bis 1997
Migros-Erbe: Mit dem erstmaligen Betrieb von Golfplätzen puttet die Migros nahe am Markenkern ein: das Demokratisieren, was sonst nur der Oberschicht zugänglich schien. 1996 ging mit Migros.ch die erste Website des Unternehmens live. Im gleichen Jahr wurde die Tiefpreislinie M-Budget lanciert.
Zukäufe: Die Migros wagte den Schritt nach Österreich. Und fiel dort brutal auf den Boden der Tatsachen. Die Kooperation mit Konsum Österreich wurde abgebrochen und führte zu einem millionenschweren Abschreiber, intern noch lange Jahre als «Österreich-Loch» bekannt und gefürchtet. Ersten Supermärkten in Deutschland war ebenfalls kein Glück beschieden.
Umsatzschallgrenze: 13 Milliarden Franken
Jules Kyburz, der Grössermacher
Amtszeit: 1984 bis 1991
Migros-Erbe: Forcierung grosser Ladenformate und Übernahme von Einkaufszentren. Erstmals in ihrer Geschichte überschreitet die Migros in dieser Zeit die Umsatzgrenze von zehn Milliarden Franken und wächst zum Ende von Kyburz’ Zeit deutlich darüber hinaus.
Zukäufe: 1989 übernimmt die Migros-Tochter Hotelplan den weltgrössten Ferienwohnungsanbieter Interhome, eine Art Urahn von Airbnb.
Umsatzschallgrenze: 12 Milliarden Franken
Pierre Arnold, Monsieur Migros
Amtszeit: 1976 bis 1983
Migros-Erbe: Als erster Romand an der Spitze der Migros sorgt Arnold für eine noch breitere Verankerung im ganzen Land. Mehr als andere Migros-Topmanager verstand sich Arnold als Gralshüter des Dutti-Erbes und meldete sich auch nach 1983 immer wieder mit Kritik an der Entwicklung des orangen Riesen.
Zukäufe: Nicht so sehr Akquisition, sondern organisches Wachstum und Verdeutlichung der Migros-Macht steht auf Arnolds Agenda. In Zürich entsteht ein erster Drei-M-Markt, und in der gleichen Stadt öffnet das MGB-Hochhaus am Limmatplatz.
Umsatzschallgrenze: 9,6 Milliarden Franken
Rudolf Suter, der Neffe
Amtszeit: 1962 bis 1976
Migros-Erbe: 1970 öffneten die ersten MMM-Grossflächen. Lange Jahre hatte die Migros damit einen Vorteil gegenüber Coop. In dem Masse, wie sich das Einkaufsverhalten änderte, war dann aber später der Basler Konkurrent mit mehr, aber kleineren Läden näher an den Bedürfnissen der Konsumentinnen und Konsumenten.
Zukäufe: 1963 eröffnete Suter – er war der Neffe des Gründers – das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) und investierte weiter in die eigene Industrie: neue Teigwarenfabrik, neue Schlachterei, neue Düngerfabrik.
Umsatzschallgrenze: 7 Milliarden Franken
Gottlieb «Dutti» Duttweiler, der Gründer und Übervater
Amtszeit: 1925 bis 1962
Migros-Erbe: Neben dem ideellen Vermächtnis, das in letzter Zeit weniger wichtig wurde, stehen viele von Duttweilers Gründungen nach wie vor im Schweizer Markt. Etwa Hotelplan (gegründet 1935, jetzt ein Verkaufskandidat), Ex Libris (1947), Migrol (1954) oder die Migros Bank (1957).
Zukäufe: Weniger mit Zukäufen, sondern mit Gründungen wurde Duttweiler überhaupt erst aktiv. Zu Beginn mit einem Sortiment in fahrenden Läden, das dann auch auf ein stationäres Netz ausgeweitet wurde. Eigene Lebensmittelindustrie im Kampf gegen die Markenartikler, Ladenexpansion in die Romandie und ins Tessin. Umsatz im ersten Firmenjahr 1925: 778’500 Franken.
Umsatzschallgrenze: 1,3 Milliarden Franken