Auf einen Blick
Wenn Bio im Gestell liegt, gehen bei Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten Herz und Portemonnaie auf. Mit jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben von 454 Franken liegen die hiesigen Shopper auf dem ersten Platz der internationalen Biohitliste.
Die Schweiz, ein einig Volk von Biokonsumenten – das ist die eine Seite der Medaille. Die Rückseite: Bio geht ins Geld. Gemäss dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ist ein Warenkorb mit Bioprodukten durchschnittlich 56,4 Prozent teurer als einer mit herkömmlichen Rüebli, Eiern und Salatköpfen. Vor allem Bioprodukte, die mit dem Schweizer Knospe-Label ausgezeichnet sind und damit für höchste Ansprüche stehen, sind für Menschen, die aufs Geld achten müssen, oft unerschwinglich. Ob die Bioprämie von über 50 Prozent hauptsächlich den höheren Produktionskosten oder den überhöhten Margen der Grossverteiler geschuldet ist, wird leidenschaftlich debattiert. Was klar ist: Längst nicht alle, die gerne möchten, können sich Bio leisten.
Alnatura Schweiz bedient sich einer deutschen Billigmarke
Dass sie mit ihren hochpreisigen Bioangeboten nicht alle Kundinnen erreichen, wissen auch die Grossverteiler Coop und Migros – und beginnen nun, preisgünstigere Bioprodukte anzubieten. Solche, die nicht mit der Knospe versehen sind und nicht immer aus der Schweiz stammen.
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Das zeigt sich bei der deutschen Biosupermarktkette Alnatura, deren 25 Schweizer Filialen von der Genossenschaft Migros Zürich (GMZ) per Lizenzvertrag geführt werden. Anfang 2025 hat Alnatura in der Schweiz die deutsche Billigbiomarke Prima ins Sortiment genommen, wie eine GMZ-Sprecherin bestätigt: «Die Alnatura-Prima!-Produkte sind seit Anfang Januar in allen 25 Alnatura-Biosupermärkten in der Schweiz erhältlich. Das Sortiment reicht von Apfelsaft bis Vollkornmehl und umfasst 25 Grundprodukte.»
In den deutschen Alnatura-Märkten ist das Prima!-Sortiment aktuell doppelt so gross. Zum Grund für die Einführung der deutschen Billigmarke – quasi das M-Budget der Bioprodukte – heisst es bei der GMZ: «Bio soll für alle Kundinnen und Kunden, die sich nachhaltig ernähren möchten, erschwinglich sein, unabhängig von ihrem Budget.»
In den Migros-Supermärkten sind zwar vielerorts Alnatura-Produkte erhältlich, die Preiseinstiegsmarke Prima! soll dort aber nicht angeboten werden. Doch auch in den Läden des orangen Riesen achtet man stärker darauf, mit Bioprodukten preislich bei den Leuten zu bleiben. Immer öfter prangen die neuen gelb-schwarzen «Tiefpreis»-Etiketten auch auf Bioprodukten, wie eine Migros-Sprecherin bestätigt. «Uns ist es wichtig, dass wir auch im Biosortiment Tiefpreisartikel anbieten können. Wir ergänzen unser Tiefpreissortiment kontinuierlich, gleichzeitig unterliegt es saisonalen Schwankungen, weshalb wir keine konkrete Zahl nennen können.»
Coop mit Billigbio seit Frühling 2024
Biopionier Coop wiederum führte im Februar 2024 still und leise die Billigbiolinie Bio 365 ein. Was zunächst mit Kaffeekapseln und Eiern begann, ist aktuell auf 39 Produkte angewachsen. In ein bis zwei Jahren will Coop fünfzig bis sechzig solcher Billigbioprodukte anbieten, die grosso modo 30 Prozent günstiger sind als Knospe-Produkte.
Gegenüber dem herkömmlichen Bioangebot machen fünfzig Biotiefflieger zwar nur einen kleinen Anteil aus. Aber es zeigt, dass sich der Basler Grossverteiler auch um die Kundschaft aus tieferen Einkommensschichten kümmern will. Ein Coop-Sprecher sagt: «Unser umfassendes Biosortiment, das auf über 4000 Knospe-Artikeln fusst, wird dadurch mit ausgewählten Artikeln ergänzt und bietet unseren Kundinnen und Kunden eine breite Auswahl.»
Reaktion auf die Biorally der Discounter
Dass sich die Grossverteiler vermehrt um ein, wie es bei Alnatura heisst, «Basissortiment zur Vollversorgung für den budgetlimitierten Kunden in bester Bioqualität mit Genuss» kümmern, hat auch mit der gefrässigen Konkurrenz zu tun. Aldi Suisse und Lidl Schweiz, die beide das Schweizer-Knospen-Label nicht nutzen (dürfen), haben in den letzten Jahren ihr Biosortiment stark ausgebaut.
Lidl Schweiz meldet, dass im Standardsortiment von rund 2000 Produkten über 350 Produkte in Bioqualität geführt werden. Bei mehr als 130 Bioprodukten habe man letztes Jahr den Preis gesenkt. Ähnlich Bio-bullish klingt es bei der Medienstelle von Aldi Suisse: «Wir führten 2024 in unserem Sortiment rund 350 Bioartikel – das entspricht einer Zunahme von über 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr.» Und, als kleiner Seitenhieb an die Grossverteiler, die mit dem Biogewinnler-Generalverdacht leben müssen: «Es liegt in unserer DNA, dass wir Kostenvorteile, wo sie entstehen, an unsere Kundschaft weitergeben. So ist es uns möglich, unsere Bioprodukte rund 30 Prozent günstiger anzubieten als vergleichbare Knospe-Produkte der Mitbewerber.»
Früher als in der Schweiz mussten sich in Deutschland Biofachmärkte und Biosupermärkte mit billigen Bioeigenmarken gegen die Biorally von Lidl und Aldi wehren. Das passiere jetzt auch in der Schweiz, sagt Nordal Cavadini, Handelsexperte bei der Unternehmensberatung Alixpartners in Zürich. «Die etablierten Fachhändler und Supermärkte müssen auf das antworten, was die Discounter tun und noch stärker tun werden: die Besetzung der Biokompetenz.»
Bio Suisse geht bei Billigbio leer aus
Bei Bio Suisse verfolgt man die Entwicklung am unteren Rand des Biopreisbands mit gemischten Gefühlen. Der Schweizer Biodachverband lebt von Lizenzgebühren, die vom Handel und von vorgelagerten Stufen für die Verwendung des Knospen-Labels entrichtet werden. Im Falle von günstigen EU-Bioimportprodukten fallen diese Einnahmen weg. Aktuell sehe man die Sache eher positiv, sagt ein Sprecher: «Im Sinne eines Einstiegs in den Biomarkt sind solche Billigprodukte begrüssenswert. Früher oder später kommen die Konsumenten zur Bio-Knospe.»
Damit verbunden ist wohl auch die Hoffnung, dass Coop und Migros ihre Biotiefpreise nicht allzu offensiv bewerben und nicht allzu viele neue solche Produkte ohne Knospe in die Gestelle bringen. Aktuell jedenfalls sieht man Billigprodukte wie Prima! und Bio 365 bei Bio Suisse nicht als Konkurrenz zu Knospe-Produkten: «Wir sind ja weit weg von Vollsortimenten.»
Für den Moment mag das stimmen. Aber da wird wohl noch mehr kommen. Coop etwa kann mit seiner Marke Bio 365 noch in alle Richtungen weiterwachsen, wie ein Blick ins Markenregister zeigt. Neben den üblichen Lebensmittelproduktkategorien können die Basler den Billigbiobrand auch für Hundesnacks, Vogelfutter, Katzenstreu, Raucherartikel, Bier und weitere alkoholische Getränke verwenden. Wenn der preisliche Druck im Biokessel steigt, dürfte auch die Migros vermehrt mit dem gelb-schwarzen Tiefpreisstempel im Biosortiment ausrücken.
Kannibalisierung nicht ausgeschlossen
Als strategischen Schnellschuss sieht Nordal Cavadini solche Biotiefpreis-Taucherei nicht: «Das ist keine Verzweiflungstat, sondern eine geeignete Massnahme, um eine offene Flanke zu stärken.»
Natürlich würden die neuen Tiefpreisangebote die bestehenden Angebote zum Teil kannibalisieren, aber man müsse etwas tun, sonst verliere man manche Biokundinnen und -kunden. Oder kurz: «Besser sich selbst kannibalisieren, als von anderen kannibalisiert zu werden.»