Auf einen Blick
Kevin Klak steht auf einem Metallstuhl und hält ein dickes Kabel in die Luft. «Kein Strom», murmelt er. Seit einer Stunde schon. Es ist 13 Uhr. «Da muss sich jemand wie ein Kletteräffchen an das Kabel gehängt haben.» Klak rückt seine eckige Brille zurecht und blickt ratlos auf seinen Selbstbedienungsladen, der mitten in Luzern beim Pilatusplatz steht. Die Glasschiebetür zum umgestalteten Metallcontainer mit Holzverkleidung lässt sich über einen QR-Code mit dem Handy öffnen.
Auf 12 Quadratmetern gibt es ein auf den ersten Blick sonderbares Sortiment von Güggeli, Chips und Müsli zu kaufen – wenn denn Strom fliesst. Klak will nicht noch mehr kaputtmachen und wartet lieber auf den Elektriker. Bis dahin bleibt sein Shopcontainer geschlossen.
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Daran hat er sich gewöhnt. Und seine Kunden auch. Der Shopcontainer ist häufiger geschlossen als geöffnet.
Da Gesetz gilt auch für Läden ohne Mitarbeitende
Der Kanton Luzern hat das strengste Ladenschlussgesetz der Schweiz. Unter der Woche ist um 19 Uhr Schluss, am Samstag um 17 Uhr. Und für Selbstbedienungsläden ohne Mitarbeitende, wie Kevin Klak einen betreibt, gelten dieselben Regeln wie für den Coop um die Ecke.
Der Kanton Zürich setzt national Druck auf für eine Liberalisierung. Er fordert per Standesinitiative, dass das Arbeitsgesetz geändert wird, um in der ganzen Schweiz bis zu 12 Sonntagsverkäufe pro Jahr zu ermöglichen.
Gesetzloser Zustand in den Nachbarkantonen
Im März hat der Nationalrat zudem einer Motion von FDP-Nationalrat Philippe Nantermod zugestimmt: Kleine Lebensmittelläden sollen neu auch am Sonntag öffnen können. Die Motion liegt nun beim Ständerat.
In Luzerns Nachbarkantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz gibt es längst kein Ladenschlussgesetz mehr. Kein Wunder, wirbt auf manch einem Luzerner Bus das Einkaufscenter in Stans NW mit seinen langen Öffnungszeiten.
«Eine Art begehbarer Webshop»
Kevin Klak wartet inzwischen im Café des Hotels Anker auf den Elektriker. Eigentlich ist Klak Unternehmensberater. Er hilft Firmen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Klak will mit seinem Selbstbedienungsladen das D2C-Modell testen. Die Abkürzung steht für Direct-to-Consumer, also den Verkauf vom Hersteller direkt an die Kundin. «Eine Art begehbarer Webshop» schwebte ihm vor. Man könnte es auch einen modernen Hofladen nennen.
Klak tat sich mit lokalen Firmen zusammen, etwa einer Metzgerei aus Mägenwil, die jetzt im Container direkt ihre Güggeli verkauft. Eigentlich wollte Klak damit auch das personallose Einkaufen ausserhalb der Öffnungszeiten testen. «Dann kann die Kundschaft länger einkaufen, ohne dass Mitarbeitende länger arbeiten müssen.»
Klak schielte dabei auf Kantone wie Zürich, wo solche Supermärkte schon länger erprobt werden. Doch der Kanton Luzern machte ihm einen Strich durch die Rechnung: Auch sein autonomer Güggeli-Laden muss sich an die kantonalen Öffnungszeiten halten.
Ausnahmen gibt es nicht
Kevin Klak legte Beschwerde ein, doch das Luzerner Justiz- und Sicherheitsdepartement lehnte ab. Auch der Kantonsrat wehrte sich im September vehement dagegen, das Ladenschlussgesetz für Selbstbedienungsläden aufzuheben.
Man konnte sich immerhin durchringen, eine Verlängerung der Öffnungszeiten für Läden ohne Personal auf 22 Uhr «zu prüfen». Selbst das unter der Bedingung, dass das Lokal nicht grösser ist als 30 Quadratmeter. «Wir wollen keine ‹M›- oder andere Grossverteiler-Hofläden», rief SVP-Kantonsrat Rolf Bossart in der Debatte aus. Er ist Geschäftsführer des Detaillistenverbands.
Volk lehnte längere Öffnungszeiten ab
Bis auf Weiteres muss Klak «die Jugendlichen also vertrösten, die abends nach dem Training ratlos vor dem Container stehen, weil sich die Tür nicht öffnen lässt».
Aus Konsumentensicht mag das unattraktiv sein. Doch die Luzerner Stimmbevölkerung will es so. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sie drei Vorlagen für längere Öffnungszeiten abgelehnt.
Zuletzt forderten die Jungfreisinnigen 2013 eine komplette Liberalisierung, 68 Prozent lehnten ab. Erst 2020 einigten sich Gewerkschaften und Detailhandel: Seither dürfen Läden unter der Woche 30 Minuten länger offen haben. An Samstagen eine Stunde. Es war ein lange erkämpfter Kompromiss. Der Preis war ein Abendverkauf, der wegfiel.
Einheitliche Regeln gefordert
Kevin Klak nennt das Ladenschlussgesetz in Luzern einen Witz. «Es ist voller Ausnahmen und diskriminiert trotzdem noch einzelne Branchen.» Corona, Onlinehandel, 24/7-Mentalität: «Die Gesellschaft hat sich einfach verändert», sagt er.
Statt, dass sich das Gesetz mit verändere, werde es nun vielerorts gebrochen. Er erzählt von den Hofläden im Kanton Luzern, mehr als 50 habe er ausfindig gemacht, die auch sonntags geöffnet haben.
«Wo kein Kläger, da kein Richter»
Er habe das dem Kanton anonymisiert mitgeteilt und die Antwort erhalten, dass es sich um ein Antragsdelikt handle. «Und wo kein Kläger, da auch kein Richter», meint Klak. «Das zeigt doch, dass es niemanden stört.» Zudem beweisen andere Kantone, dass es auch ohne Ladenschlussgesetz geht. Ihm sei nicht bekannt, «dass etwa im Aargau die Arbeitnehmer ausgebeutet würden».
Wenn Kevin Klak das Sagen hätte, würde er ein Ladenöffnungsgesetz auf Bundesebene einführen, damit überall die gleichen Bedingungen herrschen. Die Läden am Bahnhof und Touristenläden, die mehr als 50 Prozent ihres Umsatzes mit Touristen machen, dürften sonntags offen sein. «Wäre es nicht ehrlicher, einheitliche Regeln für alle einzuführen?»
Die andere Seite der Medaille
Zehn Gehminuten von Klaks Container entfernt, in einer ruhigen Gasse der Luzerner Altstadt, betreibt Rebekka Sommerhalder ihren Kleiderladen «Glore». Die Ausstattung ist minimalistisch, Erdtöne dominieren. Sommerhalder verkauft Alltagsmode für alle Geschlechter.
Sommerhalder, gepiercte Augenbraue, drei Pünktchen auf dem Mittelfinger tätowiert, entdeckte vor zehn Jahren zufällig einen «Glore»-Store in Deutschland. Sie war begeistert: Alle Materialien sind ökologisch, die Arbeitsbedingungen in der Produktion werden regelmässig überprüft. «Kein Greenwashing, sondern echtes Streben nach Nachhaltigkeit», sagt sie. Wenige Monate später eröffnete sie ihren eigenen Laden in Luzern.
Work-Life-Balance ist wichtiger
In den letzten neun Jahren hatte sie nie sonntags geöffnet, auch nicht in der Weihnachtszeit, in der sie eigentlich dürfte. Sie sagt: «Ich habe jetzt schon sechs Tage die Woche offen, da hat jede Person die Möglichkeit, vorbeizukommen.»
Anfangs stand sie von Montag bis Samstag allein im Laden. Inzwischen beschäftigt sie sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deren Work-Life-Balance ist ihr wichtig. «In meinem Team schreit niemand danach, auch noch sonntags hier sein zu müssen.» Und sowieso: Sommerhalder glaubt nicht, dass sie viel mehr Umsatz machen würde, wenn sie sonntags öffnete.
«Bürgerliche Salamitaktik»
Das sehen auch die Gewerkschaften so. Sie verweisen gern auf eine Studie aus dem Jahr 2019. Sie zeigt, dass Umsätze zur Weihnachtszeit in den untersuchten Kantonen im gleichen Umfang stiegen, egal ob es drei, zwei, oder gar keine Verkaufssonntage gab.
Die Gewerkschaft Unia sprach im Zusammenhang mit den politischen Liberalisierungsbestrebungen in den Kantonen und auf Bundesebene von einer «bürgerlichen Salamitaktik», um die Sonntagsarbeit auszuweiten. Der Arbeitnehmer-Dachverband Travailsuisse kommentierte, die Arbeitsbedingungen im Verkauf seien bereits überdurchschnittlich belastend, und die Löhne seien tief. Ausnahmen für Sonntagsarbeit gebe es zudem schon viele.
Länger war nicht besser
Rebekka Sommerhalder zumindest profitierte nicht von den minim längeren Öffnungszeiten. Als ihr das neue Gesetz erlaubte, unter der Woche bis 19 Uhr zu öffnen, zog «Glore» zunächst mit. «Wir haben zum Ausgleich eine Stunde später geöffnet, sonst wären die Schichten zu lang geworden», sagt Sommerhalder.
Doch die Kundschaft kam lieber früher. Und Doppelschichten einzuführen, wäre einerseits für sie als Inhaberin nicht tragbar gewesen, andererseits für die Angestellten blöd, weil sie dann nur sechs Stunden hätten arbeiten können. So sei es bei vielen Läden im Quartier gewesen. Nach wenigen Monaten wechselte Sommerhalder wieder zu den alten Öffnungszeiten.
Das Luzerner Dilemma
Läden wie «Glore» befinden sich in einer Zwickmühle. So zeigt eine Studie des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, dass das Bedürfnis, immer einkaufen zu können, in Zeiten von Zalando und Co. massiv gestiegen ist. Traditionelle Geschäfte überleben dank des persönlichen Kontakts und der Beratung der Kunden. Deshalb sind motivierte und zufriedene Mitarbeiter so wichtig.
Das bringt das Dilemma von Luzern auf den Punkt. Die Bevölkerung hat mit Blick auf die Arbeitnehmenden längere Öffnungszeiten immer wieder abgelehnt. Allerdings: Die letzte Abstimmung liegt elf Jahre zurück, und seither hat sich das Konsumverhalten massiv verändert. Luzern hinkt dem gesellschaftlichen Wandel also tatsächlich hinterher.
Flexibilisierung als letztes Pfand
In Luzern hat eine Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten aber nur eine politische Chance, wenn dem Arbeitnehmerschutz und den Bedürfnissen der kleineren Läden Rechnung getragen wird. Heisst: Flexibilität dort, wo sie niemandem schadet, und konsequenter Arbeitnehmerschutz, wo Menschen direkt betroffen sind.
Vielleicht sind das die Zutaten für eine Modernisierung der heute schwierigen Arbeitsbedingungen im Detailhandel. Und in dieser Diskussion hat Luzern immerhin noch ein Pfand in der Hand – die Flexibilisierung der Öffnungszeiten als Anreiz für die Arbeitgebenden.
Um 17 Uhr schreibt Kevin Klak eine Nachricht. Sein Selbstbedienungscontainer hat wieder Strom, die Türen gehen wieder auf. Aber nur für zwei Stunden. Dann ist Ladenschluss.