Ins Glockengeläut mischt sich zunehmend das Klingeln von Ladenkassen: Bundesrat Guy Parmelin (63) will den Sonntagsverkauf ausdehnen. Vor zwei Wochen eröffnete er den Sozialpartnern, dass Luxus-Shopping am Sonntag künftig nicht nur in Tourismusorten in den Bergen möglich sein soll, sondern auch in Städten wie Bern, Genf oder Zürich.
Das Vorhaben des Wirtschaftsministers, von Blick publik gemacht, erfordert eine Revision der Arbeitsgesetz-Verordnung, die Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot regelt. Eine externe Konsultation ist für November vorgesehen.
Der Sonntag als Ruhetag wurde vom römischen Kaiser Konstantin dem Grossen eingeführt – im Jahr 321 n. Chr. Im Schweizer Detailhandel aber ist der arbeitsfreie Sonntag längst Geschichte.
Mehr als 1100 kleine Sonntags-Supermärkte
Vor allem für Lebensmittel haben die Grosskonzerne Migros, Coop, Valora und Fenaco Wege gefunden, sie an jedem Tag der Woche abzusetzen: Ihre Mini-Supermärkte Migrolino, Coop Pronto, Avec und Topshop verbreiteten sich im ganzen Land – und fast alle bedienen ihre Kunden von Montag bis Sonntag.
Offizielle Zahlen dazu gibt es weder beim Bund noch bei Detailhandelsverbänden. Eine Umfrage von SonntagsBlick und Recherchen auf Google Maps erlauben aber eine Schätzung:
Migrolino zählt aktuell 367 Standorte, von denen 355 am Sonntag geöffnet haben. Bei den Topshops von Fenaco kennen 114 der 117 Standorte eine Sieben-Tage-Woche. Coop und Valora wollen nicht verraten, wie viele ihrer Pronto- und Avec-Shops täglich geöffnet sind. Geht man davon aus, dass sie eine gleich hohe Sonntagsquote haben wie die Konkurrenz, kommt man bei Avec rechnerisch auf 359 Shops, die keinen Ruhetag kennen, bei Coop Pronto auf 310.
Allein diese vier Marken kommen demnach auf mehr als 1100 kleine Sonntags-Supermärkte. Zusammen mit Spar, Volg, Denner, BP Shop und anderen Anbietern gibt es in der Schweiz wohl mindestens 1600 Lebensmittelläden, die am einstigen Ruhetag öffnen (siehe Tabelle). Vor zehn, fünfzehn Jahren dürfte es ein Bruchteil davon gewesen sein.
Ausgelöst wurde der Boom durch das Volks-Ja zur Revision des Arbeitsgesetzes im Jahr 2005. Damals hiess es im Abstimmungsbüchlein: «Neu sollen alle Läden in Zentren des öffentlichen Verkehrs, das heisst in grösseren Bahnhöfen und in Flughäfen, an Sonntagen Personal beschäftigen dürfen.»
Der Bundesrat unterstützte die Vorlage und versprach, dass die Revision «die Bedeutung des Sonntags als Ruhetag» nicht infrage stellen werde.
Wir der Sonntag zu einem normalen Arbeitstag?
Eine hauchdünne Mehrheit von 50,6 Prozent folgte der Landesregierung. In den Jahren darauf schossen die sogenannten Convenience Shops wie Pilze aus dem Boden – und bei Tankstellen wurden die Verkaufsflächen immer grösser.
Die Gewerkschaften befürchten, dass eine weitere Lockerung des Sonntagsarbeitsverbots erneut ungeahnte Folgen haben könnte. «Die Vergangenheit zeigt, dass die Detailhandelskonzerne jede noch so kleine Liberalisierung ausnutzen, um den Sonntag zu einem normalen Arbeitstag zu machen», sagt Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes Travailsuisse.
Die Unia sieht ebenfalls kein Bedürfnis, die Verordnung weiter aufzuweichen. «Wir können nicht zulassen, dass die Belastung des Verkaufspersonals weiter zunimmt», sagt Leena Schmitter, Co-Branchenverantwortliche Detailhandel. Die Arbeitszeiten im Verkauf seien schon heute sehr dereguliert und daher belastender denn je. «Mehr Sonntagsarbeit verschärft diese Entwicklung.»
Der Detailhandelsverband Swiss Retail Federation dagegen begrüsst die Forderung, Tourismuszonen auch in Stadtzentren auszuweisen. «Damit einhergehend unterstützen wir die punktuell geforderte Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten», sagt Direktorin Dagmar T. Jenni. Der Detailhandel erwarte aber eine Regelung, die gleich lange Spiesse für alle Geschäfte in den besagten Zonen sicherstelle, insbesondere im Hinblick auf Sortiment und Ladengrösse.