Migrolino-Chef Markus Laenzlinger geht Ende Oktober in Pension
«Mit M-Budget hatten wir zu viel Erfolg»

Vierzehn Jahre lang stand Markus Laenzlinger an der Spitze der Migrolino-Shops. Im Interview spricht er über die Chancen von E-Tankstellen, warum er sich von Starbucks trennte und weshalb er den amerikanischen Detailhandelsriesen 7-Eleven in die Schweiz holen wollte.
Publiziert: 06.09.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 12:00 Uhr
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Markus Laenzlinger, Unternehmensleiter Migrolino: «Eine Verdoppelung des Umsatzes auf 2 Milliarden liegt in den nächsten 15 Jahren sicher drin.»
Foto: Paolo Dutto für Handeszeitung
Andreas Güntert und Marcel Speiser
Handelszeitung

Was Markus Laenzlinger vor 14 Jahren in Angriff nahm, galt Migros-intern als «Mission Impossible». Der gelernte Hotelier und Gastro-Profi strebte etwas an, das unmöglich schien: Mit den Migrolino-Tankstellenshops den Kampf gegen den Branchenprimus Coop Pronto aufnehmen.

Mit gerade einmal 14 Shops startete Laenzlinger im Jahr 2009. Über die Jahre drehte der Migros-Intrapreneur den Turbo auf. 2013 überholte Migrolino den Erzrivalen Coop Pronto; heute steht das Unternehmen mit 370 Standorten und einem Konzeptumsatz von 1 Milliarde Franken da. Ende Oktober geht Laenzlinger in Pension. Er übergibt ein Unternehmen mit einer vollen Ideen-Pipeline, mit Geschichte und Geschichten, mit Siegen und Sünden.

Handelszeitung: Ihre Sünden oder Ihre Siege – womit beginnen wir?
Markus Laenzlinger: Mir fallen eigentlich nur Sünden ein. (lacht)

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Tabak und Alkohol spielen eine wichtige Rolle im Migrolino-Sortiment. In den Augen des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler eine Erbsünde.
Da muss man unterscheiden. Unter dem grossen orangen «M» der Migros gibt es weder Alkohol noch Tabak. Aber beim kleinen orangen «m» von Migrolino gehört das zum Convenience-Geschäftsmodell und widerspricht nicht unseren Statuten.

Nüchtern betrachtet kommt uns diese Unterscheidung spitzfindig vor.
Von mir aus. Aber: Wir sind nicht die einzige Migros-Tochter mit Alkoholangebot. Bei Denner gibt es das auch.

Wer ist bezüglich Alkoholumsatz der grössere Sündenposten: Denner oder Migrolino?
Klarer Fall: Denner.

Migrolino erreichte 2022 erstmals einen Konzeptumsatz von 1 Milliarde Franken. Alkohol und Tabak dürften dabei für 30 Prozent stehen. Richtig?
Nicht ganz.

Eher zwischen 25 und 30 Prozent?
Nicht falsch.

Sünde Nummer zwei: Migrolino arbeitet neben Shell auch mit Socar zusammen, dem Öl- und Gasriesen aus Aserbeidschan, das von einem Alleinherrscher regiert wird. Migros geschäftet mit einem Diktator – starker Tobak, finden wir. Was finden Sie?
Wir arbeiten doch nicht mit einem Diktator zusammen! Unser Vertrag läuft mit der Genfer Socar-Tochter, die 2012 von Exxon Mobil die Schweizer Esso-Tankstellen übernommen hat. Dieses Westschweizer Unternehmen führt die Migrolino-Läden als Master-Franchisenehmer an Esso-Tankstellen; wir beliefern Lebensmittel und Getränke ausschliesslich an unsere Schweizer Partner und stellen das Migrolino-Konzept zur Verfügung.

Und Socar Schweiz liefert die Gewinne aus dem Migrolino-Geschäft einem kriegstreibenden Diktator ab.
Die Migros hält sich an geltende gesetzliche Regelungen. Der Bundesrat hat keine Sanktionen gegen Aserbaidschan beschlossen, Vorstösse aus dem Parlament wurden von der aussenpolitischen Kommission des Ständerates abgelehnt. Auch die EU hat die Zusammenarbeit mit Aserbaidschan mehrfach bestätigt.

Sie verstehen die Anfeindungen nicht?
Selbstverständlich macht mich dieser jahrzehntealte Konflikt betroffen. Für eine Auflösung unseres mehrjährigen Vertrages mit Socar Schweiz gibt es keine rechtliche Grundlage. Die Tankstellen würden auch ohne unser Franchisekonzept weitergeführt. Eine Lösung des Konfliktes muss auf diplomatischem Weg erreicht werden.

Mister Migrolino

Name: Markus Laenzlinger

Alter: 63

Familie: in zweiter Ehe verheiratet, insgesamt 6 Kinder

Funktion: Unternehmensleiter Migrolino (bis Ende Oktober 2023)

Karriere:

Ab 1985: Diverse Hotellerie-Stationen, u.a. in Abidjan, Lissabon, London, Genf, Mont-Pèlerin VD, Aeschi bei Spiez BE

1996 bis 2000: SBB, Neupositionierung der Bahnhofsgastronomie

2000 bis 2008 : CEO Cevanova (Joint-Venture SBB, Migros und Valora)

2009 bis 2023 : Unternehmensleiter Migrolino

Ausbildung:

1981 bis 1984: EHL Hotelfachschule Lausanne

1985 bis 1988: Bachelor of Business Administration, EU Business School

1999 bis 2000: Advanced Executive Program, Kellogg School of Management

2006 bis 2009: Executive MBA, Lorange Institute of Business

Vera Hartmann für BILANZ

Name: Markus Laenzlinger

Alter: 63

Familie: in zweiter Ehe verheiratet, insgesamt 6 Kinder

Funktion: Unternehmensleiter Migrolino (bis Ende Oktober 2023)

Karriere:

Ab 1985: Diverse Hotellerie-Stationen, u.a. in Abidjan, Lissabon, London, Genf, Mont-Pèlerin VD, Aeschi bei Spiez BE

1996 bis 2000: SBB, Neupositionierung der Bahnhofsgastronomie

2000 bis 2008 : CEO Cevanova (Joint-Venture SBB, Migros und Valora)

2009 bis 2023 : Unternehmensleiter Migrolino

Ausbildung:

1981 bis 1984: EHL Hotelfachschule Lausanne

1985 bis 1988: Bachelor of Business Administration, EU Business School

1999 bis 2000: Advanced Executive Program, Kellogg School of Management

2006 bis 2009: Executive MBA, Lorange Institute of Business

Migrolino ist im Convenience-Business tätig, ein Geschäftsfeld, das wir launig so umschreiben würden: «Baue Läden an Hochfrequenzlagen, verlange überhöhte Preise für Markenprodukte, lagere das Risiko an Franchisenehmer aus – und Du wirst gewaltig Geld verdienen». Zu wie viel Prozent stimmt dieser Satz?
Ausser dem Passus mit der Hochfrequenzlage ist das alles Chabis. In meiner Definition würde es so lauten: Gut erreichbare Läden des täglichen Bedarfs, in denen man einfach und bequem einkaufen und bezahlen kann.

Aber die Markenartikelpreise sind natürlich schon höher als anderswo. Eine Dose Red Bull im Migros-Supermarkt: 1.50 Franken. Die gleiche Dose bei Migrolino: 2 Franken. Ein satter Aufpreis.
Die Preise folgen bei uns einer einfachen Logik: Migros-Produkte sind gleich günstig wie in den Migros-Supermärkten. Bei Markenartikeln messen wir uns mit der Convenience-Konkurrenz. Teilweise höhere Preise sind berechtigt aufgrund teurer Standorte, Kleinmengenlogistik und längeren Öffnungszeiten.

Während sich die Migros-Supermärkte bemühen, auf eine Ebit-Marge von 2,5 Prozent zu kommen, sind es bei Migrolino 5 Prozent. Wie schaffen Sie das? Weil die Verkaufspreise so hoch sind?
5 Prozent ist nicht richtig, es sind weniger. Betriebsgewinn hat nicht nur mit Umsatz zu tun, sondern auch mit Einkaufsbedingungen und Kostenmanagement. Und hier, das darf ich sagen, sind wir straff und schlank unterwegs.

Wir wollten ja auch von Siegen sprechen. Sie hoben Migrolino 2009 aus der Taufe und starteten damals mit 14 Läden. Heute sind es 370 Shops. Was waren die wichtigsten Erfolgstreiber?
Da gibt es viele: Migros-intern hatte Migrolino einflussreiche und begeisterte Unterstützer, der Tankstellenpartner Shell wollte unbedingt Migros-Produkte haben, und ich konnte Köpfe an Bord holen, die wie Rössli in der Startbox bereitstanden, um den Markt zu erobern.

Und der grösste Tag fiel ins Jahr 2013, als Migrolino den Erzrivalen Coop Pronto bei der Zahl der Standorte überholt hatte?
Mir kommen zunächst andere grosse Tage in den Sinn. Etwa, als wir unsere Logistik erfolgreich automatisierten oder als wir all unsere Shops nach Kundenverhalten in fünf Cluster aufteilen konnten – oder das Überschreiten der Umsatzmilliarde. Aber klar, die Überrundung von Coop Pronto war auch ein guter Moment.

Kann man aus einem Coop-Pronto-Kind ein Migrolino-Kind machen?
Solche Identitäten spielen im Convenience-Geschäft eine kleinere Rolle. Matchentscheidend ist hier letztlich etwas anderes: Wer den besseren Standort hat, gewinnt.

Welcher Kampf war härter? Der gegen Coop Pronto oder jener gegen Migros-interne Widerstände? Gerade die Genossenschaftsfürsten waren zu Beginn nicht happy, wenn das kleine m dem grossen M Umsätze wegknabberte.
Intern brauchte es immer mal wieder Überzeugungsarbeit. Aber der Kampf gegen Coop Pronto war härter. Auch deshalb, weil Migrolino intern zu Beginn als «Mission Impossible» galt. Die Meinung war weit verbreitet, dass man Coop Pronto die Marktführerschaft im Convenience-Bereich nicht mehr nehmen konnte. Wir haben das Gegenteil bewiesen.

Welche Ihrer 370 Standorte performen besonders gut?
Zum Beispiel jener an der Tankstelle in Wallisellen ZH, aber natürlich auch die Shops beim Fressbalken in Würenlos AG oder in der Autobahnraststätte Grauholz BE. Bei den urbanen Läden laufen jene an Bahnhöfen stabil und gut, besonders in Winterthur und am HB Zürich.

Welches sind die drei beliebtesten Produkte bei Migrolino? Wir schätzen: Nummer eins ist Red Bull, gefolgt von der klassischen Feldschlösschen Halbliterhülse und dem Tabakteufelzeugs Marlboro Gold. Korrekt?
Red Bull gehört bestimmt zu den Topsellern. Und wenn wir von kombinierten Artikeln sprechen, ist es sicher die Kombo Red Bull mit Schoggi-Gipfeli. In absoluten Stückzahlen gesehen schwingen der Migros-Kulteistee und der Maschinenkaffee obenaus.

Red Bull und Gipfeli: Diese Kombi ist besonders beliebt in den Migrolino-Filialen.
Foto: HZ-Montage

Migrolino war stolz auf die exklusive Tankstellenpartnerschaft mit Starbucks. Nun haben Sie sich kürzlich von Starbucks getrennt und schenken den Migros-eigenen Café-Royal-Kaffee aus. Weil Sie von Ihrer Firmenmutter Migros dazu gedrängt wurden?
Nein. Eine intensive Analyse zeigte uns, dass unsere Kundinnen und Kunden nicht mehr sehr grossen Wert auf die Marke Starbucks legten. Auch deshalb, weil diese Marke die Preise tendenziell immer stärker in die Höhe bringen wollte. Das widerstrebt uns aber. Ich bin allergisch auf hohe Preise. Und klar: Eine Zusammenarbeit mit Café Royal ergibt aus unternehmerischer Sicht sicherlich Sinn. Das neue Konzept ermöglicht uns Mitgestaltungsrechte sowie einen Wechsel zu einer neueren Kaffeemaschinengeneration.

Um wie viel sinken denn die Preise nun, wenn Sie von Starbucks auf Migros-Kaffee wechseln?
Die Preise bleiben gleich.

Keine gute Nachricht für den Preisallergiker. Und für Ihre Kundinnen.
Die gute Nachricht ist: Der Kaffee wird nicht teurer.

Im Verlauf Ihrer Migrolino-History gab es auch schlechte News. Zum Beispiel die missglückte Deutschland-Expansion. Warum liefen die Pilotläden im Raum Stuttgart nicht?
Unser Tankstellenpartner Shell war 2009 der Meinung, dass unser Konzept auch in anderen Ländern funktionieren könnte. Aber das war nur teilweise der Fall. Als dann Baden-Württemberg ein Gesetz erliess, wonach man zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens keinen Alkohol mehr verkaufen durfte, funktionierte der Case nicht mehr. Für uns hiess das: keine Frequenzen und darum auch keine Weiterverfolgung.

Was wieder einmal zeigt, wie wichtig der Alkohol für Ihr Konzept ist.
In Deutschland möglicherweise wichtiger als hier. Vor vier Jahren schauten wir uns das Thema noch einmal an. Eine Analyse zeigte allerdings, dass der deutsche Tankstellenmarkt ganz anders funktioniert als jener in der Schweiz.

Welches ist der grosse Unterschied?
In unseren Schweizer Tankstellenshops stammen von den zwanzig meistverkauften Produkten neun aus dem Frischebereich. In Deutschland ist es nur eines – der Kaffee. Alle anderen Produkte aus den Top Zwanzig stammen dort vom Tabak. Daran verdient man als Retailer allerdings fast nichts. Um das zu kompensieren, sind gewisse Preise in deutschen Tankstellenshops sehr hoch. Ein Red Bull geht dort auch mal für 3 Euro über den Tresen. Dagegen sind unsere Preise geradezu harmlos. Ein Migrolino-Einstieg in Deutschland wäre möglicherweise schon zu schaffen, aber das würde einen sehr langen Schnauf und grosse Investitionen erfordern. Das würde uns überfordern. Die Auslandexpansion ist vom Tisch.

Sie experimentierten auch mit Roboterläden in Containerform. Heute sehen wir das Konzept namens Pick-me 24/7 nirgends mehr. Warum?
Weil es von den Kundinnen und Kunden nicht akzeptiert wurde. Oder nicht in einer Art, die für eine gewisse Rentabilität gesorgt hätte.

Gilt das auch für den Online-Blitzlieferdienst Hey Migrolino, den Sie vor einem Jahr eingestellt haben?
Hier stimmt es zwar mit der Kundenakzeptanz, mit der Höhe der Durchschnittsbestellung und der Zahlungsbereitschaft, aber für eine weitere Expansion wären sehr hohe Investitionen nötig gewesen. Da schien es uns sinnvoller, das Geld ins Kerngeschäft zu investieren. Zumal zu jener Zeit die Inflation einsetzte und alles teurer wurde.

Nicht gut für einen Chef, der allergisch gegen hohe Preise ist. Apropos: Wenn Sie tiefe Preise lieben, müssten Sie die Migrolino-Läden eigentlich mit M-Budget-Produkten fluten. Warum sehen wir nichts davon?
Weil das keine gute Idee ist.

Aber für Tiefpreisfans doch eigentlich schon, oder?
Wir haben das probiert, und zwar in Shops, die zuvor nicht überragend performten.

Mit Erfolg?
Mit zu viel Erfolg.

Wie meinen Sie das?
Die M-Budget-Energydrinks beispielsweise karrten wir palettenweise in die Läden, sie wurden uns aus den Händen gerissen. Aber der hohe Umschlag war aus Rentabilitätsgründen nicht unbedingt das Cleverste. Wir hatten teils Probleme mit der Sicherheit im Laden drin, das Diebstahlrisiko stieg, und wir mussten auch erkennen, dass wir auf Kleinstflächen einen ausgewogeneren Sortimentsmix bieten müssen. Zwei Paletten M-Budget-Energydrinks auf einer Fläche von achtzig Quadratmetern – das beansprucht im Verhältnis zu viel Platz und passt einfach nicht ins Konzept.

Migrolino: Das Convenience-Schnellboot der Migros

Migrolino ist die Convenience-Tochter der Migros. Als Franchisegeberin verfügt das Unternehmen mit den Marken Migrolino, Mio und Gooods über 370 Shops in der Schweiz, davon 270 an Tankstellen. Jährlich verzeichnet das Unternehmen über 110 Millionen Kundenkontakte. 2022 kam Migrolino in den Bereichen Grosshandel und Detailhandel auf einen Konzeptumsatz von 1,03 Milliarden Franken.

Ursprünglich betrieb die Migros das Convenience-Geschäft in den Jahren 2000 bis 2008 in einem Joint Venture mit den SBB und dem Kioskkonzern Valora. Zuerst sprangen die SBB ab, 2008 dann auch Valora. Als sich die Wege trennten, setzte die Migros auf ihr eigenes Konzept Migrolino. Laenzlinger startete im Jahr 2009 mit 14 Shops und führte das Unternehmen zur heutigen Grösse. Ab November 2023 übernimmt Lorence Weiss, bisher Leiter des Migros-Bereichs Frische, die Migrolino-Führung.

Mitte September erscheint ein Buch über die Migrolino-Geschichte: «Das kleine m» von Christine Loriol, aus dem Verlag NZZ Libro.

Migrolino ist die Convenience-Tochter der Migros. Als Franchisegeberin verfügt das Unternehmen mit den Marken Migrolino, Mio und Gooods über 370 Shops in der Schweiz, davon 270 an Tankstellen. Jährlich verzeichnet das Unternehmen über 110 Millionen Kundenkontakte. 2022 kam Migrolino in den Bereichen Grosshandel und Detailhandel auf einen Konzeptumsatz von 1,03 Milliarden Franken.

Ursprünglich betrieb die Migros das Convenience-Geschäft in den Jahren 2000 bis 2008 in einem Joint Venture mit den SBB und dem Kioskkonzern Valora. Zuerst sprangen die SBB ab, 2008 dann auch Valora. Als sich die Wege trennten, setzte die Migros auf ihr eigenes Konzept Migrolino. Laenzlinger startete im Jahr 2009 mit 14 Shops und führte das Unternehmen zur heutigen Grösse. Ab November 2023 übernimmt Lorence Weiss, bisher Leiter des Migros-Bereichs Frische, die Migrolino-Führung.

Mitte September erscheint ein Buch über die Migrolino-Geschichte: «Das kleine m» von Christine Loriol, aus dem Verlag NZZ Libro.

In letzter Zeit zeigen sich zwei Gefahrenherde für Migrolino: Zum einen wurde Ihr einstiger Joint-Venture-Partner und heute Mitbewerber Valora von der mexikanischen Femsa gekauft. Macht Ihnen diese neue Power Angst?
Überhaupt nicht. Ich liebe Konkurrenz, das macht die Landschaft extrem spannend.

Es wird noch spannender: Der japanische-amerikanische Convenience-Gigant 7-Eleven wirft ein Auge auf die Schweiz.
Ich kenne das Unternehmen gut. Wir standen selber mit 7-Eleven in Kontakt.

In welcher Art?
Wir wollten 7-Eleven in die Schweiz holen.

Warum das?
Mit unserer Marke Migrolino gerieten wir vor ein paar Jahren an ein gewisses Limit. Wir waren damit fast schon zu präsent in der Landschaft vertreten und suchten deshalb im Jahr 2020 nach anderen Marken, um das Portfolio unseres Convenience-Geschäfts etwas diverser zu betreiben.

Migrolino wäre so quasi zum Schweizer Franchisenehmer von 7-Eleven geworden?
Ganz genau. Im Gespräch mit den Japanern wurde aber klar, dass man von uns ein sogenanntes De-Branding erwartet hätte. Wir hätten die eigene Marke Migrolino herunterfahren und verstärkt unter 7-Eleven auftreten müssen. Das wollten wir aber natürlich nicht.

Eine weitere Drohkulisse: Wenn die Menschen vermehrt auf E-Autos umsteigen, wird an den Tankstellen weniger Benzin und Diesel getankt. Sehen Sie diese Energiewende eher als Chance oder als Gefahr für Ihr Tankstellen-Convenience-Geschäft?
Es laufen verschiedene Trends. Natürlich merkten wir, dass die Autos im Verbrauch effizienter werden und deshalb weniger getankt wird. Kommt dazu, dass die Zahl der Raucherinnen und Raucher abnimmt, was auf die Tabakverkäufe schlägt. Was uns bei den E-Autos hilft: Hier dauert der Tankvorgang länger als bei Benzin und Diesel. Die Leute bleiben länger an der Tankstelle.

Was heisst das alles unter dem Strich?
Dass wir uns jetzt in eine schätzungsweise zwanzigjährige Periode hineinbegeben, in der verschiedene Kraftstoffe und Systeme parallel nebeneinander existieren und bewirtschaftet werden müssen. Was natürlich anspruchsvoll ist, wenn man an einer Tankstelle neben Benzin und Diesel auch Strom und eventuell sogar E-Fuels und Wasserstoff anbieten muss. In dieser Kombination wird sich das wohl nur an grossen Tankstellen machen lassen. Von unseren 270 Tankstellenshops würde das auf etwa 100 Tankstellen zutreffen.

Was heisst das für die kleineren Tankstellen?
Auch diese haben weiterhin ihre Berechtigung. Möglich, dass sich einzelne auch spezialisieren, einige auf Benzin und Diesel, andere auf Elektro und E-Fuels, wer weiss. In der Tendenz wird die Zahl der Tankstellen wohl abnehmen. Aber: Es ändert sich zwar vieles, doch die Verkehrswege bleiben. Was für uns bedeutet: Wir müssen die richtigen Angebote machen, auch für Leute, die länger bei uns bleiben.

Welche Angebote?
Intern sprechen wir dabei vom Migrolino-Hub der Zukunft. Im Oktober werden wir in Spreitenbach den ersten Ableger eröffnen. Dabei spielt auch die Verpflegung eine grosse Rolle. Mehr als nur das schnelle Sandwich oder der schnelle Salat.

Konkret?
In Spreitenbach werden wir mit Anbieter Vapiano ein neues Gastro-Kleinkonzept testen. In diesem Vapialino liegt der Schwerpunkt auf Pasta und Pizza, auf einer Fläche mit etwa fünfzig Sitzplätzen. Geplant sind zunächst einmal zwei Pilotprojekte.

Wie kamen Sie auf Vapiano? Sie hätten ja auch ein Gastro-Konzept der Migros wählen können.
In diesem Fall haben wir auf eine Ausschreibung gesetzt. Wir erhielten eine Handvoll Bewerbungen. Für Vapiano sprach unter anderem, dass dieses Unternehmen bereit war, in verhältnismässig kurzer Zeit mit einem neuen Konzept zu starten, das zu unseren Anforderungen passte. Neben dem Hub in Spreitenbach wird in eineinhalb Jahren eine zweite solche Station in Sion hinzukommen, auch in Zusammenarbeit mit Vapialino. Aber bezüglich Gastronomie an einem grossen Energie-Hub lassen sich natürlich weitere Ideen einbauen.

Migrolino als eine Art Food-Court mit verschiedenen Gastro-Anbietern?
In diese Richtung könnte es gehen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Die Herausforderungen stellen sich an Tankstellen auf der ganzen Welt wohl ähnlich. Wo wittern Sie die Trends?
Bezüglich Food und Gastronomie schauen wir nach Asien, im Tankstellengeschäft tun sich in Norwegen interessante Dinge, und bezüglich Lifestyle lohnt sich nach wie vor der Blick in die USA.

Neben den Migrolino-Shops gibt es in Ihrem Portfolio auch die Kleinstflächen namens Mio und neuerdings ein Ladenkonzept namens Gooods. Warum diese Dreifaltigkeit?
Wir waren schon länger auf der Suche nach einem Konzept, das im Look and Feel etwas weniger maskulin geprägt ist als Migrolino. Diese Läden, die ersten beiden stehen in Winterthur und am Bahnhof Zürich-Tiefenbrunnen, sind etwas luftiger gestaltet und im Angebot viel weniger auf Tabak und viel stärker auf Frische und Bio ausgerichtet. Dieses Angebot stärkt das Margensubstrat, was es uns erlaubt, dieses Konzept auch an Orte zu bringen, wo die Mieten höher sind.

Momentan gibt es genau zwei Gooods-Ableger – klingt etwas dünn.
Das stimmt natürlich. Wir planten einen gesamtschweizerischen Roll-out mit 120 Goods-Filialen, doch dann sprang ein Partner ab. Nun wird es wohl etwas langsamer gehen. Ein dritter Standort ist geplant.

Welcher Partner sprang ab, und wo liegt der dritte Gooods-Standort?
Das sage ich nicht.

Migrolino gilt als Schnellboot des Migros-Supertankers. Wie geschieht Innovation bei Ihnen?
Es gibt eine sehr offene Ideenkultur. Wir sind da offen für vieles und teilen Ideen in vier Phasen ein. Zunächst einmal liegt die nackte Idee da, im Decision-Point zwei wird es etwas konkreter, bei Punkt drei wird die Idee zu Fleisch und mit einem Businessplan ausgestattet, und in Phase vier wird umgesetzt.

Bis zur ersten Milliarde hat es 15 Jahre gedauert. Was ist mit diesem Unternehmen noch alles möglich?
Ich gehe ab November in die Pension. Danach sind neue Kräfte am Drücker, und ich bin nur noch eine Fussnote. Aber mit Migrolino ist natürlich noch sehr vieles möglich. Warum nicht ein sauberes Shopkonzept für Spitäler? Oder der Schritt ins Ausland, vielleicht nur als Lieferant oder als Franchisegeber, aber nicht als Ladenbetreiber? Eine Verdopplung des Umsatzes auf 2 Milliarden liegt in den nächsten 15 Jahren sicher drin.

Per Ende Oktober 2023 gehen Sie in Rente. Kann man einen Laenzlinger einfach so wegpensionieren?
Kaum. Was jetzt schon klar ist: Ich werde in die Verwaltung der Genossenschaft Migros Zürich gehen, also in den Verwaltungsrat der umsatzstärksten Genossenschaft des Unternehmens. Und dann kommen wohl noch zwei oder drei VR-Mandate hinzu. Beratungsunternehmen in den Bereichen Food und Gastronomie könnten da sicher interessant sein.

Hat Ihnen die Migros ein Konkurrenzverbot auferlegt?
Nein. Wie auch? Ich kann doch gar nichts anderes als das, was ich in den letzten 15 Jahren gemacht habe. Und zu Coop würde ich natürlich nie im Leben gehen. Ich habe meiner Frau versprochen, dass ich nur Sachen machen werde, die cool sind. Und die insgesamt nicht mehr als 60 Prozent eines normalen Pensums beanspruchen.

Apropos: Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihr erstes Date mit Ihrer Frau in einem Migrolino-Shop hatten?
Ja, das stimmt. Das Date fiel in eine Zeit mit hoher Arbeitsbelastung und stürmischer Expansion. Da passte es am besten, das erste Treffen auf eine Ladeneröffnung in Flawil SG zu legen. Mit Erfolg. Und der Apéro war erst noch kostenlos.

Als Absolvent der renommierten Hotelfachschule Lausanne könnte es für Sie auch interessant sein, ein Boutiquehotel zu eröffnen, vielleicht garniert mit einem Migrolino- oder einem 7-Eleven-Shop?
Geplant ist nichts, aber zur Familie könnte es passen. Drei meiner sechs Kinder haben tatsächlich die Hotelfachschule absolviert, ein viertes ist in der Kochlehre in einem Hotel.

Oder Sie könnten den finalen grossen Bogen schlagen, vom kleinen m zum grossen M. 1978 eröffnete Migros-Veteran Jules Kyburz in Bern einen McDonald’s-Klon unter dem Namen Migrolino. Das Konzept floppte, weil sich die Drogenszene dort einnistete. Wäre es nicht Zeit, unter diesem Namen noch einmal einen Neuanfang zu wagen, für Leute, die allergisch sind gegen hohe Burger-Preise?
In der Regel sage ich ja «Never say never». Aber für diesen Plan gilt doch eher «Never».

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