Bei Ferien und anderem Luxus lässt sich problemlos sparen. Bei der Miete und beim Essen weniger. Wer sich schon heute keinen Luxus leisten kann, den bringt die Inflation an den Rand der Verzweiflung. Die Jahresteuerung lag 2022 bei 2,8 Prozent – so hoch wie seit langem nicht mehr. Während ein Grossteil der Bevölkerung diese Teuerung relativ gut wegstecken kann, kommen auf Menschen am unteren Ende der Einkommensskala grosse Probleme zu.
Eine Sparmöglichkeit bei Lebensmitteln ist, in einem der 22 Caritas-Märkte vergünstigt einzukaufen. Das geht nur mit einer speziellen Einkaufskarte. Sie steht Menschen zu, die am oder unter dem Existenzminimum leben, wirtschaftliche Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen zur AHV/IV beziehen oder sich in einer Schuldensanierung befinden.
Die Frequenz in den Caritas-Märkten habe im letzten Jahr um 33 Prozent zugenommen, sagt Caritas-Sprecherin Daria Jenni: «Insbesondere im zweiten Halbjahr war die Umsatzsteigerung im Vergleich zu den Vorjahresmonaten jeweils zwischen 30 und 40 Prozent.» Auch die Beraterinnen und Berater der Sozial- und Schuldenberatungen der Caritas waren laut Jenni mit zunehmenden finanziellen Sorgen der Ratsuchenden konfrontiert.
«Teuerung reflektiert die Wahrheit nur bedingt»
Dabei steht der grosse Kostenschock erst noch bevor: Die Krankenkassenprämien sind ab Januar 2023 im Durchschnitt um 6,6 Prozent höher. Die Strompreise steigen ab 2023 im Schweizer Durchschnitt um 27 Prozent. Hinzu kommen höhere Nebenkosten und steigende Mieten.
Philipp Frei, Geschäftsführer des Dachverbands Budgetberatung Schweiz, rechnet mit zunehmenden Anfragen. «Die 2,8 Prozent Teuerung reflektieren die Wahrheit nur bedingt – bei essenziellen Kostenpunkten wie etwa der Energie ist die Teuerung ja deutlich höher.» Zurzeit seien die Energiekosten das grösste Problem der Beratungssuchenden.
In einer Budgetberatung wird der Spielraum ausgelotet, wo noch gespart werden kann – etwa bei Mobilität, Shopping oder Ferien. Doch immer mehr Personen bewegten sich an einem Limit, wo es kaum mehr Sparpotenzial gebe, so Frei.
Immer weniger Geld für Krisenfälle
Das Problem: Das Sparkapital der Schweizer Bevölkerung nehme seit 20 Jahren kontinuierlich ab. Bei vielen sind für grössere Teuerungssprünge kaum Reserven vorhanden. Dies laut Frei nicht nur in den untersten Lohnklassen, sondern immer mehr auch in der Mittelklasse. «Das Leben wird seit langem durchgehend teurer, diesmal einfach in einem grösseren Sprung.»
Laut der letzten schweizerischen Lohnstrukturerhebung von 2020 belief sich der Medianlohn einer Vollzeitstelle in der Schweizer Gesamtwirtschaft auf 6665 Franken brutto pro Monat. Frei schätzt, dass mit diesem Betrag eine vierköpfige Familie gut über die Runden kommt. Darunter wird es schnell enger. Bereits mit 5000 Franken lebt eine Familie sprichwörtlich von der Hand in den Mund.
Wenn es gar nicht mehr geht, wenden sich Betroffene an soziale Institutionen – etwa die Winterhilfe. Diese hat alle Hände voll zu tun. «Insgesamt bewegen wir uns trotz dem Ende der Corona-Krise immer noch bei Gesuchszahlen weit über dem Niveau vor Corona», sagt Daniel Römer (60), Geschäftsführer der Zürcher Geschäftsstelle.
Vor Corona unterstützte die Zürcher Winterhilfe 30'000 Personen im Jahr. Mittlerweile sind es über 55'000. Römer glaubt, dass die Hilfegesuche weiter zunehmen werden. «Vor allem die Energiekosten stellen viele Personen vor grosse Probleme.» Die Winterhilfe sei vorbereitet und habe genügend Reserven, um allen Gesuchstellern zu helfen, verspricht Römer.
Caritas-Sprecherin Daria Jenni stösst ins gleiche Horn. Heute gelten rund 700'000 Menschen in der Schweiz als arm. «Wir rechnen mit einer erneuten Zunahme der Armut in der Schweiz», warnt Jenni.