Immo-Experte der UBS wählt deutliche Worte
«Ein Haus mit Ölheizung würde ich nicht einmal anschauen»

Claudio Saputelli, Leiter Immobilien und Anlagechef Global Real Estate bei der UBS, sagt im Interview mit «Cash», was beim Thema Eigenheim generell missverstanden und warum Nachhaltigkeit für Immobilienpreise immer wichtiger wird.
Publiziert: 18.05.2023 um 15:26 Uhr
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Aktualisiert: 18.05.2023 um 16:04 Uhr
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Ein Chauffeur liefert Heizöl an einen Privathaushalt.
Foto: STEFAN BOHRER
Manuel Boeck («Cash»)
Cash

Claudio Saputelli, was wird gemeinhin beim Thema Eigenheim missverstanden?
Das Eigenheim wird oft als Investitionsgut betrachtet, obwohl dieses zum grossen Teil ein Konsumgut und ein Teil der Lebensplanung ist. Man muss investieren und abschreiben.

Was sind weitere Punkte, bei denen falsche Auffassungen vorherrschen?
Es besteht die Meinung, dass gute Lagen sicher sind. So herrscht die verbreitete Meinung, dass beispielsweise Wohneigentum in der Region Pfannenstiel nie korrigieren könne. Dem ist nicht so. Auch sehr gute Lagen haben eine gewisse Volatilität bei den Preisen. Oftmals sind die Korrekturen stärker, da dort auch eher nach oben übertrieben wird. Auch haben viele Leute das Gefühl, dass man beim Kauf und dem Verkauf von Wohneigentum den idealen Zeitpunkt erwischen kann.

Das Eigenheim ist doch eine sichere Anlage mit grossem Renditepotenzial?
Dies ist eine Illusion. Man hat möglicherweise gute Phasen, da die Zinsen runterkommen und die Einwanderung stark ist, aber es kann auch in die andere Richtung gehen – wie die Schweiz Anfang der 90er Jahre selbst erlebt hat. Die Immobilienpreise wachsen nicht in den Himmel.

Inwiefern gibt es Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit?
Der Kanton Tessin ist ein gutes Beispiel. Dort hat man in den letzten Jahren zu viel gebaut und die Preise haben korrigiert. Es ist der treibende Faktor bei jeder Blase, dass die Massen an die sichere Rendite bei Immobilien glauben. Das sah man in der Finanzkrise im 2008 in den USA.

Besteht diesbezüglich für die Schweiz eine Gefahr?
Man muss derzeit keine Angst haben: Die Nachfrage ist sehr gross und das Angebot knapp. Zug ist beispielsweise zwar extrem teuer und Zuger verlassen den Kanton seit Jahren, da sie sich dort nichts leisten können. Dies wird allerdings durch die internationalen Wanderungsströme überkompensiert. Das gleiche gilt für Genf, wo die Einheimischen Richtung Unterwallis ausweichen.

Wie haben sich das Angebot und die Nachfrage auf dem Schweizer Markt für Wohnimmobilien angesichts steigender Zinsen in den vergangenen Monaten denn entwickelt?
Wir sind immer noch auf einem langjährigen unterdurchschnittlichen Niveau, was die Zinsen betrifft. Aber es beginnt dennoch, weh zu tun. Trotzdem ist die Nachfrage weiterhin grösser als das Angebot, was die Mieten und die Preise von Eigenheimen stützt. Einzig das Missverhältnis hat sich verkleinert.

Warum ist die Nachfrage noch so stark?
Die Nachfrage kommt hauptsächlich vom Bevölkerungswachstum. Doch auch neue Haushaltsbildungen haben in den letzten Jahren durch Scheidungen oder Auflösungen von Wohngemeinschaften stattgefunden. Und es existieren immer mehr Einzelhaushalte. In der Stadt Zürich sind es über 50 Prozent.

Diese Entwicklung war doch absehbar. Warum wird in der Schweiz trotz hoher Nachfrage zu wenig gebaut?
Ein Grund hierfür ist, dass man bis vor ein paar Jahren einen erhöhten Leerstand hatte. Damals war die Rede von «Geistersiedlungen» und jetzt haben wir «Wohnungsnot».

Artikel von «Cash.ch»

Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.

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Schwarzmalerei?
Die Bandbreite unserer Zufriedenheit auf dem Immobilienmarkt ist sehr schmal. Egal ob ein bisschen Leerstand besteht oder zu wenig gebaut wird, es wird hochgekocht. Dabei ist das Ganze nüchtern betrachtet einfach sehr zyklisch. Die Bautätigkeit wird sich in den nächsten zwei bis drei Jahren erholen.

Warum ist das Baugeschäft so träge?
Bis Baugesuche in der Westschweiz bewilligt werden, dauert dies im Mittel 350 Tage. Mit Einsprachen wird das ganze zusätzlich hinausgezögert. Und der Lärmschutzentscheid des Bundesgerichts und das Raumplanungsgesetz machen die Sache nicht einfacher. Bis vor ein paar Jahren waren solche Verzögerungen noch willkommen, da sie dem Leerstand entgegenwirkten.

Welche Rolle spielen die gestiegenen Baukosten?
Gestiegene Baukosten fressen einer Bau- oder Entwicklungsfirma die Margen weg, sofern dies nicht über gesunkene Baulandpreise oder höhere Verkaufs- und Mietpreise kompensiert werden kann. Höhere Baukosten führen somit zu Abschreibungen auf dem Projektwert. Wer das nicht hinnehmen will, zögert den Bau hinaus.

Eine Entspannung lässt aber auf sich warten?
Eine Entspannung ist nicht in Sicht. Vielmehr wird die Verknappung noch zunehmen. Wir haben noch 60'000 Wohnungen, die derzeit als Puffer leer stehen - wenngleich meist am falschen Ort. Ab 2024 könnte wieder eine erhöhte Bautätigkeit eintreten.

Mit dem Schlagwort «Wohnungsnot» können Sie trotzdem nichts anfangen?
Der Immobilienmarkt schafft eine Bühne für Politiker, Journalisten und Analysten. Würde man lediglich von einer «Übernachfrage nach Wohnungen» sprechen, so würde dies niemanden interessieren. Ein gutes Beispiel also für die Macht der Sprache. Schade, dass dabei eine gewisse Sachlichkeit verloren geht.

Wer kann sich die hohen Preise überhaupt noch leisten?
Die Einkommen haben sicherlich nicht mit den Immobilienpreisen schrittgehalten. Aber wenn die Immobilienpreise so dermassen zu teuer sind, woher stammt dann die Nachfrage? Generell gibt es immer noch genügend Leute, die sich ein Eigenheim leisten können, ansonsten hätten wir keinen derartigen ausgetrockneten Markt. Und Geld ist auch dank «Mami-und-Papi-Bank», Erbschaften oder Doppelverdiensten vorhanden.

Junge Familien können sich aber kein Eigenheim mehr leisten …
Will man wirklich, dass junge Familien so viel Risiko auf sich nehmen. Gerade bei Scheidungen bedeutet das Eigenheim oftmals den grössten Verlust. Und ein Eigenheim zu haben ist kein Grundrecht. Zudem besteht in der Schweiz ein funktionierender Mietwohnungsmarkt als valable Alternative.

Mit diesem Selbstverständnis negiert man die Gefahren des Hauskaufs?
Man unterschätzt immer wieder, wie viel Geld ein Eigenheim absorbiert.

Wie werden sich die Preise für Schweizer Wohnimmobilien in den kommenden Monaten entwickeln?
Die Eigenheime werden nach der «Corona-Party» mit einem jährlichen Preiswachstum von 5 Prozent auf 1 Prozent zurückkommen. Eine Abkühlung wird stattfinden.

Was müsste passieren, dass es zu deutlichen Korrekturen kommt?
Die Bevölkerung und damit die Nachfrage müsste wegbrechen. Viele Grenzkantone leben auch bezüglich des Immobilienmarkts von der Einwanderung. Wenn diese wegbricht, dann steigt der Leerstand und korrigieren die Preise. Bei starkem Rückgang des Einwanderungssaldos hätten wir im Schweizer Immobilienmarkt schnell ein Problem.

Die steigenden Zinsen spielen keine Rolle?
Soweit nur begrenzt. Der Eigenheimbesitzer muss sich die aktuellen Zinsen leisten können. Man rechnet ja mit einem kalkulatorischen Zinssatz von rund 5 Prozent.

Sie rechnen auch nicht mehr mit einem starken Anstieg der Leitzinsen?
Wir rechnen damit, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Leitzinsen im Juni von 1,5 auf 1,75 Prozent erhöht. Danach dürfte etwas Ruhe einkehren. Die jetzigen Zinsniveaus dürften für Eigenheimbesitzer noch keine Probleme darstellen. Dennoch hat sich die Nachfrage nach Eigenheimen in den letzten Monaten abgeschwächt. Dies auch, weil Kaufen derzeit etwa 30 Prozent teurer ist als Mieten. Bis vor kurzem war Kaufen über mehrere Jahre hinweg günstiger.

Bei den Festhypotheken wird der Seitwärtstrend daher anhalten?
Ja, diese sind auf einem Höhepunkt. Entgegen unserer Prognose für leicht steigende Renditen der Zehn-Jahres-Bundesobligationen im Jahresverlauf rechnen wir mit einem Rückgang der langfristigen Hypothekarzinsen auf 2,5 bis 3,1 Prozent. Der Zinsvorteil vom Saron gegenüber Festhypotheken minimiert sich weiter, da sich dieser Ende Juni auf 2,5 bis 2,9 Prozent verteuert.

Langfristig bleibt aber der Saron von der Zinsersparnis her interessanter?
Man geht davon aus, dass die Leitzinsen zur Konjunkturstützung wieder zurückkommen, sobald die Inflation im Griff ist. Bis der Saron tiefer geht, dauert es maximal zwei Jahre. Wenn man jetzt eine zehnjährige Festhypothek abschliesst, dann muss man den entsprechenden Zinssatz die gesamte Dauer hindurch zahlen. Es ist langfristig schwierig, den Saron zu schlagen. Denn bei der zehnjährigen Festhypothek zahlt man immer einen Risikozuschlag.

Alle sollen sich auf den Saron stürzen?
Nein, dies kann man so nicht sagen. Es ist wie bei einer Bergwanderung: Wenn man Höhenangst hat, muss man sich besser absichern. Wer den Saron mit dessen abrupten Bewegungen wegen einer zu hohen Schuldenlast nicht verträgt, der sollte lieber auf langjährige Festhypotheken setzen. Dies bietet Planungssicherheit. Zudem mindert eine Diversifikation der Laufzeiten auch das Zinsrisiko.

Welcher ist der grösste Trend auf dem Markt für Eigenheime, den man auf dem Radar haben sollte?
Dies ist die Nachhaltigkeit. Wenn jedes Haus morgen eine Energieetikette an der Tür hätte, dann würden die rot markierten Eigenheime sofort einen Preisnachlass bekommen. Der Anbietende muss den Abschlag geben, da der Käufer nachrüsten muss und ein Sanierungsrisiko besteht. Diese Entwicklung findet aktuell schleichend statt.

Jeder Kaufinteressent muss sich mit dieser Thematik ausführlich auseinandersetzen?
Unbedingt. Wenn ich heute ein Objekt kaufen würde, dann würde ich bei der Suche Öl- und Gasheizungen gleich herausfiltern. Diese Eigenheime würde ich nicht einmal anschauen. Wenn ein Käufer trotzdem diesen Kompromiss eingehen will, dann muss er den Abschlag einfordern. Und jeder Eigentümer sollte möglichst schnell bei der Nachhaltigkeit aufrüsten.

Auch freie Mietwohnungen werden knapp – vor allem in den Städten. Handelt es sich hier um einen langfristigen Trend?

Die Urbanisierung ist ein Megatrend, der also mehrere Jahrzehnte andauert. Die grosse Migration vom Land in die Stadt geht trotz Corona weiter.

Mit welcher Mietzinsentwicklung müssen die Haushalte rechnen?
Der erste Anstieg des Referenzzinssatzes wird im Juni kommen. Ende Jahr folgt ein zweiter. Die Mieten werden daher 2023 durchschnittlich um 2,5 Prozent steigen. Bis Ende 2025 ist eine kumulative Zunahme um 10 Prozent realistisch.

Wie lange ist der Mietkostenanstieg für die Haushaltsbudgets noch verkraftbar? Wo liegt die Schmerzgrenze?
Generell sind Haushaltsbudgets der Mieterhaushalte eher beschränkt, weshalb Vermieter - vor allem in Regionen mit erhöhtem Leerstand - bei Mietzinsanpassungen vorsichtig vorgehen werden. Ist die Schmerzgrenze einmal erreicht, so werden schnell Alternativen gesucht: Umzug in kleinere Wohnungen, billigere Standorte oder Zusammenlegung von Haushalten. Darin liegt auch ein Vorteil von Mietwohnungen gegenüber Wohneigentum.

Claudio Saputelli ist Chief Investment Officer Global Real Estate bei der UBS. Er arbeitet seit 2007 bei der Grossbank und ist Initiator und Verantwortlicher unter anderem des UBS Swiss Real Estate Bubble Index sowie anderer regelmässig erscheinenden Immobilienstudien. Als Immobilienexperte sitzt Claudio Saputelli in verschiedenen Expertengremien und Arbeitskreisen. Claudio Saputelli studierte Volkswirtschaft an der Universität Zürich sowie Bewegungswissenschaften und Sport an der ETH Zürich. Davor arbeitete er mehrere Jahre als Wirtschaftsinformatiker und Softwareentwickler bei Zurich Financial Services.

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