Der Druck auf Unternehmen, die noch in Russland tätig sind, nimmt zu. Politik und Gesellschaft fordern je länger, desto intensiver, dass sich Firmen aus dem Markt zurückziehen.
Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (44) appellierte gar direkt an den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé, dass dieser sein Russland-Geschäft komplett aufgibt.
Bisher hatte das Unternehmen alle Investitionen ausgesetzt und Putins Land nur noch mit wichtigen Grundnahrungsmitteln beliefert. Neben der Ukraine fordert etwa auch Actares, eine Vereinigung von Aktionärinnen und Aktionäre für mehr Konzernverantwortung, einen Rückzug von Nestlé.
«Nestlé kann nur verlieren»
Doch der grösste Industriekonzern der Schweiz denkt noch nicht daran, den russischen Markt aufzugeben. Darunter leidet das Image. «Nestlé kann nur verlieren», sagt Reputations-Experte Bernhard Bauhofer (59).
Wenn sich die Firma zurückziehe, verliere sie zwar einen wichtigen, wachsenden Markt. Zudem: Eine Rückkehr nach Kriegsende würde sich sehr schwierig und kostenintensiv gestalten. «Wenn Nestlé aber bleibt, werden sie im Westen auf massive Opposition stossen», warnt Bauhofer den Nahrungsmittelmulti aus Vevey VD.
Dies könne laut Bauhofer so weit gehen, dass weltweit Nestlé-Produkte boykottiert werden können, wenn sich der Konzern nicht aus Russland zurückziehe. Der Reputation-Experte betrachtet die Situation jedoch differenziert: «Die russische Bevölkerung ist nicht der Aggressor, sie leidet unter den Handlungen Putins. Insofern ist die Haltung von Nestlé nachvollziehbar».
Riesiger Reputations-Schaden
Gleichzeitig habe jedoch Wladimir Putin (69) verkündet, Russland brauche keine Firmen aus dem Ausland. «Deshalb ist es fragwürdig, ob sich Unternehmen weiterhin an der russischen Wirtschaft beteiligen sollen», sagt Bauhofer. Im Grunde würden sich Firmen bei Verbleib zu Komplizen der russischen Regierung machen.
Ein grosses Risiko tragen Unternehmen, die an ihrem Russland-Geschäft festhalten. «Moralisch stellen sich diese Firmen an den Pranger, sie geraten langfristig in Erklärungsnot.» Zudem biete Russland keine Sicherheit – da Putin bereits Enteignungen von ausländischen Firmen angekündigt hat.
«Früher oder später verlieren Unternehmen alles, wenn sie in Russland bleiben», sagt Bauhofer. Noch kurzfristig Geld zu machen in einem sanktionierten Umfeld, mit einer Währung, die am Boden sei, mache wenig Sinn. Und: «Der Image-Schaden wird riesig sein.»
Für Banken ist Russland-Verbleib fatal
Dies betreffe auch die Schweizer Finanzbranche. Grossbanken wie die UBS und Credit Suisse prüfen ihren Verbleib in Russland noch, während ausländische Finanz-Giganten ihre Zelte bereits abgebrochen haben.
Für die Reputation von UBS und CS sei dies fatal, findet Bauhofer: «Banken haben keinen Grund, in Russland zu bleiben. Die Unternehmen betreffen nicht die Grundversorgung. Es geht also um die Frage, ob man ein Regime wie das von Putin unterstützt oder sich konsequent zurückzieht.»