Wer sich im Sommer Ferien im nahen Ausland gegönnt hat, durfte nicht nur vom Tapetenwechsel, sondern auch vom starken Franken profitieren. Das Glacé in der Gelateria war verhältnismässig günstig. Am Dienstag ist gemäss Finanzportal «Cash» ein Euro zeitweise noch 0.9554 Franken wert. Der Wechselkurs erreicht damit fast den Jahrestiefpunkt von 0.9538 Franken Ende Juli.
Wieso ist der Franken wieder so stark? Thomas Heller (56), Anlagechef bei Belvédère Asset Management und Beat Schiffhauer (41), Strategieanalyst der St. Galler Kantonalbank, ordnen für Blick ein.
Vielmehr ein Franken-Hoch als ein Euro-Tief
Der aktuelle Kurs ist mehr auf den starken Franken als auf einen schwachen Euro zurückzuführen. «Der Euro hat gegenüber anderen Währungen, insbesondere dem US-Dollar, zugelegt», sagt Heller. Zu Beginn des Jahres hatte der Euro erstarken können und erreichte die Parität. Vorwiegend, weil die erwartete Rezession in der Eurozone nicht eintraf.
In den letzten Wochen und Monaten ist der Franken allerdings wieder erstarkt und hat seit Jahresbeginn gegenüber sämtlichen G-10-Währungen zugelegt. «Für die Schweiz als Investitionsland spricht vieles. Die gesunden Staatsfinanzen, das stabile geldpolitische Umfeld sowie eine robuste Wirtschaft», sagt Schiffhauer.
Inflationsunterschiede
Was den starken Franken teilweise erklärt: Hierzulande ist die Inflation bedeutend tiefer als im Euroraum. Gemäss dem Bundesamt für Statistik lag sie im Juni im Normalbereich von 1,6 Prozent im Vergleich zum Juni vergangenen Jahres – in der Eurozone hingegen bei 5,3 Prozent.
Damit ist das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von mittelfristig zwei Prozent nach wie vor in weiter Ferne. Die EZB hatte zuletzt im Juli den Leitzins erhöht, um die hohe Inflation zu bekämpfen. «Die Europäische Zentralbank bewegt sich auf einem schmalen Grat», sagt Schiffhauer zu Blick. «Geht sie zu stark gegen die Preisentwicklung vor, könnte sie die Rezession verschärfen. Ist sie zu zurückhaltend, könnten die Preise wieder aus dem Ruder laufen».
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Im Herbst kommt wohl nächste Leitzinserhöhung
Die beiden Experten gehen davon aus, dass die EZB im September den Leitzins nochmals anheben wird, weil sich die Inflation länger hält als erwartet. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte den Leitzins erhöhen, um bei der Inflationsbekämpfung auf der sicheren Seite zu sein.
Weil der Inflationstrend inzwischen nach unten zeigt, erwartet Heller keine grösseren Interventionen der Zentralbanken mehr. «In den USA kommen wohl keine Leitzinserhöhungen mehr», sagt der Experte. Wie es danach weitergeht, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung der Eurozone ab.
«Ich sehe keine Euro-Franken-Parität»
Der Euro-Franken-Kurs dürfte sich auf dem aktuellen Niveau stabilisieren. Heller rechnet in den kommenden Wochen mit einem Kurs von ungefähr 0.96 Franken: «Ich sehe keine Euro-Franken-Parität auf uns zukommen.» Insbesondere in Anbetracht, dass die SNB aktiv Euros verkauft und entsprechend den Euro zusätzlich schwächt. Andererseits wäre der Anlagechef überrascht, würde sich der Kurs in die andere Richtung gegen 0.9 Franken bewegen.
Dem stimmt auch Experte Schiffhauer zu: «Mittelfristig spricht aber weiterhin wenig dafür, dass der Euro gegen den Schweizer Franken aufwertet. Dafür braucht es klare Zeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs in der Eurozone.» Der Besuch in der Gelateria im Ausland dürfte für Schweizerinnen und Schweizer also noch ein Weilchen günstig bleiben.