Thomas Jordan (61) macht den Märkten vor seinem Abgang ein Abschiedsgeschenk: Im September tritt der langjährige Notenbanker ab – und überrascht ein halbes Jahr vorher mit einer unverhofften Zinssenkung. Die meisten Beobachter hatten erst im Juni mit einem Zinsschritt gerechnet. Blick zeigt auf, was das für Wohneigentümerinnen, Mieter, Inhaber von Sparkonten und Co. bedeutet.
Was bedeutet der Zinsentscheid für Eigenheimbesitzer?
Sinkende Hypozinsen! Wer eine Saron-Hypothek auf dem Eigenheim hat, profitiert praktisch per sofort vom tieferen Zinssatz. Bei Festhypotheken bleiben die Zinssätze vorderhand gleich, schliesslich haben diese Hypotheken eine fixe Laufzeit von zwei, fünf oder gar zehn Jahren. Das tiefere Zinsniveau gibt bei der nächsten Verhandlung über die Verlängerung der Hypothek allerdings Spielraum. Allzu früh sollten sich Wohneigentümer allerdings nicht freuen: Marktbeobachter hatten bereits erwartet, dass die SNB dieses Jahr die Leitzinsen senkt (wenn auch nicht ganz so früh). Die Zinssenkungen sind daher zum Teil bereits ins Hypothekenniveau eingepreist.
Profitieren auch die Mieter?
Vorerst nicht. Die Mieten richten sich nach dem hypothekarischen Referenzzinssatz. Dieser wird vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) vierteljährlich bestimmt und liegt aktuell bei 1,75 Prozent. Das BWO entscheidet im Juni wieder über die Höhe des Referenzzinssatzes. «Es sind keine weiteren Erhöhungen beim Referenzzinssatz in Sicht», stellte Jordan am Donnerstag schon mal klar.
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Aber: Auch eine Senkung steht wohl noch nicht ins Haus. Denn das BWO orientiert sich beim Referenzzinssatz nicht am SNB-Leitzins – sondern am Durchschnittszinssatz der Banken. Weil es dauert, bis sich der tiefere Leitzins in den Hypotheken spiegelt, gibt es auch beim Referenzzinssatz Verzögerungen – und Mieter dürfen wohl erst 2025 auf eine Senkung des Referenzzinssatzes hoffen. Falls der Satz sinkt, können die Mieter bei ihren Vermietern eine Mietzinssenkung einfordern – das sorgt erneut für Verzögerungen. Bis für die Miete tatsächlich weniger Geld fällig wird, dauert es also noch länger.
Was heisst die Zinssenkung für das Geld auf meinem Sparkonto?
Die Banken gaben in den letzten zwei Jahren die höheren Leitzinsen nur zögerlich an ihre Kundschaft weiter. SNB-Präsident Thomas Jordan höchstpersönlich riet der Kundschaft daher sogar zum Bankwechsel, um Druck auf die Banken auszuüben. Mit der ersten Zinssenkung seit Jahren nimmt dieser Druck auf die Banken nun ab, der Kundschaft bessere Sparzinsen zu bieten. Mit sinkenden Zinsen auf dem Konto müssen die Sparerinnen und Sparer allerdings nicht rechnen: Weil die Banken die hohen Leitzinsen bisher nicht vollumfänglich an die Kundschaft weitergegeben haben, können sie nun auch nicht gleich zurückkrebsen.
Werden die Produkte im Laden endlich wieder günstiger?
Nein. Die Zinssenkung spricht zwar dafür, dass die Preisstabilität in der Schweiz wiederhergestellt ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Preise nun sinken – sondern nur, dass sie nicht mehr (so stark) steigen. Die SNB strebt eine Inflation von unter 2 Prozent an. Eine Deflation – also sinkende Preise – ist aber nie das Ziel der Notenbanker.
Wie entwickelt sich der Schweizer Franken?
Er schwächt sich gegenüber Euro und Dollar tendenziell ab. Bei tiefen Zinsen wird der Schweizer Franken als Anlage weniger attraktiv. Internationale Anleger ziehen Geld aus dem Franken ab, investieren stattdessen in andere Währungen – und der Aufwertungsdruck auf den Franken nimmt ab. Das freut insbesondere die exportorientierte Schweizer Industrie, die sich am starken Franken die Zähne ausbeisst. Swatch-CEO Nick Hayek (69) sagte nach dem SNB-Entscheid denn auch: «Der Entscheid der Nationalbank ist positiv für die ganze Industrie und den Tourismus. Wir haben allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres 100 Millionen Franken an Währungsverlusten eingefahren.»
Mit einer starken Abwertung des Frankens ist allerdings nicht zu rechnen, Zinssenkung hin oder her: Der Schweizer Franken gilt international als sicherer Hafen und ist bei Anlegern daher unabhängig vom Zinsniveau beliebt.
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Als Vorreiterin. Die US-Notenbank Fed hatte erst am Mittwoch entschieden, mit einer Zinssenkung noch zuzuwarten. Auch die Europäische Zentralbank EZB hält bislang die Füsse still. Es ist nicht das erste Mal, dass Jordan seine internationalen Kollegen überholt: Schon bei der Erhöhung der Leitzinsen vor rund zwei Jahren reagierte Jordan schneller als EZB-Chefin Christine Lagarde (68).
Die Situation hierzulande präsentiert sich allerdings auch vorteilhafter als im Ausland: Die Inflation in der Schweiz liegt bei 1,2 Prozent. Tiefer als in den USA mit 3,2 Prozent, oder in der Eurozone mit 2,6 Prozent. Die Zentralbanken streben jeweils Inflationswerte von unter 2 Prozent an – erst dann kommen Zinssenkungen infrage.