Hausbesitzer Martin V.* (47) aus Köniz BE versteht die Welt nicht mehr: Im Januar 2024 haben Monteure endlich die ersehnten Solarpanels auf seinem Dach montiert. Bereits im Oktober 2023 hat eine für sein Solarprojekt zuständige Person bei einer BKW-Tochter die notwendigen Dokumente für die Netz-Inbetriebnahme bei der BKW Energie angefordert.
Doch Mitte März 2024 – über zwei Monate sind vergangen – sind die Solarpanels immer noch nicht am Netz angeschlossen. Gegen 40'000 Franken an Kosten habe der Berner dafür berappt, so schnell wie möglich will er Geld fürs Einspeisen seines Stroms sehen.
«Von wegen Solarexpress!», poltert V., der aus Angst, dass man ihn nun ganz hängenlässt, anonym bleiben will. V. ist offenbar kein Einzelfall: Ihm seien weitere Privatpersonen bekannt, also Hauseigentümer, die seit Monaten auf den Anschluss ihrer Solarpanels ans Netz warten. «Obwohl die BKW nicht mehr nachkommt, macht sie weiter fleissig Werbung für Solaranlagen», staunt V.
Massive Zunahme von PVAs
Blick konfrontiert den Energieversorger BKW mit dem Anschluss-Rückstau. Sprecher Justin Grämiger versteht den Ärger von Kundinnen und Kunden, die lange auf den Anschluss ihrer Solaranlage ans Stromnetz warten müssen. Das Problem sei die Energiewende an sich: «Die dezentrale Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen, die Elektrifizierung der Wärmeerzeugung und die Förderung der Elektromobilität führen zu einem Anstieg des Prozessvolumens und einer Zunahme der Komplexität.»
Im Klartext: Das Verteilnetz war bisher darauf ausgerichtet, die Konsumenten mit Strom aus wenigen Grosskraftwerken zu versorgen. Inzwischen gibt es im Verteilnetz aber viele dezentrale Produktionsanlagen, die Konsumenten ebenfalls mit Strom versorgen. Dazu kommt der Boom von Photovoltaikanlagen (PVA) und Wärmepumpen bei den Privaten.
Die Politik in der Verantwortung
Es müsse selbstverständlich sein, dass auch neue Verteilnetze zur Energiewende gehören und dass die zuständigen Behörden die Verfahren für alle Anlagen – auch das Verteilnetz – beschleunigen. Grämiger appelliert hier an die Politik: Sie müsse die Rahmenbedingungen schaffen, die es Netzbetreibern ermöglicht, das Netz für zukünftige Belastungen proaktiv auszubauen. Dazu gehörten unter anderem eben vereinfachte Genehmigungsverfahren. Das Verteilnetz laufe sonst Gefahr, zum Flaschenhals der Energiewende zu werden.
Zum Flaschenhals trägt die starke Verbreitung von Photovoltaikanlagen bei. Allein bei der BKW wurden 2023 rund 5600 PVA ans Netz angeschlossen, was mehr als das Dreifache der Anzahl aus dem Jahr 2020 ist. Pro Tag schliesse die BKW aktuell rund 25 neue PVA an ihr Verteilnetz an, «Tendenz stark steigend», so der Sprecher.
In 85 Prozent der Fälle erfolge der Anschluss laut Gräminger reibungslos, bei weiteren 7 Prozent mit geringem zusätzlichem Arbeitsaufwand. Bei der Restlichen sei dagegen eine umfangreichere Netzverstärkung erforderlich, einschliesslich des dazugehörigen Bewilligungsverfahrens: «Das kann mehrere Monate in Anspruch nehmen.»
Dazu kommen als Herausforderungen noch Lieferengpässe von Netzkomponenten sowie Fachkräftemangel hinzu – es fehlen Netzelektriker! Wie lange es dauert, bis der Rückstau bei der BKW aufgehoben ist, ist unklar.
Diverse Netzbetreiber betroffen
Allein ist die BKW mit dem Problem nicht. Blick hat auch von Wartezeiten bei anderen Netzbetreibern gehört.
Die Elektrizitätswerke Zürich EKZ sagt auf Blick-Nachfrage, es könne bei der gesetzlich verlangten Beglaubigung einer Solarinstallation vorkommen, dass Kunden auf einen Kontrolltermin warten müssen. Aber: «Die Wartefristen werden immer kleiner – kein Vergleich zum Solarboom-Jahr 2022.» Im letzten Jahr schloss die EKZ über 2000 neue Solaranlagen von Privatpersonen und Industriekunden ans EKZ-Netz.
Um nachzukommen, müssten die Netzbetreiber viel Aufwand betreiben. Der Netzunterhalt und -Ausbau verschlinge allein bei der EKZ rund zwei Millionen Franken – pro Woche.
Auch Marcel Schmid, Sprecher von Axpo-Tochter CKW, hält fest: «Es kann in einzelnen Fällen bis zu zwei Jahre dauern, bis eine Solaranlage mit der vollen Leistung ans Netz angeschlossen werden kann.» Das habe damit zu tun, dass die Standortsuche und die Bewilligungsverfahren bei der Erstellung von Trafostationen und Stromleitungen sehr aufwendig sind.
V. hat für die Argumente wenig Verständnis. Wenn die Energiewende aggressiv beworben werde, müssten die Anbieter für die erhöhte Nachfrage bereit sein: «Die Ressourcen sind nicht das Problem des Kunden.»
*Name von der Redaktion geändert