Auf einen Blick
- Hausarztzentrum Allcare ist infolge Konkurs geschlossen
- Ärztemangel und hohe Kosten führen zu weiteren Praxisschliessungen
- Was gegen den Ärztemangel helfen könnte
Das Ende kam plötzlich und unerwartet: «Infolge Konkurs ist die Allcare Hausarzt-Zentren AG leider geschlossen.» Ein an die Eingangstür geklebtes A4-Blatt kündete vom Ende der Praxis mitten im Boomquartier Zürich Altstetten.
Wie kann das sein? Gerade in Regionen wie Zürich ist es immer schwieriger, überhaupt einen Termin bei einem Hausarzt zu bekommen. An zu wenig Patienten kann es nicht liegen, auch die medizinische Leistung stimmte, wie ich aus eigener Erfahrung weiss.
Zu wenig Ärzte
Allcare hat gerade mal 12 Jahre existiert. Das Konzept war innovativ: Die Ärzte waren Angestellte der Praxis, trugen keine unternehmerische Verantwortung wie in anderen Gruppenpraxen üblich, konnten sich ganz auf die Patienten konzentrieren. Um die Finanzen hat sich Gründer, Investor und Geschäftsführer Anton Widler (65) – ein Jurist – gekümmert.
Zum plötzlichen Ende sagt er: «Wir haben schlicht keine Ärzte mehr gefunden, um unsere Infrastruktur genügend auszulasten.» Allcare betrieb alleine in Altstetten acht Sprechzimmer «Dafür braucht es mindestens sechs bis acht Ärzte, sonst lohnt sich das nicht.»
Gescheitert ist Allcare am Ärztemangel, aber nicht nur: «Die Ärzte wollten weniger arbeiten, mehr verdienen und die Work-Life-Balance sollte auch noch stimmen», klagt Widler. «Die Ärzte verstanden sich nie als Partner, sondern immer nur als Arbeitnehmer.» Widler wäre sogar bereit gewesen, Allcare für einen symbolischen Preis an Angestellte zu verkaufen. Das allerdings scheiterte an fehlenden Bewilligungen und der «mangelnden Bereitschaft der Ärzte, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen», so Widler.
Kein Einzelfall
Für Patienten ist die Schliessung doppelt unangenehm: Einerseits ist ein neuer Hausarzt alles andere als leicht zu finden und der eigenen Krankengeschichte muss man auch noch hinterherrennen. Es trifft viele Patientinnen und Patienten. Das Ende von Allcare ist kein Einzelfall.
So hat die Kette Sanacare in den letzten Monaten zwar einen neuen Standort aufgebaut, aber auch drei ihrer Standorte geschlossen. Nicht immer zur Freude der betroffenen Patienten, wie Leserbriefe aus der Region Basel vermuten lassen. Die CSS – mit rund 1,5 Millionen Versicherten – meldet auf Anfrage von Blick alleine für dieses Jahr die Schliessung von «gut einem Dutzend Gruppenpraxen» erhalten zu haben.
Zu hohe Kosten
Die Praxis Südland hat vor wenigen Tagen den letzten ihrer beiden Standorte im Raum Bern geschlossen. Betroffen davon ist auch Linda Habib (31). Die junge Hausärztin hatte noch im Juni im Blick über ihre erste Stelle nach dem Studium geschwärmt. Im Gegensatz zu Allcare in Zürich verlief die Schliessung in Bern in geordneten Bahnen: «Wir haben unsere Patienten nicht im Stich gelassen, wir haben dabei geholfen, neue Hausärzte zu finden», sagt Habib. «Aber aufgrund der hohen Kosten war ein rentabler Betrieb nicht mehr möglich.» Habib spricht ein grundlegendes Problem an: «Im Endeffekt geht es um die Frage, ob wir eine Medizin wollen, die rentiert – oder eine, die sinnvoll ist.»
Im Zeitalter steigender Krankenkassenprämien braucht es aus Sicht der Patienten beides. Jede Gruppenpraxis, die schliesst, ist eine zu viel – und erschwert für viele den Zugang zur günstigen Hausarztmedizin.
Mehr Ärzte, die Teilzeit arbeiten
Grundsätzlich ist es eine gute Idee, wenn Investoren Gruppenpraxen gründen, allerdings könnte gerade da das Problem liegen, wie Thomas Rosemann (55), Direktor des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, erklärt: «Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Schliessungen viele Praxen von Nicht-Medizinern betreffen. Weil diese es noch schwerer haben, gute Ärzte zu finden, die auch eine kontinuierliche Auslastung der Praxis gewährleisten.» Von Ärzten geführte Gruppenpraxen seien davon weniger betroffen, vermutet Rosemann.
Wie viele andere plädiert Rosemann für eine Aufwertung der Hausarztmedizin. Die Zahlen zum Ärztemangel in diesem Bereich sind etwas irreführend. Zwar nimmt die absolute Zahl der Allgemeinpraktiker seit Jahren leicht zu, allerdings arbeiten viele Hausärzte nicht Vollzeit.
Die Folge: Unterm Strich steht dem zunehmenden Bedürfnis der Bevölkerung nach Hausarztmedizin immer weniger Arbeitsstunden der entsprechenden Ärzte gegenüber. Eine Tendenz, die sich in den kommenden Jahren verschärfen wird, da vor allem viele ältere Ärzte mit hohen Arbeitspensen in den Ruhestand gehen.
Es braucht neue Tarife
«Wenn es zu wenig Grundversorger gibt, dann wird die Medizin teurer», warnt Monika Reber (54), Co-Präsidentin der Haus- und Kinderärzte Schweiz. «Die Hausarztmedizin kann 94 Prozent aller Gesundheitsprobleme selbständig behandeln und verursacht dabei nur 8 Prozent der Gesamtkosten im Gesundheitswesen», so Reber, die selbst Teilzeit in einer Gruppenpraxis arbeitet.
«Ich habe jahrelang vom Wissen meiner älteren Kollegen profitiert», streicht sie die Vorteile von Gruppenpraxen heraus. Für den Trend zu Teilzeit der jüngeren Kollegen hat Reber Verständnis: «Eine Stelle von 70 bis 80 Prozent als Arzt oder Ärztin entspricht schnell einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden oder mehr.»
Abhilfe durch Tardoc?
Für Reber ist klar: «Die Aufwertung der Hausarztmedizin muss auch über bessere Tarife erfolgen.» Ob der neue Arzttarif Tardoc, der ab 2026 gültig sein wird, wirklich eine Verbesserung bringt, müsse sich aber erst noch zeigen.
Immerhin: Der Tardoc könnte die Attraktivität des Hausarztberufes wieder erhöhen. Das könnte helfen, den Ärztemangel in diesem Bereich zu verringern und das Risiko für Investoren senken. Damit nicht weitere Gruppenpraxen und Ärztehäuser schliessen müssen – und nicht noch mehr Patientinnen und Patienten vorübergehend auf der Strasse stehen.