Wir Schweizer sind die Recycling-Könige. In keinem anderen Land werden 80 Prozent des Altpapiers wiederverwertet. Einmal von den Gemeinden eingesammelt, kann das Papier weiterverkauft und anschliessend zu frischem Papier oder Karton umgewandelt werden.
Doch der Preis von alten Heftli, der letzten Zahnarztrechnung oder dem Aufsatz der Tochter ist keineswegs in Stein gemeisselt. Bis Ende des vergangenen Jahres war der Altpapierpreis auf einem historischen Hoch. Bis zu 160 Franken kostete eine Tonne Papier. Grund: Der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Angst vor einem Energieengpass und Rohstoffmangel. «Frachträume, Logistik und Energiesituation haben sich vergangenes Jahr deutlich verschlechtert», sagt Alain Probst (57), Vorstandsmitglied des Vereins Recycling, Papier und Karton, zu Blick. Vor Sorge, im Winter nicht mehr produzieren zu können, wurde Papier auf Vorrat gekauft, was das Angebot verknappte.
Berg- und Talfahrt
Probst sitzt auch in der Geschäftsleitung von Perlen Papier im Kanton Luzern – der letzten Schweizer Fabrik für grafische Papiere – und ist dort für die Zufuhr von Rohstoffen zuständig.
Nun ist der Winter vorüber, die Energiekrise blieb weitgehend aus, und das Resultat des Hamsterns zeigt Wirkung. «Zusammen mit einem Nachfragerückgang in Europa haben Produzenten Mühe, ihre Auslastung aufrechtzuerhalten», weiss Probst. Innerhalb weniger Monate brach der Altpapierpreis inzwischen wieder zusammen. Auf die Überproduktion folgt das Loch. Für eine Tonne Papier kriegten die Gemeinden gar nichts mehr. Beim Tiefpunkt kostete die Gemeinden die Abfallsammlung aufgrund von Abgaben sogar.
Probst rechnet auch in den kommenden Monaten nicht mit einer Beruhigung: «Gut möglich, dass das Altpapier in einigen Monaten wieder zu einem knappen Gut werden wird.» Tatsächlich hat der Preis im Juni wieder etwas angezogen, eine Tonne Altpapier ist derzeit 15 Franken wert.
Letzter Höhepunkt während Pandemie
Dass der Papiermarkt volatil sein kann, ist nichts Neues. Während der Corona-Pandemie kostete Altpapier plötzlich ein Vielfaches. Im Lockdown führte der blühende Onlinehandel zu einer regelrechten Päckli-Flut. Die enorme Karton-Nachfrage liess das Altpapier plötzlich knapp werden, was den Preis in die Höhe trieb.
Die Papierknappheit spürten selbst die Abnehmer von Zeitungspapier. Das «Migros-Magazin» – nach der «Coop Zeitung» die Zeitschrift mit der zweitgrössten Auflage in der Schweiz – kündigte damals an, den Umfang seiner Ausgaben während mehrerer Wochen zu reduzieren.