Auf einen Blick
- Der Bundesrat halbiert die Wertfreigrenze für Einkaufstouristen ab 2025
- Künftig bleibt der Einkauf im Ausland nur noch ab einem Betrag bis 150 Franken steuerfrei
- Einige kritisieren die Senkung der Freigrenze, andere sehen darin keine negativen Auswirkungen
- Konstanzer Gewerbe bleibt trotz neuer Regelung optimistisch
Donnerstagmorgen um 10 Uhr in Konstanz. Der Himmel über der süddeutschen Stadt am Bodensee ist nebelverhangen. Trotzdem tummeln sich in der Altstadt bereits zahlreiche Menschen – viele aus der Schweiz. Sie tragen Einkaufstaschen mit sich, beäugen die Schaufenster, besprechen ihr nächstes Shoppingziel.
Nun will der Bundesrat den Schweizer Einkaufstouristen das Shoppingerlebnis vermiesen. Am Mittwoch fällte er den Entscheid, die Wertfreigrenze ab 2025 zu halbieren. Künftig soll der Einkauf im Ausland nur noch bis zu einem Betrag von 150 Franken steuerfrei bleiben. Passantin Verena S. (81) aus St. Gallen findet das richtig: «Schliesslich verdienen wir unser Geld in der Schweiz, und sollen es auch dort ausgeben. Sozialleistungen nimmt man gerne in Anspruch, Einkaufen geht man dann aber im Ausland. Das finde ich nicht in Ordnung.»
Dass Schweizerinnen und Schweizer in Grenzkantonen zum Einkaufen ins Ausland fahren, ist keine Randerscheinung: Dem Schweizer Detailhandel gingen dadurch 2022 achteinhalb Milliarden Franken durch die Lappen. Das zeigen die Ergebnisse der Langzeitstudie «Einkaufstourismus» der Uni St. Gallen.
Auch Tagesausflügler ziehts ins Ausland
Unter den Einkaufstouristen in der Altstadt befindet sich auch die 19-jährige Jasmin aus Zürich. Die angehende Studentin ist auf dem Weg zum Optiker, um sich eine neue Brille anfertigen zu lassen. Sie erzählt, dass sie dafür lieber den Weg nach Konstanz auf sich nimmt. Denn «in der Schweiz würde ich für meine Brille viel mehr bezahlen.»
Nach mehreren Gesprächen mit Schweizerinnen und Schweizern wird klar: Nach Konstanz kommen viele nicht nur, um ihre Einkaufsliste abzuarbeiten, vielmehr geniessen sie das Gesamterlebnis. So wie Anna Roosch (86) und Sandra Grob (52). «Uns gefällt die Stadt, der Bodensee, die Cafés. Wir bummeln hier gerne von Schaufenster zu Schaufenster und kaufen nicht viel. Nach Konstanz fahren wir für einen Tapetenwechsel», so Roosch. Angesprochen auf den Entscheid aus Bern sind sich die Schweizer Touristinnen einig: Für sie sei die Senkung der Wertfreigrenze kein Hindernis, den Tagesausflug nach Konstanz trotzdem zu unternehmen.
Schlecht für die Umwelt
Das sehen längst nicht alle so! Die Zürcherin Monika W.* (52) ist mit der Senkung überhaupt nicht einverstanden: «Wo man einkaufen will, sollte jedem selbst überlassen sein. Für eine sechsköpfige Familie sind die Preise in der Schweiz einfach horrend.» Dass der Entscheid des Bundes den Einkaufstourismus tatsächlich eindämmen werde, glaubt auch sie nicht: «Man geht einfach öfter über die Grenze und belastet die Umwelt dadurch noch stärker.»
Die Stimmung beim Konstanzer Gewerbe ist durchzogen. Droht nun gar ein baldiges Ende des Einkaufstourismus? «Nein», findet Jana Schmidt (47). Sie ist Inhaberin der Modeboutique Liebling & Töchter und betreibt das Geschäft bereits seit 20 Jahren. Ihre Kundschaft bestehe zwar zu etwa 70 Prozent aus Schweizern. Um ihr Geschäft fürchtet sie deshalb aber nicht. Denn «auch mit dem Zuschlag der Schweizer Mehrwertsteuer ist der Einkauf in Deutschland immer noch günstiger als in der Schweiz».
«Fragwürdige» Senkung
Katrin Klodt-Bussmann (53), Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), findet die Senkung der Freigrenze «fragwürdig» und ergänzt: «Die Senkung bereitet uns keine Freude, stellt jedoch auch keine Bedrohung dar.» Auch stünde der zusätzliche Verwaltungs- und Kontrollaufwand in keinem guten Verhältnis zum Ertrag, so Klodt-Bussmann – und geht mit der Schweiz hart ins Gericht. «Für die grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen ist das kein Fortschritt und für die Schweiz selbst wohl kaum ein Gewinn.»
Ob Shoppingtrip oder Tagesausflug – die Schweizerinnen und Schweizer scheffeln fleissig Euros in die Kassen der deutschen Geschäfte. Selbst an einem wolkenverhangenen Oktobertag lassen sie sich nicht davon abbringen. Und wohl von einem Entscheid aus Bundesbern schon gar nicht.
*Name geändert