Gopfried Stutz
Vorsicht vor euphorischen Börsen

Wenn Optimismus zu Euphorie wird, ist die Gefahr eines Absturzes am grössten.
Publiziert: 19.12.2020 um 10:44 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2021 um 11:30 Uhr
Claude Chatelain, Publizist und Wirtschaftsjournalist.
Foto: Paul Seewer
Claude Chatelain

Heute wollen wir trotz allem einen Blick aufs kommende Börsenjahr werfen. «Trotz allem» sage ich, weil ich von Börsenprognosen bekanntlich wenig halte. Vor einem Jahr gaben sich all die Börsen-Auguren verhalten optimistisch – wie fast immer. Ich schrieb aber an dieser Stelle: «Ich glaube an den Schwarzen Schwan.» Gemeint ist jene Metapher, die für ein Ereignis steht, das man gemeinhin als unmöglich einstuft.

Dann grassierte die Pandemie, mit ihr kam der Lockdown und damit der freie Fall der Aktienkurse. Ich habe also mit dem Schwarzen Schwan ins Schwarze getroffen. Hat mir jemand gratuliert? Es wäre mir entgangen.

Gewiss, ich habe das mit dem Schwarzen Schwan nicht als Prognose verstanden, eher als Warnung. Ein Schulterklopfen habe ich sowieso nicht verdient. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.

Denn wer bei mir aufgrund dieses Volltreffers hellseherische Fähigkeiten vermutet, den will ich darüber aufklären, dass ich gefühlt 20 Jahre lang steigende Zinsen prophezeit habe, stattdessen sind sie stetig gesunken. Das tat ich zwar nicht öffentlich, aber für mich insgeheim, was ich hier, ehrlich wie ich bin, gerne zugebe.

Übrigens musste ich mir sagen lassen, dass die Pandemie kein Schwarzer Schwan sei. Es sei zumindest in der Wissenschaft bekannt, dass Pandemien auftreten könnten. Für mich ist das eine Wortklauberei. 99,9 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer hätten sich nicht im (Alb-)Traum vorstellen können, was sich eben im ablaufenden Jahr abgespielt hat. Soll mir jemand das Gegenteil beweisen.

Auch mit etwas anderem hätte man Ende 2019 wirklich nicht gerechnet: dass nach der genannten Pandemie mit den einhergehenden wirtschaftlichen Schäden und der grössten Rezession seit Jahrzehnten die massgebenden Börsenindizes wieder Kurs auf neue Höchststände nehmen würden. Das gilt für die bekannten amerikanischen Indizes wie Dow Jones, S&P-500 wie für den Nasdaq. Aber auch der Swiss Market Index (SMI) ist nicht mehr weit von seinem historischen Höchststand vom 20. Februar entfernt. Derzeit liegt er höher als vor einem Jahr.

Was heisst das nun fürs kommende Jahr? Die Marktteilnehmer rechnen fast einhellig mit weiterhin steigenden Aktienkursen. Das gilt auch für Burkhard Varnholt, CIO der Credit Suisse (Schweiz) AG, dessen zum Teil philosophische, aber stets geistreiche und originelle «Wöchentliche Standpunkte» ich mir selten entgehen lasse. Vor Wochenfrist schrieb er: «Doch was uns besorgt, ist der zunehmende Konsens unter Marktteilnehmern. Das Leben lehrt, dass es erstens anders kommt und zweitens, als man denkt.»

Es mag widersprüchlich erscheinen, ist aber wiederholt passiert: Wenn Optimismus in Euphorie mündet, ist die Gefahr eines Absturzes am grössten.

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