Gopfried Stutz
Mehr Geld wäre ein Skandal gewesen

Geht es wirklich um einen fairen Umgang beim Kaufkraftverlust? Dann müsste man bei Sozialhilfebezügern, EL-Bezügern, Working Poor und Alleinerziehenden ansetzen, nicht bei Rentnerhaushalten.
Publiziert: 04.03.2023 um 14:36 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2023 um 14:09 Uhr
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Der Nationalrat will die AHV-Renten doch nicht an die Teuerung anpassen.
Foto: Keystone
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Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

Bundesparlamentarier legen vor ihrem Votum jeweils ihre Interessenverbindung offen. Ich will dem nicht nachstehen und es ihnen gleichtun: Ich bin AHV-Rentner. Jeder zusätzliche Zustupf kann mir nur willkommen sein. Und jetzt haben beide Räte entschieden, mir den vollen Teuerungsausgleich zu verwehren: Skandal.

Ernsthaft: Nicht gerade ein Skandal, aber völlig unverständlich wäre es, wenn die Bundesparlamentarier anders entschieden hätten.

Zu den Fakten: Gemäss AHV-Gesetz hat der Bundesrat die Renten «in der Regel alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung» anzupassen. Berechnungsgrundlage hierzu ist der Mischindex. Er entspricht dem Durchschnitt von Lohn- und Preisindex.

Genau das hat der Bundesrat auf Anfang 2023 getan: Rentnerinnen und Rentner erhalten nun 2,5 Prozent mehr Rente.

Ungeachtet dessen stimmten beide Räte im vergangenen Jahr einer Motion der Mitte-Partei zu, bei AHV-Renten den vollen Teuerungsausgleich zu gewähren. Also nicht nur eine Steigerung um 2,5 Prozent gemäss Mischindex, sondern 2,8 Prozent gemäss Konsumentenpreisindex. Auf die Minimalrente gäbe das einen Zuschlag von 7 Franken, auf die Maximalrente 14 Franken pro Monat. Oder wie SVP-Ständerat Alex Kuprecht es ausdrückte: «25 bis 50 Rappen pro Tag.»

Im AHV-Gesetz steht noch etwas anderes: Der Bundesrat passt die Renten früher an, falls die Teuerung innerhalb eines Jahres um mehr als 4 Prozent ansteigt. Ist sie das? Nein. 2022 betrug sie 2,8 Prozent. Wie Christian Lohr von einer «historisch hohen Inflationsrate» zu reden, ist Unsinn. Der Thurgauer Mitte-Nationalrat ist nicht jung genug, um die Inflationsraten von über 5 Prozent Anfang der 90er-Jahre verpasst zu haben.

Aber jetzt zur Politik, die insbesondere in einem Wahljahr seltsame Blüten treibt. War da was im September 2022? Haben wir da nicht eben das Rentenalter der Frauen angepasst? Hat man da als Hauptargument nicht die finanzielle Schieflage der AHV ins Feld geführt? Für Frauen der Übergangsgeneration werden zur Kompensation der Rentenaltererhöhung im Mittel pro Jahr 345 Millionen Franken aufgeworfen. Sie kommen gezielt nur den Frauen der höheren Jahrgänge zugute.

Doch der AHV-Zustupf von 0,3 Prozent hätte insgesamt über 400 Millionen gekostet, weil er allen Rentnerinnen und Rentnern zugutegekommen wäre. Je höher deren AHV, desto höher der Zustupf. Giesskannenprinzip nennt man das.

«Worüber sprechen wir jetzt? Es geht um einen fairen Umgang beim Kaufkraftverlust», sagte Christian Lohr in der Nationalratsdebatte. Wenn es wirklich darum ginge, müsste man bei Sozialhilfebezügern, EL-Bezügern, Working Poor und Alleinerziehenden ansetzen. Nur dass diese an der Wahlurne nicht das gleiche Gewicht aufbringen wie Rentnerinnen und Rentner. Wie sagte doch GLP-Nationalrätin Melanie Mettler vor zwei Wochen im SonntagsBlick: «40 Prozent der reichsten Haushalte in der Schweiz sind Rentnerhaushalte.»

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